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Musik

Der 100.000-Dollar-Bieber

Toby Sheldon hat 100.000 Dollar für Schönheitsoperationen ausgegeben, um wie Justin Bieber auszusehen. Ein Idiot ist er trotzdem nicht.

Das Cover von Toby Sheldons neuer Single Justified (feat. Adam Barta)

Toby Sheldon hat 100.000 Dollar für Schönheitsoperationen ausgegeben, um wie Justin Bieber auszusehen. Auch wenn es nicht sofort einleuchtet: Man tut dem smarten und eloquenten 33-Jährigen Unrecht, wenn man ihn—wie es in den meisten Kommentaren geschah—einfach als verrückt abtut. Toby Sheldon ist ein Songwriter, der kosmetische Eingriffe von ihrem Stigma befreien will und keinesfalls durchgedreht ist. Zunächst erscheint Tobys Geschichte wie der Traum eines jeden Klatschblattredakteurs: Er ließ sein Aussehen durch OPs verändern, damit er Justin Biber ähnlicher sieht. Die Sache ist jedoch, dass Toby Justin gar nicht verehrt. Er verachtet Justins Werk zwar auch nicht, sieht sich aber eher als ein Fan „dunkler Musik aus den 80ern, von der die Leute wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben.“ Als unbekannter, in Deutschland geborener Songwriter, der das Rampenlicht liebt und nach dem Motto „Jede Presse ist gute Presse“ lebt, ist er ein gefundenes Fressen in der sensationalistischen Ödnis der zeitgenössischen Presselandschaft. Wenn man Toby googelt, wird man mit Dutzenden Artikeln über seine „Obsession“ für Justin und seine „Sucht“ nach Schönheitsoperationen überflutet, die alle auf die Aussage „Kuck dir diesen Spinner an“ hinauslaufen. Jenseits dieser Artikel hat Toby im Internet kaum Präsenz. Die einzigen digitalen Spuren, die ich von ihm—dem Menschen hinter der 100.000-Dollar-Maske—finden konnte, waren ein Song zu Ehren von Whitney Houston, den er 2012 auf YouTube hochgeladen hat, eine MySpace-Seite mit drei Demos und ein Facebook-Profil—auch wenn man von jemandem, der es in der Unterhaltungsindustrie schaffen will, eine eigene Webseite oder zumindest ein LinkedIn-Profil erwarten würde. Zunächst hielt ich ihn also für ein Nebenprodukt unserer Trash-Kultur, für einen typischen Möchtegern-Promi, dem kein Preis zu hoch ist, um Aufmerksamkeit zu erregen. Als ich mich dann mit ihm unterhielt, merkte ich jedoch, dass ich mit dieser Einschätzung falsch lag.

