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Diese Kirche ist offener gegenüber Homosexualität als die Kanzlerin

Eine evangelische Landeskirche hat nach einem Jahr der internen Kämpfe endlich Ja gesagt. Jetzt können sich auch Schwule und Lesben trauen lassen.

Endlich verheiratet, hier in Illinois. Foto: Ron Frazier | Flickr | CC BY 2.0

In manchen Gemeinden darf man nicht mal laut denken, dass gleichgeschlechtliche Liebe ganz normal ist. In der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz kann man sich ab Juli noch viel mehr trauen: Man kann sich trauen lassen. Und die Liebe zwischen ihr und ihr beziehungsweise ihm und ihm mit einem kirchlichen Fest und in aller Öffentlichkeit feiern.

Ein Jahr hat es gedauert, bis die Idee dazu in einem offiziellen Beschluss gelandet ist. Und eine breite Masse trägt ihn mit: Auf der Synode der Landeskirche am Samstag haben immerhin 91 Kirchenparlamentarier mit „Ja" gestimmt, 10 sagten Nein und vier enthielten sich. Allerdings wird es auch Ausnahmen geben: Wer ein Pärchen absolut nicht verheiraten will, kann in den nächsten Jahren noch Widerspruch einlegen. Er muss das aber schriftlich tun: „So verhindern wir willkürliche Entscheidungen, das Handeln muss begründet sein", sagt Propst Christian Stäblein. Außerdem ist dann der Vorgesetzte des Bedenkenträgers dafür zuständig, dass das Paar eine andere Gemeinde findet. Was nur fair ist, wie Stäblein findet. Denn Homosexualität heute sei etwas ganz anderes als das, von dem in der Bibel die Rede ist.

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Meet the Propst, Dr. Christian Stäblein | Foto: Rolf Zoellner | EKBO

VICE: Die Kirche ist nicht unbedingt dafür bekannt, Schwule und Lesben mit offenen Armen zu empfangen. Woher kommt der Sinneswandel?
Dr. Christian Stäblein: Wir haben schon seit 2003 einen Segnungsgottesdienst für eingetragene Lebenspartnerschaften. Vor etwa einem Jahr gab es dann die Initiative, die Segnungsgottesdienste mit den Traugottesdiensten gleichzustellen. Das kam sowohl von der evangelischen Jugend als auch von mehreren Kirchenkreisen in unserer Landeskirche.

Wieso geht in der Kirche, was im Staat immer noch nicht funktioniert?
Ich freue mich, dass Sie die Perspektive haben, wir seien mit dieser Gleichstellung dem Staat voraus. Aber wir tun etwas anderes: Wir stellen die Gottesdienstform gleich. Wir befinden damit jetzt nicht, was im Staat geht und was nicht. Ich denke, der Kern des christlichen Trauversprechens ist: gemeinsames Leben und gegenseitiges Einstehen füreinander aus Liebe. Und das können wir für eingetragene Lebenspartnerschaften genauso sehen wie für Ehen zwischen Mann und Frau.

Was sehen Sie so anders als viele andere Kirchen?
Das müssten Sie die fragen. Ich kann nur sagen: Das, was im Kern des christlichen Trauversprechens steht, dafür kann ich Gottes Segen für die einen wie die anderen erbitten. Das können andere nicht, weil sie an bestimmten Stellen die Schrift anders auslegen oder mit der Tradition anders umgehen.

Steht dann im Kirchenbuch: Gattin und Gattin, Bräutigam und Bräutigam?
Wir sprechen nicht von Eheleuten, sondern von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Aber es kommt mit ins Traubuch hinein. Der Traugottesdienst läuft dann ab wie der für Ehepaare. Im Kern ist das die Bitte um Gottes Segen und das Hören auf das biblische Wort. Außerdem sind Trauungen angereichert mit Elementen, die eigentlich vom Standesamt kommen: die Traufrage, die jedem im Ohr ist, „Willst du diesen oder diese …". Auch der Ringwechsel. Das wird mit zum Gottesdienst gehören.

Im Vorfeld hatten einige Gemeinden in Brandenburg protestiert: Sie wollten den Punkt von der Tagesordnung haben.
Es gab einige Einsprüche der Kirchenräte, etliche davon vor und im dem Diskussionsprozess. Manches davon ist durch die Ausnahmeregelung geklärt, aber natürlich auch nicht alles. Es gibt eben einige, die das anders sehen.

Mit welcher Begründung?
Sie lesen einige Stellen in der Bibel anders. Sie sagen, dass in der Bibel deutlich an verschiedenen Stellen formuliert ist, dass Gott die Homosexualität oder bestimmte homosexuelle Praktiken verurteilt. Sowohl im Neuen Testament bei Paulus als auch im Alten Testament.

Was entgegen Sie solchen Argumenten?
Dass das, was da in der Bibel gesagt wird, eine bestimmte Vorstellung von homosexueller Praxis hat. Anders als das, worum es uns heute geht, wenn wir von einer freien, verlässlichen, fürsorgenden Liebe sprechen.

Welche Vorstellung ist das?
In den biblischen Texten geht es um sogenannte Kult-Prostitution, oder um ein herabwürdigendes, gewalttätiges, erzwungenes Verhältnis—ja, man muss sagen um Missbrauch anderer Männer und Jungen. Man muss einen weiten historischen Graben überwinden, um zu verstehen, wovon da die Rede ist. In der Antike hat es ganz andere Praktiken gegeben, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können.