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Eine Armee von Riesenratten befreit Mosambik von Landminen

Lebensretter statt Parasiten. Die belgische NGO Apopo bringt Ratten bei, Sprengsätze zu erschnüffeln.

Die Minenräumungs-NGO Apopo stellt Minenräumer aus den betroffenen Gegenden ein und schult sie. Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Apopo.

Landminen, Blindgänger und Streumunition sind zu Friedenszeiten nicht weniger wirksam als im Krieg. Geschätzte 72 Länder weltweit sind immer noch von ihnen betroffen. Ihre Verbreitung in vom Krieg erschütterten Ländern hat verheerende Folgen für ländliche Gemeinschaften von Südostasien bis Angola.

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„Die sozioökonomischen Auswirkungen von Landminen und Blindgängern sind sehr groß. Sie blockieren die wirtschaftliche Entwicklung und die arme Bevölkerung in abgelegenen Gegenden leidet unter ihnen”, sagt Tekimiti Gilbert, Verantwortlicher bei der Minenräumungs-NGO Apopo. „Wenn die Bevölkerung weiß, dass es auch nur eine Mine in dem Gebiet gibt, wird sie dieses Land aus Angst nicht mehr für die Landwirtschaft nutzen. Viele dieser Gemeinschaften betreiben Subsistenzwirtschaft. Sie brauchen das Land für Landwirtschaft, Viehzucht und Forstwirtschaft—auch um Brennholz für ihre Häuser zu sammeln. Je weiter man aufs Land fährt, desto größer ist das Problem.”

Zufällig hat Bart Weetjens, ein in Belgien geborener Zen-Buddhist und Gründer von Apopo, Pionierarbeit mit einer neuen Methode geleistet, mit der man Landminen aufspüren und beseitigen kann. Er arbeitet mit Riesenhamsterratten—katzengroßen Ratten, die fast alles für ein Stück Avocado tun würden. Mithilfe anderer Minenräumungs-NGOs und der britischen Regierung sollen diese Ratten dafür sorgen, dass Mosambik bis Ende des Jahres minenfrei wird.

„Viele halten die Idee für verrückt”, sagt Bart Weetjens mit starkem belgischen Akzent und lacht. „Für mich standen die Sterne günstig, als ich die Verbindung zwischen Ratten und Minenräumung fand.”

Weetjens Mission, eine hoch qualifizierte Nagetierkampftruppe zusammenzustellen, begann, als er neun Jahre alt war und seinen ersten Hamster, Goldie, bekam. Kurze Zeit später fing er an, eine ganze Menagerie von Nagetieren in seinem Kinderzimmer zu züchten und die Tiere an Zooläden in Antwerpen zu verkaufen, um sich etwas Taschengeld dazu zu verdienen.

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Ein großer Teil von Weetjens Familie lebte und arbeitete in Afrika, weshalb Weetjens eine starke Bindung zu dem Kontinent aufbaute. Als er sich über das Landminenproblem Gedanken machte, fiel ihm das Dossier zu einer Untersuchung von Inne Ten Have von der Universität Antwerpen in die Hände. In dem Dossier fand er eine Studie von Biedermann und Weinstein, denen es gelungen war, Wüstenrennmäusen mithilfe von Elektroschocks beizubringen, Sprengstoff zu erschnüffeln.

„Kein leichtes Stück Arbeit. Aber ich dachte mir, Ratten könnten das bestimmt. Und sie würden es gern machen!”

   
Mosambik: Ein Ratte findet eine Landmine.

Als Weetjens 1999 mit der Sokoine-Universität in Tansania zusammenarbeitete, begann er damit, eine Armee von Gambia-Riesenhamsterratten zusammenzustellen und zu trainieren. Er baute eine Versuchseinrichtung an der Universität auf und belohnte die Ratten jedes Mal, wenn sie Sprengstoff erschnüffelt hatten, mit Essen—erst unter Laborbedingungen, dann auf einem Feld voller Landminen. Weetjens Theorie hielt auch in der Praxis stand: Die Ratten erwiesen sich als hervorragend geeignet, um Landminen aufzuspüren.

„Ratten sind überaus opportunistisch. Sie würden alles für Futter tun. Und sie mögen Routineaufgaben. Sie arbeiten in übertragenem Sinne für einen Apfel und ein Ei. Sie sind von ihrer Biologie her gut geeignet, weil sie fast blind sind. Außerdem sind sie nachtaktiv. Das bedeutet, dass sie sich auf ihren Geruchssinn verlassen. Und der kann durch gezieltes Training noch verbessert werden.”

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Ratten werden während des Trainings und nach geleisteter Arbeit mit Essen belohnt.

Zusätzlich zu ihrem hervorragenden Geruchssinn haben Ratten den Vorteil, dass sie weltweit verbreitet sind. Das bedeutet, sie können überall gezüchtet und trainiert werden und das mit geringem Kostenaufwand. Außerdem sind sie gegen die tropischen Krankheiten resistent, die in den von Landminen betroffenen Ländern auftreten. Was noch viel wichtiger ist, sie werden sich selbst und ihre Trainer nicht jedes Mal, wenn sie ein Minenfeld betreten, in die Luft sprengen, weil sie viel zu leicht sind, um die Minen auszulösen.

