FYI.

This story is over 5 years old.

News

Die Frauen von Femen werden von Nazis angegriffen und ins Gefängnis gesperrt

Wir haben uns mit Inna aus dem Hauptquartier in Paris unterhalten.

Es waren ein paar hektische Tage für Femen: 300 Neonazis, die Rache für die Ereignisse von vor zwei Wochen wollen, als die Frauen von Femen das jährliche Nationalistentreffen zum Gedenken an Jeanne d’Arc gesprengt haben, wollten das Pariser Hauptquartier stürmen. Dann mussten sie rausfinden, dass der tunesischen Femen-Aktivistin Amina Tyler bis zu zweieinhalb Jahre Gefängnis drohen. Sie ist die 19-jährige, die betäubt und auf ihre Jungfräulichkeit getestet wurde, nachdem sie Oben-Ohne-Fotos von sich bei Facebook gepostet hatte. Ihr Verbrechen: Eine Wand in der Nähe einer Moschee in Kairouan mit dem Wort „Femen“ zu besprühen.

Anzeige

Ich habe Inna Shevchenko für ein kurzes Update angerufen. Sie ist eines der ursprünglichen ukrainischen Femen-Mitglieder und befindet sich mittlerweile in Paris.

VICE: Hi Inna, geht’s dir gut?
Inna Shevchenko: Uns geht’s gut. Bisher wurden wir nicht angegriffen, aber vielleicht kommen sie später, keine Ahnung. Bisher sind wir nur von Polizei umgeben.

Wie habt ihr von den 300 Neonazis erfahren, die auf dem Weg zu eurem Hauptquartier waren?
Am Morgen haben wir 16 Polizeieinsatzfahrzeuge kommen gesehen, sie haben den Eingang zu dem Theater blockiert, in dem wir uns befinden. Weitere Polizisten kamen aus den umliegenden Straßen und errichteten dort Metallzäune und alles andere, was dazu gehört. Wir haben sie gefragt, was denn los ist, und sie antworteten uns, dass etliche Nazigruppen einen Angriff vorbereiten. Bisher ist aber nichts passiert. Die Polizei steht immer noch draußen.

Scheint, als habt ihr ein anstrengendes Wochenende.
Das ist immer so.

Befinden sich die anderen Frauen mit dir im Hauptquartier? Ihr habt heute euer wöchentliches Training, oder?
Ja, wir sind alle hier. Die Polizei hat alle durchgelassen, nachdem wir ihnen gesagt haben, wer reindarf. Also haben wir unser Training wie immer durchgezogen.

Glaubst du, die Nazis geben einfach auf, weil die Polizei da ist?
Ich weiß es nicht. Entweder geben sie auf oder sie ändern die Strategie. Sie sind nicht nur sauer wegen der letzten Sachen, die wir gegen sie unternommen haben. Es geht auch um die Sache in Notre Dame. Morgen ist eine große Anti-Schwulen-Demonstration geplant und die Nazis haben 20 Plätze veröffentlicht, die sie angreifen wollen. Einer dieser Plätze ist das Femen-Hauptquartier.  Vielleicht versuchen sie es also morgen nochmal. Aber weißt du, ich denke, wenn sie etwas groß ankündigen, bedeutet das, dass im Endeffekt nichts passiert.

Anzeige

Habt ihr schon mal in Erwägung gezogen, euer Hauptquartier zu verlegen?
Nein, nein, wir bleiben.

Ich schätze, die Medienresonanz würde ziemlich negativ für sie ausfallen, wenn sie wirklich etwas machen würden.
Ich glaube, das wissen sie auch. Vielleicht kommen sie in der Nacht. Wer weiß das schon. Trotzdem wurde das heute nicht angekündigt und plötzlich steht die Polizei vor unserer Tür. Wenn es sich um 300 Nazis handelt, bedeutet das, dass sie von verschiedenen Gruppen kommen. Ich habe Gerüchte gehört, die GUD (groupes d'extrême droite) planen ebenfalls etwas.