Tobys Karriere als Songwriter begann in Deutschland, wo er verschiedenen Labels seine Demos schickte. „[Einige Label] mochten meine Songs, fanden es wohl aber schwierig, mich als Newcomer zu vermarkten“, sagte er. „Ich wurde von der Publishing-Abteilung von Sony kontaktiert und von dort nahm es seinen Lauf. Es ging ihnen mehr um meine Songs als darum, mich als neuen Künstler zu vermarkten.“ (Ein Sprecher von Sony konnte nicht bestätigen, dass Toby einen Deal mit dem Unternehmen hatte.) Toby zufolge war das Label nicht besonders mitteilsam darüber, warum man seine Songs und nicht ihn in den Vordergrund stellen wollte, aber es war ihm egal. „Der Markt war zu dieser Zeit ziemlich saturiert“, erinnerte er sich. „Außerdem bin ich nicht der beste Sänger der Welt, vielleicht hatte es auch etwas damit zu tun. Ich denke aber sowieso, dass meine Texte besser sind als mein Gesang, deshalb war es kein großer Rückschlag für mich.“ Nachdem er sich in Deutschland erfolgreich als Sänger etabliert hatte, zog er 2001 nach Los Angeles, die Stadt, von der er schon als Kind geträumt hatte. Toby und sein Co-Writer verdienten ihr Geld damit, Songs für europäische Künstler zu schreiben—so kam es auch, dass Toby sich keine Online-Präsenz verschaffen konnte. (Toby behauptet, sich durch den Job als Ghostwriter seine Schönheitsoperationen finanziert zu haben.) Er würde zwar gern Songs mit amerikanischen Künstlern aufnehmen, doch er weiß, dass dieser Traum unwahrscheinlich ist. „Ich interessiere mich nicht wirklich für die R&B- und Rap-Szene, die in den USA beliebeter ist“, sagte er. „Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich in Europa erfolgreicher bin. Ich schreibe sowas nicht.“ Auch wenn er als Songwriter kaum im Rampenlicht stand, belastete ihn sein Aussehen. Als ihm mit Anfang 20 die Haare auszufallen begannen, versuchte er es mit einer Reihe erfolgloser Haartransplantationen. Fast zehn Jahre bevor Justin Bieber mit seiner Signature-Frisur präpubertäre Höschen feucht machte, hatte Toby die vage Vorstellung einer Pony-Frisur. „Aber wenn ich ihn nicht gesehen hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht genau gewusst, was ich wollte“, sagte Toby. „[Mit Justin] wurde mein Wunsch, jünger auszusehen, wieder neu entfacht.“ Er stellte lange Nachforschungen an, um herauszufinden, wer ihm Justin Biebers Frisur verschaffen könnte—bis er schließlich auf einen Arzt in New York City stieß, der mit zwei Transplantationen seine heutige Mähne schuf. Die Haare sollten jedoch nur die Spitze des Eisbergs sein. „Als ich Bilder von Justin sah, fielen mir die Unterschiede auf“, erinnerte er sich. „Ich dachte: ,Warum sehe ich nicht so jung aus wie er?‘ Ich ging zu verschiedenen Dermatologen, sie gaben mir Botox, Laser-Behandlungen und Injektionen, und es machte sich bemerkbar. Ich sah ein bisschen jünger aus, aber noch immer nicht so, dass die Leute zu mir kamen und sagten: ,Hey, du siehst ja großartig aus.‘ Also versuchte ich herauszufinden, wo die Promis sich behandeln lassen. Ich fand eine Dermatologin in Brentwood. Es war ein himmelweiter Unterschied zu den Dutzend anderen Chirurgen, zu denen ich vorher gegangen war. Sie wusste über ästhetische Fragen Bescheid und darüber, was ein Gesicht jugendlich aussehen lässt. Ich erzählte ihr von meinem Wunsch, mehr wie Justin auszusehen—wenn nicht sogar noch jünger—und sie überwies mich an meinen Lippenchirurg.“ Dieser leitete ihn wiederum an seinen Augenchirurg weiter, und so ging es dann weiter. Nach unzähligen Lifts, Injektionen und Augenoperationen hatte Tony seinen Traum von ewiger Jugend endlich erreicht—zumindest bis zu den Auffrischungen, die alle zehn Jahre anfallen. „Mir wird oft gesagt, dass ich als Model arbeiten sollte, dass ich zum Fernsehen gehen sollte“, sagte Toby. „Freunde von mir, die mich schon vor den Operationen kannten, sagen, dass ich jetzt viel attraktiver aussehe.