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Cop Watch

Die Jagd auf Flüchtlinge ist europaweit eröffnet

In den nächsten zwei Wochen werden 20.000 Polizisten in ganz Europa ausschwärmen, um „illegale Einwanderer“ abzufangen—das Ziel sind Flüchtlinge, die hier Schutz suchen.

Ein Mitarbeiter von Frontex. Foto: rockcohen | FlickrCC BY-SA 2.0

Heute beginnt eine europaweite Polizeioperation, in deren Verlauf in 25 europäischen Ländern insgesamt 20.000 Polizisten ausschwärmen werden, um in Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Verkehrsknotenpunkten Jagd auf „illegale Einwanderer“—das heißt zum großen Teil Flüchtlinge—zu machen. Die von Italien aus organisierte Operation namens „Mos Maiorum“ richtet sich offiziell gegen „organisierte Kriminalität, die die illegale Einwanderung in die EU erleichtert“—gemeint sind „Schlepperbanden“. In der Praxis bedeutet das, dass es für Flüchtlinge in den nächsten zwei Wochen extrem riskant ist, sich innerhalb des Schengen-Raums—also im Europa der Freizügigkeit—zu bewegen.

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Während die Operation in der Presse noch wenig Beachtung findet, haben Bürgerrechtsbewegungen und Aktivisten mehrsprachige Reisewarnungen herausgegeben, um Flüchtlinge vor den Kontrollen zu warnen. Die Polizei hat keine Angaben dazu gemacht, wie genau die Beamten illegale Einwanderer zur Kontrolle identifizieren sollen—Flüchtlingsvertreter kritisieren deshalb auch, dass „racial profiling“—das Aussondern von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe—in gewisser Weise integraler Bestandteil dieser Operation sei.

Flüchtlinge vor Lampedusa. Foto: Defense Visual Information Center | Wikimedia | Public Domain

Aus einem internen Papier des Rats der Europäischen Union geht hervor, wie die teilnehmenden Polizisten vorgehen sollen, wenn sie einen illegalen Einwanderer aufgegriffen haben. Festgestellt und an zentraler Stelle gesammelt werden sollen unter anderem Informationen über:

  • Nationalität, Geschlecht und Alter sowie Einreiseort und -datum des Migranten
  • die Routen und Transportmittel sowie das Reiseziel des Migranten
  • den „modus operandi“: ob gefälschte oder gestohlene Reisedokumente vorgefunden wurden, ob der Migrant sich um Asyl beworben hat, Hinweise auf Schlepperaktivitäten, Nationalität und Aufenthaltsort des Schleppers und die Kosten für die Schlepper.

Kurz nach dem Jahrestag des Bootsunglücks in Lampedusa, bei dem an die 230 Flüchtlinge vor der italienischen Küste ertranken, setzt die Europäische Union also auf zusätzliche verschärfte Grenzkontrollen auch innerhalb des Kontinents. Während die EU-Innenminister wieder daran gescheitert sind, sich auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas zu einigen, klappt die Koordination von europaweiten Polizeimaßnahmen anscheinend reibungslos.

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„Das ist eine Anti-Flüchtlingsoperation“, warnt Karl Kopp von Pro Asyl, „ein fatales Signal.“ Vor allem, dass Asylanträge in dem Papier als „modus operandi“ bezeichnet werden, macht Kopp wütend. „Das stigmatisiert auch: Als wäre Asyl ein Mittel zum Zweck der irregulären Einreise!”

Laut Kopp sind dieses Jahr an die 50 Prozent der 100.000 Bootsflüchtlinge im Mittelmeer Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien, dem Irak und Afghanistan—„ganz klassische Schutzbedürftige, die die Haupt-Opfergruppe dieser Operation sein werden.“ Diese Menschen kommen in Italien oder Griechenland an. Weil beide Länder vom Ansturm völlig überfordert sind, haben sie hier die Wahl, in Obdachlosigkeit zu leben oder sich weiter nach Nordeuropa durchzuschlagen, wo sie in vielen Fällen auch Anschlusspunkte bei bereits dort lebenden Verwandten haben. Genau solche Reisende sollen durch Mos Maiorum abgefangen werden.

Tatsächlich wird Kopps Interpretation von Dokumenten des Rats eindeutig bestätigt: Bei einer ähnlichen (aber deutlich kürzeren) Operation namens „Perkunas“ wurden 2013 europaweit rund 10.000 illegale Migranten aufgegriffen. Laut dem Abschlussbericht des Rates stammten die meisten der Aufgegriffenen aus den fünf Ländern Syrien, Afghanistan, Eritrea, Marokko und Pakistan. Die Syrer stellten dabei mit 3.770 die bei Weitem größte Gruppe.

„Dass diese Leute sich innerhalb Europas illegal weiterbewegen müssen, um Schutz und Menschenwürde zu finden, drückt aus, dass was im System nicht stimmt“, kritisiert Kopp. „Man sollte weniger in die Repression investieren, mehr in die menschenwürdige Aufnahme. Es kann doch nicht sein, dass wir Leute zwingen, sich irregulär und mittellos durch Europa zu schlagen.“

Daran wird sich aber voraussichtlich so bald nichts ändern. Statt sich auf eine einheitliche, faire und transparente Flüchtlingspolitik zu einigen, koordinieren die europäischen Mitgliedsstaaten lieber kontinentale Rasterfahndungen—damit niemand das Gefühl hat, er sei irgendwo angekommen, nur weil er die Flucht über das Mittelmeer überlebt hat.

UPDATE: Mittlerweile sind die ersten Fälle von willkürlichen Kontrollen bekannt geworden. Aber Menschenrechtsaktivisten setzen sich zur Wehr: Ein Netzwerk aus Unterstützern hat sich daran gemacht, über die nächsten zwei Wochen alle Fälle auf einer Europa-Karte zu dokumentieren.

Wenn genug Fälle zusammenkommen und beschrieben werden können, könnte die Polizeioperation MOS MAIORUM in ihr Gegenteil verkehrt werden: nämlich in eine genaue Dokumentation der Kontrollpunkte, Erkennungsmethoden und „modi operandi“, der sich die europäische Polizei bei der Jagd auf Flüchtlinge bedient.