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Die Debatte um Burkas und Niqabs ist hysterisch

Eine 18-Jährige darf wegen ihres Schleiers nicht zur Schule gehen und in Nizza hat die Polizei eine Frau am Strand gezwungen, ihren Burkini auszuziehen. Statt dummen Verboten gäbe es Lösungen—die Schülerin aus Osnabrück hat eine vorgeschlagen.
Foto: imago | Westend 61

Eine junge Frau darf in Deutschland nicht zur Schule gehen, obwohl sie will. Das Abendgymnasium Sophie Scholl im niedersächsischen Osnabrück verbietet einer 18-Jährigen, in den Unterricht zu kommen, weil sie einen Niqab trägt—einen Gesichtsschleier mit Augenschlitz. Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat ihren Antrag, die Schule weiterhin zu besuchen, abgelehnt. Eine Sprecherin der Schulbehörde sagte auf Nachfrage von VICE: "Das Gericht hat klar entschieden: Wenn sie den Niqab nicht ablegt, darf sie nicht zum Unterricht kommen."

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Die Begründung des Gerichts: Die Schülerin war nicht vor Gericht erschienen, um ihre Argumente persönlich vorzutragen. Sie hatte erklärt, nicht erscheinen zu wollen, weil das Medieninteresse so hoch war. Das zeigt, wie sehr die Vollverschleierung zum Politikum geworden ist. Es ist eine aufgeblasenen Debatte, bei der alle sofort hysterisch werden.

Wohin das führen kann, zeigt sich gerade an französischen Stränden. In Nizza musste eine Frau vor Polizisten ihren Burkini ausziehen, das zeigen Bilder der britischen Boulevardzeitung Daily Mail. In Cannes hielten Polizisten einer Frau in Burkini Pfefferspray ins Gesicht, verwiesen sie vom Strand und drückten ihr eine Geldbuße auf, obwohl sie noch nicht mal einen echten Burkini trug, sondern nur ein Kopftuch, so die Zeitung. 38 Euro kostet der Verstoß gegen das Burkini-Verbot in Cannes.

In Deutschland fährt die Bild-Zeitung seit über zwei Wochen mit mehr als einem Dutzend Artikeln zum Thema eine Kampagne gegen verschleierte Frauen, obwohl keiner so genau weiß, wie viele überhaupt in Deutschland leben. Die Innenminister der Union wollen ihnen verbieten, in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, im Straßenverkehr oder bei Demonstrationen Burkas zu tragen. Bayern will ein solches Gesetz noch in diesem Jahr auf den Weg bringen.

Auch in Österreich wird mal wieder in Kommentaren, Essays und Umfragen über ein mögliches Burkaverbot diskutiert. Die FPÖ hofft nun, so heißt es in einer offiziellen Pressemitteilung, dass der Vorschlag des Verschleierungsverbot nach dem Vorbild anderer Länder umgesetzt wird. Bereits vor zwei Jahren hatten die Blauen die Debatte um ein solches Verbot angeheizt. Damals wurde der Vorschlag als "künstliche Debatte" abgewunken.

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Wir sehen am Beispiel der Schülerin in Osnabrück, wie verhältnislos ein solches Verbot sein kann: Hier wird nicht das Massenphänomen der "unterdrückten Muslima" bekämpft. Hier wird es einer einzelnen gläubigen Frau schwer gemacht, eine Ausbildung abzuschließen. Der letzte vergleichbare Fall ist schon zwei Jahre her. Das Verwaltungsgericht Regensburg hatte damals ebenso entschieden, dass die Schule eine Schülerin mit Niqab ablehnen kann. Für die wenigen Fälle wie jene beiden gibt es noch keine Grundsatzentscheidung.

Die Schule in Osnabrück will sich selbst nicht dazu äußern, warum sie einer jungen Frau den Zugang zum Unterricht verweigert, und verweist an die zuständige Landesschulbehörde. Die Behörde hat in ihrer Stellungnahme Paragrafen zur Hand:

Die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG wird durch das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen nach Art. 7 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 NV begrenzt.

Wie genau der Schleier im Unterricht stört, beschreibt die Behörde so: Ohne Gestik und Mimik einer Schülerin zu sehen, könne der Bildungsauftrag nicht wahrgenommen werden. Außerdem könnten sie die Frau unter dem Schleier nicht sicher identifizieren, also nicht sicher sein, ob sie es wirklich ist, die im Unterricht oder im Test sitzt.

Das zweite Argument klingt erst mal schlüssig, aber die Muslima hatte ja schon selbst eine pragmatische Lösung angeboten: In der Terminankündigung des Gerichts steht, dass sie sich einer weiblichen Lehrkraft vor Unterrichtsbeginn ohne Verschleierung zeigen, aber weiter mit Niqab im Unterricht sitzen wolle. Zum zweiten Argument der Behörde: Die Lehrer könnten Gestik und Mimik unter dem Schleier nicht sehen und deshalb ihrem Lehrauftrag nicht nachkommen. Das wirft theoretisch Fragen auf: Was wäre mit Schülern mit Gesichtslähmung, wäre fehlende Mimik ein Grund, sie nicht zu unterrichten? Müssten Schulen auch Schülerinnen mit Botox-Stirn vom Unterricht ausschließen?

Ilka Hoffmann aus dem Vorstand der deutschen Bildungsgewerkschaft GEW hält die Argumentation der Behörde für schwach. Sie findet zwar nicht, dass Vollverschleierung zum Ausleben der Religionsfreiheit gehört, sieht darin eine Unterdrückung der Frau. Doch gerade deshalb sagt sie: "Wir dürfen diese Frauen nicht vom Unterricht ausschließen, wir müssen mit ihnen im Dialog bleiben, auch darüber, ob die Verschleierung sinnvoll ist."

Das ZDF zitiert zwei Schüler der Abendschule, die den Schleier als "Vermummung" bezeichnen und die Entscheidung des Gerichts gutheißen. "Man weiß ja gar nicht, mit wem man spricht", sagen sie in dem Beitrag. Schule und Schüler hätten auch einfach sagen können: Es ist ungewohnt, aber wir versuchen es. Dann könnte die junge Frau jetzt einfach zur Schule gehen.