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Durchgeschnittene Kehlen in Russland

Du weißt wahrscheinlich, dass Russland ein kleines Problem mit dem organisierten Verbrechen hat. Der Regisseur Alexander Gentelev weiß das auch und noch viel mehr.

Auch wenn du so gut wie nichts über Russland weißt, so weißt du wahrscheinlich trotzdem, dass sie dort ein kleines Problem mit dem organisierten Verbrechen haben. Alexander Gentelev weiß das auch und noch viel mehr. Daher hat er sich dazu entschlossen, eine Dokumentation über den explosionsartigen Anstieg von organisiertem Verbrechen nach der Auflösung der Sowjetunion zu drehen. Diebe im Gesetz (auch bekannt als Die Ehre der Paten - Russlands Mafia) wirft einen Blick auf die Ursprünge des Kodex der Diebe in der Sowjetunion—ein Code, an den die gesamte Unterwelt gebunden war. Es sind Leute wie Vitali Dyomochka, der aussieht wie John Malkovich als Nosferatu, immer schwarze Polokrägen trägt und viel über Ehre und einen Mord, den er damals begangen hat, redet. Ein anderer Protagonist ist Alimzhan Tokhtakhunov. Er ist ein von Luxus besessener Usbeke, der durch seine kunstvolle Villa in Hausschuhen trottet, auf denen „Ich hab es zu etwas gebracht“ steht.
Die russische Mafia ist eine internationale Organisation, die in jeden Teil des russischen Lebens eindringt. In den 90er Jahren wurden Erpresser zu Geschäftsmännern. Ein Interviewter fordert uns auf: „Zeigt mir eine Person in Russland ohne Vorstrafenregister“—ein anderer beschreibt sich selbst als „gesetzestreuen Bürger“. Und in der Logik des Russlands im 21. Jahrhundert macht das alles Sinn. Diese Verbrecher sind vom Staat akzeptiert und reden da sehr offen und ehrlich drüber. Auf eine Art und Weise ist es sehr löblich von ihnen, uns zu erklären, was zur Hölle da wirklich los ist. Ich habe mich mit dem Regisseur Alexander Gentelev in Verbindung gesetzt.

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VICE: Kannst du erklären, was „Dieb im Gesetz“ bedeutet?
Alexander Gentelev: Der Begriff „Dieb im Gesetz“ entstand in den 30er Jahren und bezieht sich auf den höchsten Rang in der russischen Unterwelt. Einige Leute sagen, es hätte etwas mit den „Tschekisten“ oder dem früheren sowjetischen Geheimdienst zu tun (der später zum KGB wurde). Zuerst folgten die Diebe im Gesetz einem strikten Code: Ein Dieb im Gesetz musste im Gefängnis sitzen, durfte keine Familie, keinen festen Wohnsitz und keinen Besitz haben und nur mit Hilfe krimineller Machenschaften überleben. Sie besprachen ihre Geschäfte bei Kongressen und hatten in den Gefängnissen viel Macht. Ihr Wort entschied. Heute ist alles anders und viele der Regeln werden nicht mehr befolgt. Aber heute ist uns diese Welt verschlossen und vieles wissen wir nur vom Hörensagen. Wie hast du Zugang zu den Protagonisten bekommen?
Durch bekannte Journalisten und Freundesfreunde. Es dauerte sehr lange. Warum hat Russland deiner Meinung nach diese Problem mit der hohen Kriminalität?
Seit Mitte der 90er Jahre hat das organisierte Verbrechen darauf hingearbeitet, sich in ein legales Business zu verwandeln. Korruption ist meiner Meinung nach das größte Problem des heutigen Russlands. Die Typen in deinem Film sehen nicht sehr freundlich aus. Hattest du zu irgendeinem Zeitpunkt Angst?
Nicht wirklich. Ich hatte nur Angst davor, dass sie irgendwann sagen würden: „Es reicht, das Gefilme nervt.“

Leute wie Roman Abramovich, die nicht wie das Leben und die Seele der Gesellschaft aussehen, aber wahrscheinlich niemanden ermordet haben, sind häufig in den Medien. Wie sind sie wohl mit den „Dieben im Gesetz“ verbunden?
Ich kenne Roman Abramovich nicht, deswegen musst du ihm die Frage stellen. Ich glaube aber, dass die großen Oligarchen wahrscheinlich die Dienste der Diebe nicht in Anspruch nehmen—sogar unter dem Gesetz der kriminellen Machthaber. Oligarchen waren selbst stark genug und brauchten nur die Verbindung zu Regierung und Politik.

Was hast du über die Wichtigkeit von Tattoos in dieser Kultur gelernt?
Leider haben es die Szenen über die Tattookultur nicht in den Film geschafft. Vor langer Zeit spielten sie eine große Rolle in der Unterwelt. Du konntest allein an den Tattoos den Status eines Kriminellen ablesen—wie lange er schon diente und wem etc. Deine Darsteller sind sehr „gefragt“. Diese Leute werden von Interpol gesucht und stimmen trotzdem zu, bei dem Film mitzumachen—das ist doch komisch. Wie vermeiden sie, geschnappt zu werden?
Zuerst einmal: Nicht alle von ihnen sind auf der Flucht. Zur Zeit sucht Interpol nur nach Alimzhan Tokhtakhunov. Aus diesem Grund kann er Russland nicht verlassen, aber in Russland ist er ein Mäzen und Geschäftsmann—und die russische Regierung hat bei ihm keine Bedenken. Kannst du die Beziehung der Mafia mit den Leute erklären, die sich im Film selber als „Geschäftsmänner“ bezeichnen?
In dem Film geht es häufig um dieses Thema. Die Protagonisten diskutieren darüber. Von den späten 80ern bis in die frühen 90er, während der Geburtsstunde der Geschäfte in den ehemaligen Sowjetstaaten und in Russland, brannten viele Menschen darauf, ihr eigenes, privates Unternehmen aufzubauen. Zur gleichen Zeit tauchten viele kriminelle Gruppen auf, die mit den Dieben im Gesetz nichts zu tun hatten. Kriminelle Gruppen kämpften gegeneinander um Wirkungsbereich und Einfluss. Sie beschützten Geschäftsleute, die dafür Sicherheitsgelder zahlten. Die Kriminellen wussten im Gegenzug, dass ihnen das Geld dabei helfen würde, sich vor anderen kriminellen Bossen zu schützen. Hier begann zum ersten Mal der große Krieg der Kriminellen. Was ist in dem großen Krieg der Kriminellen passiert?
Alle wurden getötet. OK, danke Alexander!