Das ist ein gutes Beispiel für das, was du mir neulich erzählt hast. Dass eure Aktionen sie dazu bringen zu zeigen, wer sie wirklich sind. Sie versuchen, wie eine Gruppe für ein sicheres und familienfreundliches Frankreich rüberzukommen. Aber alles, was es braucht, ist eine kleine gewaltlose Provokation, damit sie mit Gewalt reagieren.
Heute habe ich mich gefühlt, als wäre ich in Russland, nicht in Frankreich.

Ich habe auch ein paar Fragen zu Amina. Kannst du mir sagen, was passiert ist?
Amina hat gegen ein Salafistentreffen protestiert, das von der Regierung verboten wurde. Während ihres Treffens sprühte sie dann „Femen“ auf eine Wand in der Nähe. Die anwesende Polizei hat sie abgeführt. Ich bin mir sicher, dass sie hätte getötet werden können, wenn man sie nicht verhaftet hätte. Die Salafisten waren wirklich wütend. In Aufnahmen von der Aktion sieht man eine Frau im Hijab, wie sie versucht, über das Wort „Femen“ zu malen, um es zu verbergen. Es wurde nur kurze Zeit später mit schwarzer Farbe abgedeckt, nachdem Amina am 18. Mai verhaftet wurde. Der Sprecher des tunesischen Innenministeriums Mohamed Ali Aroui sagte: „Unsere Gesellschaft ist muslimisch und wir akzeptieren dieses grenzwertige Verhalten nicht.“ Sie bleibt bis zu ihrer Verhandlung am 30. Mai im Gefängnis.

Anzeige

Hat sie das komplett alleine gemacht?
Ja, sie kam allein. Das war keine geplante Aktion von Femen.

Habt ihr es gewusst?
Sie hat auf eigene Faust gehandelt. Sie wollte alleine sein. Das ist Aminas Tat, würde ich sagen.

Das Erste, das Amina damals getan hatte, war „Mein Körper gehört mir“ auf ihren nackten Körper zu schreiben und das ganze online zu posten. Das hat einige Aufregung verursacht. Sie wurde von ihrer eigenen Familie gekidnappt und betäubt …
Direkt nachdem sie das Bild gepostet hatte, bekam sie Todesdrohungen von einem tunesischen Imam. Danach verschwand sie und wir wussten nicht, wo sie war. Sie verschwand für etwa drei Wochen. Während dieser Zeit haben wir versucht, herauszufinden, wo sie ist und was mit ihr passiert ist. Wie sich herausstellte, hatte ihre Familie sie entführt und in kleines Dorf außerhalb von Tunis gebracht. Man hielt sie in einem kleinen Haus fest, ihre ganze Familie um sie versammelt. Im Nachhinein, nachdem sie entkommen war, hat sie mir erzählt, dass sie gezwungen worden war, den Koran zu lesen und eine Menge Beruhigungsmittel zu schlucken. Deswegen schlief sie die ganze Zeit und konnte sie sich später kaum daran erinnern, was während dieser Zeit eigentlich passiert ist. Sie durfte weder das Internet nutzen, noch mit jemand außerhalb ihrer Familie reden, die die ganze Zeit versuchte, sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen.

Wie habt ihr versucht, ihr zu helfen?
Als sie entführt wurde, starteten wir eine internationale Kampagne, um Amina zu unterstützen. Wir haben weltweit Frauen dazu aufgerufen, Bilder in der Art von Aminas Oben-Ohne-Fotos zu posten. Sie sollten die Nachricht „Free Amina“ auf ihren Körper schreiben, um sie zu unterstützen. Während der Kampagne wurden uns mehr als 1000 Bilder zugeschickt, auch aus arabischen Ländern. Viele der Frauen trugen Hijabs, machten aber trotzdem den Oberkörper frei, um Amina zu helfen.

