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Popkultur

Der heilige Zweck und die verdammten Mittel

Die Review zum US-Epos des Jahrzehnts: "Zero Dark Thirty" zeigt, wie es zu bin Ladens Liquidierung kam. Und noch ein paar andere Dinge.

Ein Film wie seine eigene Tagline: Zero Dark Thirty ist die Erzählung von der „größten Fahndung der Geschichte“ und damit ist über den Inhalt eigentlich auch schon alles gesagt. Nie ausreden wird man aber über das, was mit der Chronik allein nicht fassbar, was zum dominierenden Clusterfuck unserer Generation geworden ist: Der 11. September 2001, der Terror danach, die Anschläge von London und Madrid, die eigene, ganz private Geschichte zu jedem dieser Tage, die Kriege in Afghanistan und Irak, die Geisterjagd von Captain George „Ahab“ Bush nach dem großen weißen Landwal, der Nebelwald des Terrors, in dem man den Krieg vor lauter Drohnen nicht mehr sehen konnte, und schließlich das Ende der al-Qaida-Ära mit der Niederstreckung von bin Laden am 1. Mai 2011.

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Zum ersten Mal ist eine ganze Dekade wie nach Drehbuch und ein Krieg entsprechend der Dramaturgie des digitalen Zeitalters abgelaufen. Der Endpunkt in Form der brutalen Geisteraustreibung durch den Schuss in Osamas Gesicht ist dabei nicht nur für die Handlung relevant, sondern auch als Statement zur Lage der westlichen Demokratie insgesamt von immenser Bedeutung: Nur so konnten die Befürchtungen eines Orwell’schen Dauerkriegszustandes, der weit über Verschwörungskreise hinaus im Kaffeesatz des Bush’schen Terrorkrieges verortet wurde, zerstreut werden. Stimmen, die kurz davor noch meinten, man würde Osama gar nicht fassen, sondern einen ewigen unbestimmten Feind aufbauen wollen, waren verschwunden. Die Stimmen der Siegerstunde schrien stattdessen: „Hurra, das Arschloch ist tot.“

Trotz des Patriotismus stimmt Zero Dark Thirty keine großtexanischen Jubeltöne an. Stattdessen hält er sich an Berichte des Weißen Hauses und des US-Militärs, an Erzählungen der SEALS SIX. Er rekonstruiert—den Krieg, das Kriegsende und am Ende auch ein bisschen die eingestürzten Zwillingstürme, die am Anfang des Films noch unsichtbar sind. Dass das alles außerdem aus der Sicht einer weiblichen CIA-Ermittlerin erzählt wird, die einerseits "The Killer" und andererseits immer noch "The Girl" ist, spiegelt ein zusätzliches Verlangen nach kontrapunktischer Distanz zur einfachen, schenkelklopfenden Kriegshetze (nicht, weil sie etwa weniger martialisch, sondern weil sie weniger systemisch akzeptiert und daher mehr in Beweis- und Erklärungsnot ist). Der Spielfilm gewordene Bericht von der zehnjährigen Jagd auf Osama bin Laden ist überlang, hyperreal und supermächtig (im doppelten Wortsinn)—weil das Drama wie schon bei Kathryn Bigelows 2009er Oscar-Sensation The Hurt Locker aus dem Ereignis selbst kommt und die Realität im Fall von bin Laden ein patriotisches Zeugnis über die Strahlkraft der Vereinigten Staaten ablegt, das keine fiktive Geschichte jemals unprätentiös und antinazistisch erreichen könnte.

Natürlich gibt es gleichzeitig nirgendwo so viele Unstimmigkeiten wie bei wahren Geschichten, egal wie gut die Ereignisse technologisch auch dokumentiert sein mögen. Immer, wenn es darum geht, Wahrheiten für die Nachwelt in Form zu gießen, melden sich Bedenken darüber an, aus welcher Perspektive sie erzählt und von wem sie für welche Zwecke eingesetzt werden. Diesem Geschichtsschreiber-Lobbyismus entgeht Zero Dark Thirty zumindest ein bisschen, indem er historische Holistik zulässt und sich in bester uramerikanischer Tradition als ergebnis- statt parteiorientiert positioniert.

Der ursprünglich geplante Filmstart im Oktober wurde aufgrund von politischen Vorwürfen der Republikaner im US-Präsidentschaftswahlkampf zurückgezogen. Und natürlich hatten die Nay-Sayer recht: Der Film ist klarerweise Propaganda für Obama—aber nur insofern, als er zeigt, dass unter diesem (wie es im Film heißt „analytischen Denker“ von) Präsidenten möglich ist, auch die Schattenseiten des Krieges und die Unzulänglichkeiten des eigenen Militär- und Geheimdienst-Vorgehens mit zu inszenieren. Trotzdem ist und bleibt es genau das: eine Inszenierung, die bei aller ästhetischen Zurückhaltung nicht so tut, als würde sie nur dokumentieren. Ich denke, man kann guten Gewissens sagen, dass die CIA-Dialoge zu Bush-Zeiten anders abgelaufen wären und wohl keiner Operation der Satz „the president wants proof“ vorangegangen ist. Insgesamt mutet der militärische, geheimdienstlerische Zeitgeist, der aus Zero Dark Thirty spricht, an wie ein Grundkurs aus dem Bachelorstudium Philosophie—da wird von Deduktion und Ontologie geredet und sogar vom CIA-Ober-Folterer mit PhD-Titel postuliert, dass man nicht wissen kann, was genau man nicht weiß (sowohl als Einzelner als auch als Staat). Ein „Change“, ohne Frage, wenn auch mit Schlaglöchern und über Hügelpisten.

Dass die Intention von Kathryn Bigelow und Mark Boal in einer Obama-Lobhudelei bestanden habe, darf man getrost als Bullshit abtun: Eigentlich hätte der Film die actiongeladene Nacherzählung einer erfolglosen und verzweifelten Operation werden sollen, bis die Realität ihn einholte und das Drehbuch kurzfristig umgeschrieben werden musste. Nicht Glanz und Glorie, sondern Chronik des Chaos war das Thema. Bis alles anders kam. Am Ende steht schließlich auch noch eine ganz andere als die rein patriotische Heldenerzählung: nämlich die vom Triumph der Technik über den Terror, oder der Technologie über den Terrorismus, wenn man es von der Systemseite betrachten will. Die Protagonistin stellt in diesem Spannungsfeld den Ankerpunkt zu uns dar. Am Ende fragt der Militärpilot Maya „Where do you want to go?“, woraufhin diese in Tränen erstarrt. Nach aller Anstrengung gibt es keine Erleichterung, keine Belohnung und keine Heimat, denn wo ein Bösewicht weicht, folgt unweigerlich der nächste. Das ist politisch nun mal so, und auch privat können wir ohne Gegenbilder nicht leben. Insofern können die Trauer und ihre Tränen auf zwei Arten gelesen werden: Als Moment der Menschlichkeit und der Reflexion nach einem zehnjährigen Tumult, aber auch als Angst vorm Schluss der Erzählung. Denn das Finale im Krieg gegen den Terror öffnet auch Türen zu neuen Unsicherheiten. Die Suche nach neuen Zielen (politisch, militärisch, und in Mayas Fall eben auch privat) hat gerade erst begonnen.