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Popkultur

Wie ‚Mad Men‘ und Don Draper zur Metapher für Alkoholismus geworden sind

Wir haben mit einem Alkoholiker und einer Suchtexpertin über die Abgründe der Alkoholsucht in ‚Mad Men' gesprochen.

Foto: Imago/United Archives International

Alkohol ist schlecht, Rauchen sollte auch niemand und trotzdem: Als die Serie Mad Men 2007 anlief, dürfte so manchem der Mund feucht geworden sein. Classy gekleidete Menschen in Machtpositionen, die den Glimmstängel ähnlich souverän halten wie James Bond seine Waffe? Im Licht der untergehenden Sonne gold schimmernde Whiskey-Flaschen, so weit das Auge reicht? Junge und nicht mehr ganz so junge Kreative immer nur einen Drink entfernt vom nächsten One-Night-Stand oder der ganz großen Werbeidee? Selten zuvor waren die Laster unserer Gesellschaft so wunderschön inszeniert, so cool wie in dem TV-Format über eine Werbeagentur im New York der 60er und 70er. Verdammt, selbst ich wollte sein wie Don Draper, und ich habe noch nie damit gehadert, eine Frau zu sein.

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Diese Glorifizierung von exzessivem Trinkverhalten mag zum Einen daran gelegen haben, dass die komplette erste Staffel vom Spirituosenhersteller Jack Daniel's gesponsert wurde, zum anderen gehört dieser sorglose Umgang mit Dingen, von denen wir mittlerweile ganz genau wissen, dass sie schlecht für uns sind, wohl auch einfach zur abgebildeten Zeit, in der die Hausbar noch deutlich mehr Statussymbol als Zeichen eines ungesunden Lebenswandels war.

Seit zwei Wochen laufen die letzten Folgen der siebten (und finalen) Staffel des AMC-Formats im amerikanischen Fernsehen und man kommt nicht umhin, festzustellen: Mad Men ist düsterer geworden. Weg vom unbeschwerten Party-Lifestyle in schnittigen Anzügen und hautengen Kleidern hin zum Porträt eines Mannes, der an sich selbst und seinen Lastern zugrunde geht.

Trotz allen glossy Bildern, kunstvollen Kamerafahrten und legendären One-Linern von Stoli-Jünger Roger Sterling wusste man als Zuschauer, irgendwo ganz tief unten in der Magengegend, wahrscheinlich die ganze Zeit, dass man Alkoholikern dabei zusah, wie sie möglichst funktionierende, normale Menschen mimten. Es war einem nur nicht bewusst. Man sah Don Drapers Ehe den Bach runtergehen und beide Ehepartner—Betti mit Rotwein auf der Couch, Don mit Bourbon und fremder Frau im Arm an der Bar—sich in die Umarmung des guten, alten Suffs flüchten. Und trotzdem konnte man sich einreden, dass nicht der Alkohol das Problem der scheiternden und gescheiterten Charaktere der Serie war. Der Alkohol war nur ein Weg, mit ebenjenem Scheitern auf privater Ebene besser umzugehen.

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Betrunken ist jeder mal, können wir uns einreden, und wer hat noch nie das Büro nach einem stressigen Tag verlassen und sich auf das Feierabendbier gefreut? Schwierig wird es zu wissen, ab wann die Grenze überschritten und der Alkoholkonsum tatsächlich zum Problem wird. Gerade wenn man noch „funktioniert", also in dem Bereich, der den Großteil des eigenen Lebens einnimmt, trotzdem noch klarkommt. In Mad Men ist dieser Ort die Werbeagentur. Alkohol wird dort zu einer Art kreativem Schmiermittel, Geschäftsessen laufen besser, wenn man den Kunden abfüllt—wie Roger Sterling in einer Folge augenzwinkernd verrät—, insbesondere in einer primären Männerdomäne, wo es als maskulin angesehen wird, wenn man Dinge bei Scotch und Zigarre bespricht.

„Trinkverhalten wird entscheidend vom Umfeld und so auch vom beruflichen Umfeld beeinflusst, ich denke, jeder kann sich vorstellen, wenn man in der Mittagspause mit Kollegen zusammensitzt und der einzige ist, der ein nicht-alkoholisches Getränk trinkt, wie schwierig das ist", erklärt Dr. Gabriele Koller, die an der Universität München die Genetik der Abhängigkeitserkrankungen erforscht.

Foto: Nicole Beauchamp | Flickr | CC BY 2.0

Frank ist Alkoholiker und hat in seinem Arbeitsumfeld ähnliche Erfahrungen gemacht. Insbesondere dann, wenn der Druck im Job größer wurde, griff er zur Flasche. Ein Verhalten, das auch bei den Mad Men den Grundstein für regelmäßiges Trinken am Arbeitsplatz gelegt haben könnte, bis es irgendwann zum Automatismus wurde. „Auf der einen Seite brauchte ich die Arbeit, um meine Sucht zu finanzieren. Auf der anderen Seite setzte ich mich so stark unter Druck, dass ich auch immer wieder einen Grund fand, wieder zu saufen, und ich habe bis zum Schluss (bis gar nichts mehr ging) funktioniert", erzählt der Mann, der 20 Jahre mit seiner Sucht haderte und mittlerweile bei den Anonymen Alkoholikern ist. „Ich habe immer mehr gemacht als andere, damit ich schon mal Pluspunkte bei den Kunden holte. Denn ich wusste ja, der Tag, an dem ich mal wieder angetrunken kam, ist nicht weit. Und das hat funktioniert. Auftraggeber haben zwar gesagt, dass ich ein Alkoholiker bin, doch ich würde hervorragende Arbeit machen."

