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Sport

Eine alte, reiche, weiße Surfer-Gang terrorisiert einen kalifornischen Strand

„Die Bay Boys haben jetzt über die Jahre hinweg Tausende Leute schikaniert, Reifen zerstochen, Autos mit Schlüsseln zerkratzt, Fenster mit Wachs eingeschmiert oder Antennen abgebrochen."
Ein Surfer am Lunada Bay | Foto: bereitgestellt von Geoff Hagins

Die Lunada Bay Boys sind keine typische L.A.-Gang, denn zum einen sind die Mitglieder zwischen 40 und 60 Jahre alt und zum anderen sind sie weiß. Sie leben vom Geld, das sie irgendwann mal geerbt haben. Außerdem sind sie Surfer und laut den Einwohnern des vornehmen Strandorts nehmen sie sich schon seit Jahrzehnten Auswärtige vor (mit dem OK der örtlichen Polizei), um die Herrschaft über einen der begehrtesten Surf-Spots Südkaliforniens nicht zu verlieren.

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Die Bay Boys verteidigen ihre wertvolle Surf-Bucht nun schon seit den 60er Jahren mithilfe von Einschüchterung, Drohungen und Gewalt. Dazu haben die Mitglieder auch schon Reifen zerstochen, Autos besprüht und Leute, die sich an den Strand legten, mit Steinen beworfen. 1995 wollte ein Lehrer in der Bucht surfen und die Bay Boys brachen ihm deswegen das Becken. 1996 musste das Bay-Boy-Mitglied Peter McCullom nach einer außergerichtlichen Einigung 15.000 Dollar zahlen, weil er einen Streit angezettelt hatte—McCullom war damals 34 Jahre alt und lebte von einer Erbschaft.

In Südkalifornien ist es nichts Neues, dass die Ultrareichen öffentliche Strände als ihr Eigentum betrachten. In Malibu haben die Bewohner der Gegend um den sogenannten „Billionaire's Beach" illegalerweise absolute Halteverbotszonen eingerichtet, Strandpfade unpassierbar gemacht und falsche Abschleppwarnungen errichtet—und das alles nur, um auswärtige Besucher abzuschrecken. Nach jahrelangem Kampf gewährt die Gemeinde der breiten Öffentlichkeit jetzt allerdings endlich mehr Zugang. Zwar war das Ganze in diesem Fall eine vermehrt passiv-aggressive Vorgehensweise als die der Lunada Bay Boys, aber das Grundprinzip ist dennoch gleich: Die gut betuchten Locals glauben, dass der Strand nur ihnen zusteht, obwohl er eigentlich öffentliches Gelände ist.

OK, die Bay Boys sind jetzt auch nicht gerade Crips- oder MS-13-Mitglieder und es hat schon etwas ziemlich Dummes an sich, wenn reiche Erwachsene so tun, als seien sie Anthony Kiedis im Film Gefährliche Brandung. Die Bedrohung und die Gewalt, die nun schon lange Zeit von ihnen ausgehen, sind allerdings verdammt real. Warum werden sie also nicht so behandelt wie die anderen Gangs von Los Angeles?

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Die Surfbucht von Lunada Bay | Foto: tiarescott | Flickr | CC BY 2.0

In vielen Strandgemeinden scheinen die örtlichen Behörden solche „lokalpatriotischen" Gruppierungen wie die Bay Boys als bedauernswertes aber eben auch unvermeidbares Element der Surf-Kultur anzusehen. Im Falle von Lunada Bay hat die Gang der lokalen „Treuhandfonds-Babys" (diese Bezeichnung verwendete einst Steve Hawk, ein Redakteur der Zeitschrift Surfer Magazine) aber auch die finanziellen Mittel, um sich aus der Affäre zu ziehen, wenn es zu haarig wird. Die Bay-Boy-Mitglieder sind fest in der wohlhabenden Gesellschaft verwurzelt und ihre Autorität wird dementsprechend nur selten in Frage gestellt.

Die Polizei von Palos Verdes Estates steht schon lange im Kreuzfeuer der Kritik, weil sie es nicht schafft, die brutalen Locals unter Kontrolle zu bringen—einige Beamten haben jedoch auch schon zugegeben, dass die Bay Boys eine organisierte und gewaltsame Macht darstellen würden. Im Mai meinte ein anonymer Polizist aus Palos Verdes gegenüber dem Guardian, dass die Lunada Bay Boys auf jeden Fall so etwas wie eine Gang darstellen würden.

Wenn man nun auf jeden Fall so etwas wie eine Gang darstellt, dann ist man doch eigentlich wirklich eine Gang, oder nicht? Aber was kann man nun gegen eine Gang unternehmen, die auf jeden Fall so etwas wie eine Gang darstellt? Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, sich dem Problem von Verbrechern anzunehmen, die sich vor allem in einer bestimmten Gegend aufhalten. Moment! So etwas gibt es doch. Es wird halt bloß nicht auf Gangs wie die Bay Boys angewendet.