“ Angie Espinosa, eine Freundin von Toby, pflichtet ihm bei. Anfangs hatte sie Bedenken gegenüber den Operationen—ihrer Meinung nach sah er bereits gut aus. Doch letztlich betrachtet auch sie die Eingriffe als Erfolg. Wenn sie mit Toby tanzen geht, wird er nach seinem Ausweis gefragt. Und das ist genau das, was er immer wollte. Natürlich ist 33 noch kein Alter. Warum also ist Toby so besessen davon, jung auszusehen? „Wenn du Ende 20 und Anfang 30 bist“, erklärte er, „bemerkst du Veränderungen. Du merkst, dass einige Dinge nicht mehr richtig aussehen. Wenn du mit deinem Facelifting wartest, bis du 40 oder 50 bist, haben sich deine Gesichtskonturen und alles andere schon verändert.“ Wie viele Helden der Boulevardzeitungen spiegelt auch Toby bestimmte Tendenzen unserer Gesellschaft wider. Wir leben in einer Welt, die von Jugend und Äußerlichkeiten besessen ist, und wir geben Unmengen für Dinge wie Make-up oder Übungsvideos aus. Weil diese Obsession als eitel und narzisstisch gilt, will sie sich jedoch kaum jemand eingestehen. Angesichts dessen ist die aufrichtige Bereitschaft, die eigene Eitelkeit nicht nur zuzugeben, sondern sich unverfroren zu ihr zu bekennen, das eigentlich Auffällige an Toby. Toby ist ein Befürworter der Schönheitschirurgie. Sein größtes Vorhaben besteht vielleicht darin, Menschen zu unterstützen, die unters Messer wollen. Toby glaubt, dass all die damit verbundenen Heimlichkeiten und Stigmen dazu führen, dass gefährlich Fehlinformationen verbreitet werden. Als einer, der sechs gescheiterte Haartransplantationen erlebt hat, weiß er, wovon er spricht.   „Alle glauben, so verschwiegen sein zu müssen, dabei tun es alle“, sagte Toby. „Aber es gibt so viele Gauner, die dir das Geld aus der Tasche ziehen und an dir herumpfuschen. Ich hoffe einfach, dass ich als eine Art öffentlicher Sprecher dienen kann, als ein Verfechter der Schönheitschirurgie, um den Leuten klarzumachen, dass es OK ist, wenn sie jünger aussehen wollen. Sie sollen sich lieber fragen: ,Wo soll ich hingehen und worauf muss ich achten?‘ Ich habe das Ganze ja schon selbst erlebt.“ Toby hofft, dass er mit seiner Geschichte Gegner von Schönheitsoperationen zum Schweigen bringen kann. Er kann an seinen Entscheidungen nichts Falsches erkennen. „[Sie] geben [ihr] Geld vielleicht für Villen und Autos und Drogen aus“, sagte er. „Und das ist grundsätzlich OK, aber wenn du jünger aussehen willst, [haben sie] plötzlich ein Problem damit.“ Der Punkt ist: Sind seine Schönheitsoperationen wirklich schlimmer als die Exzesse des richtigen Justin, der Millionen Dollar für Weed und Lamborghinis ausgibt? Toby ist seinem Ziel bereits nahe. „Ich habe so viele E-Mails bekommen“, erzählte er, „Nachrichten von Leuten, die mich fragen: ,Bei welchem Arzt warst du? Ich war bei Soundso und er hat es verpfuscht. Ich habe eine große Narbe, meine Lippen sind schief etc. Kannst du mir helfen?‘ Es ist wirklich traurig.“ Auch wenn Justin Bieber ihn nur oberflächlich fasziniert, ist es Toby egal, dass er von der Presse als gestörter Fan darstellt wird. „Es ist OK“, sagte er, „weil ich es für mich getan habe. Ich bin ehrlich überrascht, dass es so eine große Sache wurde, aber ich habe kein Problem damit. Hoffentlich wird dadurch ein bisschen mehr Licht auf die Schönheitschirurgie geworfen.“ In der Pressemitteilung zu seiner neuen Single Justified (featuring Adam Barta) wird Justin Bieber als Tobys „Idol“ beschrieben. „Wenn sie mich als besessenen Stalker von Justin Bieber darstellen wollen, habe ich kein Problem damit. Ich schätze, dass dadurch viele Leute sagen: ,Was geht denn mit diesem Typen?‘ Und wenn sie dann wirklich anfangen, meine Musik zu hören, merken sie, dass sie sich irren. Ich mag Justins Aussehen, aber das ist im Grunde auch schon alles. Ich habe kein Problem damit, als verrückt oder unmöglich dargestellt zu werden. Ich weiß, dass ich es nicht bin, und darauf kommt es an.“