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Musik

Ein Interview mit einem Typen im Rollstuhl

Bis auf ein paar Ausnahmen tendieren Leute in Rollstühlen eher dazu auf dem Boden zu bleiben. In Moshpits geschmissen zu werden oder Crowdsurfing auf Metalfestivals ist nicht gerade das, was man von Leuten, die an ihren Rollstuhl gebunden sind erwartet. Ivor ist, warum auch immer, in den letzten zwölf Jahren mit solchen Dingen eine echte Legende geworden. Fucking Metal.

Also du bist der Typ, der mit in einem Rollstuhl auf Metalfestivals rumfliegst. Wie kommst du da überhaupt hoch?

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Ivor: Naja, ich frage erstmal ein paar Leute, ob sie mich hochheben wollen. Und bevor du es gesehen hast hänge ich dann schon in der Luft in Richtung Bühne. Das erste Mal war es auf dem Stonehengefestival ´98 Ich gehe auf die Metalfestivals, weil da vor allem kräftige Typen sind, die mich hochheben können. Ich mache das jetzt schon seit zwölf Jahren. Allerdings nur Open-Air, in Clubs haut es mich in die Lampen da oben.

War es das erste Mal eigentlich freiwillig?

Ich hatte ein paar Bier und wollte es wirklich tun. Alles woran ich mich erinnern kann ist, dass ich kurz darauf in der Luft war.

Was sagen die Leute über dich?

Normalerweise ziemlichen Klischeekram, so wie „Wow, das war cool“. Die Bands verspielen sich manchmal wenn sie mich sehen. Ein Sänger kam mal zu mir rüber und sagte „so was geiles hab ich die 25 Jahre nicht gesehen“.

Wurdest du schon mal von einer Band „gebucht“?

Ja, da gab es ein paar Anfragen, aber ich habe abgelehnt. Wenn ich keine Beziehung hätte würde ich es machen.

Wenn du in Luft hängst, drehst du dann die Räder um es so aussehen zu lassen, als ob du über die Leute fahren würdest?

Nein, eigentlich halte ich sie eher fest. Wenn ich nach hinten falle versuche ich mich durch Halten der Räder wieder in eine gute Sitzposition zu bringen. Wenn ich mich gut balancieren kann, dann dauert es länger an und das ist ja mein Ziel—so lang wie nur möglich da oben zu bleiben.

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Hast du schon mal versucht von der Bühne aus eine Art Stagedive-Crowdsurf zu versuchen?

Theoretisch ist das unmöglich. Da sind meistens zwei Meter Platz zwischen Bühne und Publikum für die Security. Auf dem Stonehenge hat mir die Security immer geholfen zurück zum Publikum zu gelangen, nachdem ich bei der Bühne angelangt war.

Wie viele Verletzungen hast du schon verursacht?

Bis jetzt noch keinen so richtig. Eher, als ob dir einer mit Ellebogen Nasenbluten verursacht, so was.

Hast du dich schon mal selbst verletzt?

Noch nie. Einmal bin ich aus meinem Rollstuhl herausgefallen. Der ging nach links und ich nach rechts. Ich hab ihn irgendwo in der Nähe der Bühne wieder bekommen, die Leute haben ihn zu mir rübergetragen. ´99 bin ich über den Köpfen von 5,000 Leuten gesurft. Ich habe jede Sekunde genossen. Die Security hat mich gefragt ob alles OK sei, aber ich hatte sehr viel Spaß. Dann haben sie mir ein T-Shirt geschenkt. Ach ja, da hab ich dann auch mal ein blaues Auge bekommen.

Fällst du oft aus deinem Stuhl heraus? Wie bleibst du da überhaupt in einer guten Position?

Ob ich raus falle oder nicht hängt von den Leuten unter mir ab. Wenn einer von ihnen rutscht oder stolpert sind die Chancen hinzufallen höher. Wenn sie ein gutes Gleichgewicht haben, dann ist alles in Ordnung.

Hast du mit dem Crowdsurfen schon viele Frauen verführt?

Ich glaube ich habe noch niemanden mit meinem Crowdsurfen verführt. Wenn mich ein Mädchen mag, dann aus einem anderen Grund. Aber die Leute geben mir öfter mal ein Bier aus.

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Hast du noch andere Tricks drauf?

Vor zwei Jahren war ich in einem Moshpit. Die einen haben mich in den Pit gestoßen und die anderen haben versucht mich zu schützen. Es ist ein Sport, verstehst du? Und wenn es vorbei ist und du noch lebst machst du es gleich wieder.

Machen sich Leute über dich lustig?

Einmal haben sie versucht mir die Räder abzuschrauben, als ich oben war, aber das war nur Spaß. Sie hatten keine bösen Absichten. Ich wüsste auch wie ich mich rächen könnte.

Es ist sinnlos zu fragen ob deine Behinderung für dich ein Hindernis ist um auf Festivals zu gehen, richtig?

Kleine Festivals sind OK. Auf großen Festivals bin ich immer auf der Suche nach der nächsten Toilette. Wenn ich dann eine habe ist es meistens schon zu spät. Auf Wiesenfestivals bleibe ich meistens im Schlamm stecken, wenn es regnet.

Diese Toilettensache, wie oft kommt das vor, dass es „zu spät“ wird?

Auf jedem Festival kucke ich erstmal wo die Toiletten sind, damit ich dann weiß, wo ich hin muss. Ich benutze auch die Zäune am Rand, wenn es zu weit ist. Und—ja, in der Vergangenheit ging es ein paar Mal schief. Stell dir vor du bist auf dem Weg zur Toilette und wirst die ganze Zeit durch den unebenen Boden durchgeschüttelt. Also habe ich auch immer saubere Sachen dabei.

Hast du dir jemals in die Hose gepisst, weil du bei Regen im Schlamm stecken geblieben bist?

Es gibt immer ein paar coole Leute, die mir da raus helfen.

Vermisst du auf Festivals irgendwas für Rollstuhlfahrer?

Ja—die sollten was mit den Toiletten machen. Ich muss normalerweise nicht direkt vor der Bühne sitzen, sonst kriege ich einen steifen Nacken. Wenn es eine Rollstuhlplattform mit Toilette in der Nähe geben würde, das wäre praktisch. Auf manchem Gelände mit Gras und Schlamm wäre es auch schön, wenn die Rollstuhlfahrer hölzerne Planken nutzen könnten.

FOTO VON MIRA BORN