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Sex

Die größten Perversen auf der größten Pornomesse der Welt

Es war ein Gang-Bang der Geschmacklosigkeit. Wir fühlen uns schmutzig und benutzt.

Sex sells. Vom Schmirgelpapier bis hin zum Steak gibt es fast nichts, was sich nicht mit Hilfe von Sex vermarkten ließe. Am besten verkauft Sex sich freilich selbst. Deshalb gibt es Pornomessen, die im Grunde ein Circle Jerk für jene sind, die mit der Geilheit der Leute und kleinen Extras ihren Lebensunterhalt verdienen. (Unter „kleine Extras“ fällt zum Beispiel das Angebot, Fotos von gelangweilt blickenden Frauen in durchsichtigen T-Shirts und peinlichen Posen zu machen.) Das „weltweit größte Event“ der Branche, bei dem für einen gewissen Preis scheinbar alles gekauft werden kann, ist dementsprechend das Paradies eines jeden Pornofans.

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Es überrascht nicht, dass diese Convention in Las Vegas stattfindet, dort, wo schon Cocktail-Kellnerinnen wie Sexobjekte herumlaufen. In dem Casino, in dem die Messe veranstaltet wurde, drückten dekadente Spieler geistesabwesend auf Spielautomaten herum und ignorierten selbst die spärlich bekleideten Go-Go-Tänzerinnen direkt vor ihnen. Unzählige andere saßen wahrscheinlich in Hotelzimmern und verbrachten ihren Urlaub vor dem Fernseher. Vegas, Baby! Vegas!

Die grell beleuchtete Ausstellungsfläche war von Hunderten absurden „innovativen“ Produkten übersät: gespenstige Gummipuppen, die angeblich wie Pornostars aussehen, Graspfeifen, die perfekt am Schwanz anliegen, damit du gleichzeitig kiffen und Blowjobs geben kannst, an den Fuß zu schnallende „Heeldos“, Vibratoren, die nebenbei dein Smartphone aufladen, bunte Gymnastikbälle, bei denen du dich auf adrige Penisse setzen kannst, und Plüschbären, die dich mit gruseligen Zungen stimulieren. An einem Stand bot ein einfallsreicher Mann in schlecht sitzendem Anzug Penispillen feil und machte ein Riesengeschäft damit.

Besucher wie Aussteller konnten die übliche Kombination von neuen Produkten und Schrott begutachten, den man auf jeder Messe vorfindet—Dinge, wie mit Strass besetzte Smartphone-Cases oder Keramik-Glätteisen. Die Tatsache, dass beide Bereiche perfekt miteinander harmonierten, machte deutlich, dass das Ganze im Grunde nicht mehr als eine Feld-Wald-und-Wiesen-Messe war. Vor weniger als einem Jahrhundert war es noch undenkbar gewesen, Pornografie mit der Post zu verschicken. Die Beiläufigkeit, mit der man hier muschileckende Teddybären wahrnahm, beweist einmal mehr, wie sehr wir uns „weiterentwickelt“ haben.

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Ich konnte nicht anders, als all die überflüssigen Dinge um mich herum als Symptome einer Welt wahrzunehmen, in der bloßer Geschlechtsverkehr nicht mehr aufregend genug ist, um uns zu befriedigen. Dass Waren immer „extremer“ werden—seien es Getränke oder Pornografie—, wird immer mehr zur Norm. Bei den AVN-Awards, die parallel zur Messe verliehen wurden, gab es Kategorien wie „Best Older Woman/Younger Girl Release“, „Best Double Penetration Sex Scene“ (hierzu gab es 15 Nominierungen), „Best Orgy/Gangbang Release“ und „Best Squirting Release“. Ein Film, der in der Kategorie „Most Outrageous“ nominiert worden war, hieß 50 Guy Cream Pie 9, was tatsächlich ziemlich ausgefallen klingt. Dennoch war es offensichtlich bereits der neunte dieser Reihe. Dass es all diese Kategorien zu Beginn der AVN-Awards im Jahr 1984 noch nicht gab, muss wohl nicht extra erwähnt werden.

Im schummrig beleuchteten Fanbereich hinter der Ausstellungshalle plärrte laute Popmusik vor sich hin, während Pornostars hinter Spieltischen herumsaßen und wenig begeistert auf ihr perverses Publikum warteten. So wie es Motten ans Licht treibt, trotteten zahllose Männer in Richtung der austauschbaren sexy Frauen, die, wenn sie nicht gerade den männlichen Blick fesselten, auf ihren iPhones herumtippten. Schweigend, aber zielstrebig durchstreiften die Männer in amöbenartigen Rudeln die Hallen, mit nichts anderem als edlen Muschis vor Augen. Ihre Haltung war gekrümmt, doch der Versuch, ihre Erektion zu verbergen, war aussichtslos.

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Einer von ihnen, wahrscheinlich ein Manager mittleren Ranges, knickte bereits am ersten Tag der Messe ein. Weiß, glatzköpfig und mit einer riesigen Kamera auf dem Schoß saß er schon nach wenigen Stunden erschöpft am Rand—verständlicherweise. Die Rolle des stereotypen Mannes muss unheimlich anstrengend sein. Die Liste der Erwartungen, die an ihn gerichtet wurde, ist endlos lang. Das riesige Objektiv seiner teuren Kamera sah in seinem Schoß wie eine Erektion aus. Überall sah man Männer mit ähnlichen Kameras, deren lange Objektive wie stellvertretende Penisse wirkten. Wenn sie nicht gerade schäbige Fotos von spärlich bekleideten Frauen schossen, klemmten sie sich ihre Kameras zärtlich zwischen die Beine. Immer wenn ich einem fotografierenden Mann in die Quere kam, kam es zu einer dieser drei Situationen: 1. Ich wurde ignoriert.
2. Ich wurde zur Kenntnis genommen, doch er bewegte sich nicht vom Fleck.
3. Er bewegte sich vom Fleck, doch nicht ohne mir einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.