Anzeige

Haben diese Bilder und der „Topless Jihad Day“ ihre Situation irgendwie verschlimmert?
Nein. Als sie verschwand, wussten wir nicht, was los war. Wir haben einige Zeit gebraucht, um herauszufinden, was vor sich geht; ob sie wirklich verschwunden ist oder sich nur nicht meldet. Sie befand sich in großer Gefahr, hauptsächlich weil niemand wusste, was genau passiert war, oder nicht darüber sprach. Aber als wir dann angefangen haben, uns bemerkbar zu machen und uns um internationale Unterstützung zu bemühen, fing auch die restliche Welt an, Alarm zu schlagen. Genau das hat sie gerettet. So machen wir das immer, wenn jemand von uns entführt oder fast getötet wird. Der einzige Grund, warum uns wirklich noch niemand umgebracht hat, ist, weil wir immer Krach wegen allem machen. Wir informieren die Leute, was gerade bei uns los ist—so beschützen wir uns und unsere Aktivistinnen. Es gibt für uns nur einen Weg, uns zu schützen: Die Medienwelt und das Verbreiten von Informationen. Wenn wir wegen Amina die Klappe gehalten hätten, hätte man sie nicht freigelassen. Erst nachdem wir allen erzählt hatten, dass man sie entführt hat, ließ ihre Familie sie gehen. Man wollte ihr ihren Pass und ihre Dokumente nicht geben, bis wir öffentlich Druck gemacht haben. Danach war sie frei. Ich stimme niemandem zu, der mir sagt, dass die ganze öffentliche Kampagne schlecht für sie gewesen wäre. Es war die einzige Möglichkeit.

Hattet ihr Kontakt mit ihr, seit sie wieder frei ist?
Ja, kurz nachdem sie ihrem Elternhaus entkommen konnte, hat sie mich angerufen. Am selben Tag haben wir den tunesischen Präsidenten hier in Paris dazu gedrängt, Amina zu unterstützen. Er hatte hier gerade sein Buch vorgestellt und wir haben ihn angegriffen. Ein paar Stunden später rief sie mich an und erklärte mir, dass sie weggelaufen sei und was genau passiert war. Sie wollte die Welt wissen lassen, dass sie mehr oder weniger frei ist und was geschehen war.

Ich habe in den Nachrichten gehört, Amina habe sich nach dem „Topless Jihad Day“, den ihr ihr zu Ehren veranstaltet habt, von Femen distanziert?
Sie hat ganz klar gesagt, dass sie in Tunesien weiter für Femen aktiv sein will. Für uns war das aber eine Frage ihrer Sicherheit. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass sie für einige Zeit das Land verlassen muss. Also haben wir einige Dokumente vorbereitet, um sie nach Frankreich zu holen, weil sie immer noch Todesdrohungen erhält, aber immerhin auch eine Menge Unterstützung aus Tunesien. Trotzdem war es gefährlich. Wir dachten, dass sie dort unbedingt raus muss. Aber sie war überzeugt davon, in Tunesien weiterzumachen. Dann hat sie die Wand nahe der Moschee besprüht.

Woraufhin sie festgenommen wurde und nun bis zu ihrer Verhandlung am 30. Mai in Gewahrsam bleiben muss.
Ja.

In einer Pressemitteilung hast du verlauten lassen, dass es eine nackte Neuauflage eurer Aktionen geben wird. Was bereitet ihr da gerade vor?
Selbstverständlich müssen wir reagieren und unsere Aktivistinnen beschützen. Nur weil sie ein Wort an eine Wand geschrieben hat, kann sie für zwei Jahre ins Gefängnis kommen. Ganz offensichtlich ist das eine Form politischen Protests. Eine tunesische Ministerin sagte, dass die Existenz von Femen in Tunesien bereits eine offene Provokation sei und das sie alles tun will, um uns zu stoppen. Ich kann dir jetzt noch nicht sagen, was wir unternehmen werden, aber es wird viel größer werden als der „Topless Jihad Day“. Jetzt ist Amina in wirklicher Gefahr. Sie ist ein großes Symbol für die Befreiung arabischer Frauen—und sie gibt nicht auf.