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Serienfans dürfte dieses Szenario bekannt vorkommen: In einer Szene, die dem Zuschauer beinahe körperlich unangenehm ist, kommt Don betrunken von einer Preisverleihung in ein Meeting und lallt den anwesenden Kunden sein Werbekonzept für Frühstücksflocken entgegen. Die Geschäftsmänner sind befremdet, aber schlussendlich zufrieden. Don verlässt den Raum und muss keine Kritik an seinem Auftritt fürchten. Schließlich hat er funktioniert. Er hat ein Konzept verkauft.

Ein wichtiger, in der Serie schon sehr früh thematisierter Punkt ist auch die Macht der Verdrängung. In der zweiten Staffel verliert der altgediente Mitarbeiter Freddy Rumsen seinen Job, weil er so exzessiv trinkt, dass er sich im Alkohol-Delirium in die Hose macht—mitten in einer Besprechung mit seinen Mitarbeitern. Das klärende Abschiedsgespräch findet in einer Bar statt, bei jeder Menge Drinks auf Kosten seiner Chefs. Der einzige Unterschied zwischen Freddy auf der einen und Roger und Don auf der anderen Seite: Sein Ausfall war zu öffentlich, als dass man ihn hätte entschuldigen können. Im Büro wird über ihn gelacht, während man sich schon wieder das nächste Glas einschenkt. Wahrscheinlich ist es beruhigend, andere so tief fallen zu sehen. Wie kann das eigene Trinken auch problematisch sein? Schließlich hat man seine Blase noch unter Kontrolle.

„Es ist ein schleichender Prozess und ich als Betroffener habe gar nicht mitbekommen, wie schlimm es schon war", sagt Frank. „Ich war sowieso der Letzte, der akzeptiert hat, dass ich ein Problem mit Alkohol hatte. Selbst die Nachbarn haben vor unserem Haus eine 15 Meter große Parklücke freigehalten, weil sie wussten, dass ich jeden Abend volltrunken mit meinem Wagen kam. Nur gesagt hat niemand etwas. Und das über einen Zeitraum von circa 20 Jahren."

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Suchtexpertin Dr. Koller empfiehlt, sich mit dem CAGE-Fragebogen auseinanderzusetzen, mit dem grundlegende Warnsignale abgefragt werden können: „Hatten Sie jemals das Gefühl, Sie müssten Ihren Konsum an alkoholischen Getränken verringern? Hat Ihr Umfeld schon einmal Bemerkungen über Ihren Alkoholkonsum gemacht? Hatten Sie schon einmal den Eindruck, dass Sie zuviel trinken? Haben Sie schon einmal am Morgen Alkohol gebraucht, um in Form zu sein?" Insbesondere letztere Frage beantwortet sich Ende der sechsten Staffel für Don ziemlich deutlich. Nachdem er das Angebot seiner Noch-Frau, der jungen Schauspielerin Megan, ihm Frühstück zu machen, ausschlägt, gießt er sich, kaum verlässt sie den Raum, Wodka in seinen Orangensaft.

Retrospektiv, nun, wo sich die Serie ihrem Ende zuneigt, trifft der Vorwurf der Alkohol-Glorifizierung nicht mehr zu. Stattdessen wirkt der komplette Handlungsverlauf wie eine Geschichte, die aus der Perspektive eines Alkoholikers erzählt wird. Erst will er sein Problem nicht wahrhaben und stilisiert sich selbst als Lebemann, der keinen anderen Lifestyle führt als alle anderen Menschen, mit denen er täglich in Kontakt kommt. Werden alkoholisierte Ausfälle anfangs größtenteils lustig dargestellt, bekommen sie einen zunehmend bitteren Beigeschmack, während die Welt des Protagonisten nach und nach in sich zusammenfällt. Schließlich muss er feststellen: Ich bin ein gebrochener Mensch. Meine Familie ist weg, die Scheidung mit meiner letzten großen Liebe durch und der berufliche Nimbus des Werbe-Wunderkinds in Bourbon ertränkt. Ich habe ein Problem. Abzuwarten bleibt, wie der gefallene Hauptcharakter mit dieser schmerzhaften Einsicht umgeht.

Foto: Daniel Oines | Flickr | CC BY 2.0

Mad Men ist ein fein gezeichnetes Bild der 60er und 70er und ihrer Gesellschaft. Mit liebens- bis hassenswerten Charakteren, wunderbar geschriebenen Dialogen und Momenten, die in die Fernsehgeschichte eingehen werden. Gleichzeitig ist es aber auch eine düstere Metapher darauf, wie Alkohol Leben zerstört—die auch vor dem realen Leben ihrer Akteure keinen Halt macht. Schließlich gab Hauptdarsteller Jon Hamm kurz vor dem Ausstrahlungsstart der letztem Folgen zu, selbst einen Alkoholentzug hinter sich zu haben. Wurde der Schauspieler von seiner größten Rolle eingeholt? Und wie groß ist der Zusammenhang zwischen fiktivem und realem Alkoholkonsum wirklich?

„Es gibt auf jeden Fall im TV immer wieder Szenen, die Alkoholkonsum so darstellen, dass beim Zuschauer ein sogenanntes Craving, also ein Verlangen nach Alkohol, entsteht. Medien haben definitiv Einfluss auf das Verhalten und deshalb liegt da bei den Medienmachern diesbezüglich ein Stück Verantwortung", sagt Frau Dr. Koller. Wer den gebrochenen Don Draper der siebten Staffel sieht, wie er sich mit kaltem Schweiß auf der Stirn von seiner letzten Barbekanntschaft wegwälzt, kann sich allerdings nur noch schwerlich vorstellen, dass sich Serienfans da draußen weiterhin zu unbeschwerten Mad Men-Cocktailabenden zusammenfinden.

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