Man könnte meinen, dass man ein ganz besonders großes Ekel sein muss, um eine Pornomesse zu besuchen. Die Menge bestand jedoch keineswegs nur aus fettleibigen Glatzköpfen—auch wenn sie in der Mehrzahl waren. Es waren alle Altersgruppen, Geschlechter und Hautfarben vertreten. Durchschnittlich aussehende, teilweise Händchen haltende Pärchen steckten sich Gleitgelproben und signierte Fotos ihrer Lieblingsdarsteller in die Taschen. Die Reize schienen so überwältigend zu sein, dass die meisten wie stumme Zombies durch die Gegend liefen. Auch ich fühlte mich immer stumpfsinniger. Angesichts meiner Umgebung war das natürlich alles andere erstaunlich. Sex—und stellvertretend die Pornografie—sprechen ja bekanntlich die basalen Instinkte der Fortpflanzung an. Und mit „Fortpflanzung“ meine ich selbstverständlich zwei gebräunte heterosexuelle Frauen, die sich halbherzig fingern.

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Während eine Frau an der Stange tanzte, spielte der Messe-DJ einen Song, der ausschließlich von einer twerkenden Pussy handelte. Als die Pole-Dancerin bereitwillig den darin ausgesprochenen Forderungen („drop that pussy, bitch“) folgte, fühlte ich mich natürlich auch gleich angesprochen und von der misogynen Haltung des Songs angegriffen—wahrscheinlich so wie andere Bitches sich von der Misogynie der gesamten Messe angegriffen fühlen. Wenn ein einziges Ereignis als Beweis für den fortwährenden Niedergang unserer Gesellschaft dienen müsste, dann diese Bühne. Es schien, als würde Idiocracy real geworden sein, doch ich fühlte nichts.

Auch wenn es dir vielleicht gerade anders vorkommt: Ich bin nicht verklemmt. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Leute sich zu ihren speziellen Vorlieben bekennen. Ich habe nicht nur eine Menge Pornos gesehen, sondern sogar redaktionell an welchen gearbeitet und Kritiken über sie geschrieben. Das Problem ist nicht, dass ich prüde, angeekelt oder abgeturnt war. Ich war einfach nur gelangweilt.

Auf der Messe war Sex so allgegenwärtig, dass ich nach kürzester Zeit völlig desensibilisiert war. Ist das der Grund, warum 50 Guy Cream Pie mittlerweile im neunten Durchlauf ist? Oder warum man Steak mit Sex bewirbt? (Hast du, nebenbei bemerkt, schonmal versucht zu vögeln, nachdem du ein Steak gegessen hast? Es geht nicht. Aber ich schweife ab.) Warum muss eigentlich alles in unserer Kultur so verdammt geschmacklos sein? Und warum klingt diese Frage so altklug?

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Ich bin 30 und sollte mich mittlerweile daran gewöhnt haben. Ich hatte Internet in meinem Zimmer und Cybersex, bevor ich 13 war. Vielleicht liegt das Problem darin, dass ich mich schon allzu sehr daran gewöhnt habe. Vielleicht trifft das auf uns alle zu. Gemeinhin definiert man Dinge als obszön, die auf die Lüsternheit des Menschen abzielen und gegen gesellschaftliche Normen verstoßen. Was aber, wenn sich die gesellschaftlichen Normen ändern? Existiert Obszönität dann nicht mehr? Oder ist auf einmal alles obszön?

Als ich die Messe nicht mehr ertragen konnte, schaltete ich in meinem Auto das National Republic Radio an, das wohl das völlige Gegenteil zum Sturm und Drang der Messe darstellte. Die weichen und wohlklingenden Worte der Moderatorin standen im deutlichen Kontrast zu der aggressiven Welt, die ich zuvor durchstreift hatte. In den Sendungen ging es um den Aufstieg des Ku-Klux-Klans und um Fox News. Weil ich Schwierigkeiten hatte, mich zu konzentrieren, ließ ich mich einfach von den Worten berieseln. Ich war noch immer hirntot und behielt nichts.

Auf meiner Fahrt zum Strip hörte ich ebenfalls Radio. Genau wie auf der Messe schlurften die Leute mit offenem Mund die Straßen entlang und steckten alles ein, was ihnen in die Hand gedrückt wurde—meistens Flyer von Begleitservices, die von nicht-englischsprachigen Männern verteilt wurden, die T-Shirts mit Aufschriften wie „Orgasm Clinic“ trugen. Völlig gebannt von den Eindrücken überquerten die Leute die Straßen, ohne nach rechts oder links zu schauen. Auf Werbetafeln wurden ihnen Bräute angepriesen, die sie sich niemals werden leisten können—so wie ihnen auf der Messe das unerreichbare Ziel verkauft wurde, Sex wie ein Pornodarsteller zu haben. Es ist egal, was das Ziel ist. Hauptsache, es ist unerreichbar.

Auf dem Weg nach Vegas fuhr ich durch die Wüste, die nur auf den allerersten Blick wie einer der letzten unberührten Orte der Welt wirkte: Auf Werbetafeln prangten Brüste, und verlassene, mit Graffiti beschmierte Gebäude zerfielen zu dem Staub, auf dem sie gebaut worden waren. Abends, als die Messe zu Ende war, ging ich auf mein Zimmer im Hooters, ein Themenhotel über Brüste. Es gab kein Entkommen.