Das Training ist gründlich, denn für den Einsatz auf dem Minenfeld werden die Ratten nach den Internationalen Standards bei der Minenräumung (IMAS) nur zugelassen, wenn sie eine 100-prozentige Erfolgsrate beim Aufspüren von Sprengstoff vorweisen können. Es dauert ungefähr sechs Monate und kostet ungefähr 4600 Euro, um eine Minensuchratte (Mine Detection Rat, MDR) auszubilden. Manche Tiere lernen aber auch schneller als andere.

„Ararat war einer meiner Lieblinge”, erzählt mir Weetjens. „Dieser kleine Kerl war wirklich ungewöhnlich. Eine sehr ehrgeizige Ratte. Die meisten Ratten machen einen Lernprozess durch, aber er hat alles immer beim ersten Mal richtig gemacht.”

Die Ratten von Apopo beim Training

2013, vier Jahre nachdem sie mit ihrer Arbeit begonnen hatten, hat Apopo das IMAS-OK für den Einsatz der Ratten in Minenfeldern bekommen. Nachdem sie umgerechnet 3,4 Millionen Euro an Spendengeldern erhalten hatte, begann die Organisation ihre Arbeit in Mosambik, einem Land, das immer noch von Landminen durchsiebt ist—Überbleibsel aus dem Bürgerkrieg, der von 1977 bis 1992 in dem Land tobte.

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Leider stoßen Apopos Methoden bei potentiellen Spendern immer noch auf Widerstand. Und das, obwohl in den ländlichen Gebieten von Mosambik bereits 6693 Landminen mithilfe von Apopos Ratten gefunden und geräumt werden konnten. (Die Provinz Maputo ist inzwischen minenfrei. Die Provinzen Manica, Sofala und Tete mit ihren insgesamt 1,6 Millionen Quadratmetern sollen bis Ende des Jahres minenfrei sein.) Weetjens ist überzeugt, dass der Widerstand mit den Vorurteilen gegenüber Ratten im Allgemeinen zu tun hat.

„Seit dem Mittelalter haben Ratten einen schlechten Ruf. Das hängt mit der Pest zusammen. Es ist überall das gleiche. Wenigstens die Chinesen haben eine pragmatische Herangehensweise—sie essen Ratten. Aber allgemein werden sie als Schädlinge wahrgenommen.”

Dorfbewohner in den betroffenen Gebieten in Mosambik haben die Ratten hingegen mit offenen Armen empfangen—aber auch erst dann, als Apopo sie überzeugt hatte, dass sie nicht Teil eines Schädlingsbekämpfungsprogramms waren, was viele der Bewohner geglaubt hatten. „Das war wirklich lustig”, erinnert sich Weetjens. „Aber die Menschen haben es dann doch ziemlich schnell verstanden. Und die Ratten waren einfach viel besser als jede Maschine.”

 
Ratten sind nicht schwer genug, um Landminen auslösen. Sie lernen, an der Stelle, an der sie eine Mine gefunden haben, zu kratzen und auf ihren Trainer zu warten.

Bis einschließlich 2013 hatten die Minensuchratten insgesamt 8,8 Millionen Quadratmeter Land in Mosambik abgesucht. Das sind 1260 Fußballfelder. Und das für umgerechnet nur 90 Cent pro Quadratmeter.

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„Einen Quadratmeter abzusuchen und von Minen zu befreien, kostet ungefähr so viel wie eine Flasche Cola. So günstig schafft das niemand”, sagt Weetjens stolz.

Und die Ratten lungern nicht herum. Eine einzelne Gambia-Riesenhamsterratte kann 20 Quadratmeter Land in weniger als einer Stunde durchsuchen. Ein Minenräumer mit einem Metalldetektor würde für dieselbe Fläche über 50 Stunden brauchen. Apopos Ratten werden auch eingesetzt, um Tuberkulose zu erkennen. Weetjens plant, die Fähigkeiten seiner Ratten immer weiter auszubauen.

„Wir setzen Methoden ein, die es Menschen am unteren Ende der Leiter ermöglichen, komplexe Herausforderungen anzugehen—mit einem Werkzeug, das in Einklang mit ihrer Umwelt steht. Afrika ist zum Abladeplatz für giftige Abfälle aus Europa geworden. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass die Fälle von Krebs und Diabetes in der dritten Welt drastisch zunehmen werden.”

Es gibt viel zu tun für Apopos Rattenarmee. Auch wenn die Unterstützung der internationalen Minenräumungsgemeinschaft eher dürftig ausfällt, haben die Ratten in den ländlichen afrikanischen Gemeinschaften, in denen sie eingesetzt wurden, eines Sinneswandel befördert.

„Es ist sehr simpel”, sagt Weetjens. „Wenn die Bauern vor Ort pragmatisch sind, wenn sie sehen, dass dieses Verfahren funktioniert und das Land wieder bebaubar wird, dann werden sie mitmachen. Die nächste Ratte, die sie finden, landet dann nicht mehr auf dem Grill, sondern wird trainiert.”