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1995 versammelten sich viele Demonstranten am Lunada Bay. Foto: bereitgestellt von Geoff Hagins

In Kalifornien geht man vor allem mit sogenannten Unterlassungsurteilen gegen Gangs vor. Diese Unterlassungsurteile sind so etwas wie das Gang-Äquivalent einer einstweiligen Verfügung: Sie machen es zu einer Straftat, wenn Gang-Mitglieder in der Öffentlichkeit zusammenkommen oder auf irgendeine andere Art und Weise miteinander verkehren. Unterlassungsurteile sind zwar ein kontroverses Thema, aber sie zeigen auch Wirkung: Ein Unterlassungsurteil aus dem Jahr 2011 gegen die Gangs Puente 13 und Bassett Grande aus dem kalifornischen Ort San Gabriel führte zum Beispiel zu einem 32-prozentigen Rückgang von Gewaltverbrechen und Morden, die mit den Gangs zusammenhängen.

Ein Bericht der Organisation American Civil Liberties Union aus dem Jahr 2010 besagt, dass in Kalifornien derzeit über 150 Gang-Unterlassungsurteile in Kraft sind. Davon wurde allerdings kein einziges gegen eine weiße Gang ausgesprochen—trotz eindeutiger Beweise für deren Existenz. In diese Kategorie lassen sich auch die Bay Boys einordnen.

In einem Radiointerview erklärte Jeff Kepley, der Polizeichef von Palos Verdes Estates, letzten Monat, dass seinem Dezernat das Problem der Bay Boys zwar schon seit Jahren bekannt sei, man aber trotzdem keine koordinierten Schritte gegen die Gang unternehmen würde, weil in vier Jahren anscheinend nur vier Beschwerden eingegangen sind und seit drei Jahren kein Mitglied mehr verhaftet wurde.

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Kepley gab aber auch zu, dass ihm bewusst sei, welch großes Problem diese ganze Sache für unwissende Besucher darstellen würde, die einfach nur an einem öffentlichen Strand surfen wollen und dann mit Steinen beworfen werden und zu einem verunstalteten Auto zurückkehren. Er bezeichnete die Situation als peinlich.

Geoff Hagins, ein Einheimischer aus der nahegelegenen Stadt Torrance, surft schon seit den frühen 60er Jahren in der Gegend und kennt die Probleme von Lunada Bay nur allzu gut—er war nämlich die Person, die in den 90ern von Bay Boy Peter McCollum angegriffen wurde.

„1969 bin ich zum ersten Mal mit den Jungs aneinander geraten. Damals bin ich gerade in die High School gekommen", erzählte mir Hagins. „Ich war mit einem Typen aus Palos Verdes befreundet und wir sind zusammen surfen gegangen. Ich hatte damals noch keine Ahnung, was ‚Localism' überhaupt bedeutet. Nachdem wir dann wieder an den Strand zurückgekehrt waren, wurden wir erstmal eine halbe Stunde lang mit Steinen beschmissen."

Hagins meinte, dass seine schlechten Erfahrungen mit Lunada Bay 1995 ihren Höhepunkt erreichten, als sein 10 Jahre alter Neffe, der einfach nur ein paar gute Wellen erwischen wollte, von Bay-Boys-Mitgliedern dumm angemacht und bedroht wurde. Hagins kam dann schließlich mit einem Nachrichten-Kamerateam im Schlepptau zurück und wurde daraufhin vom bereits oben erwähnten McCollum tätlich angegriffen—so kam es auch zu der 15.000 Dollar teuren Einigung.

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Ein Ausschnitt aus der kalifornischen Zeitung Daily Breeze | Foto: bereitgestellt von Geoff Hagins

Hagins glaubt auch, dass die Gewalt immer extremere Ausmaße annehmen wird, wenn die Behörden nicht bald einschreiten. „Die Bay Boys haben jetzt über die Jahre hinweg Tausende Leute schikaniert, Reifen zerstochen, Autos mit Schlüsseln zerkratzt, Fenster mit Wachs eingeschmiert oder Antennen abgebrochen", sagte er. „Sie bewerfen Besucher mit Steinen und drohen sogar damit, sie von den Klippen zu stoßen."

„Meiner Meinung nach ist das ein schlechtes Omen", fügte Hagins hinzu. „Egal ob nun die Bay Boys jemanden von einer Klippe schmeißen oder das mit einem ihrer Mitglieder passiert, es wird auf jeden Fall eine Tragödie geben, die man hätte vermeiden können, wenn die Polizei ihren Job gemacht hätte."

Laut Kepley gibt es mit einem Unterlassungsurteil gegen die Bay Boys zwei Probleme. Zum einen behauptet der Polizeichef, dass die Gang nicht als eine zusammenhängende Gruppierung angesehen werden kann (und das, obwohl es in anderen Berichten heißt, dass nur sechs bis zehn sich nahestehende Personen für den Lunada-Bay-Localism verantwortlich sind). Zum anderen werfen die Bay Boys zwar mit Steinen sowie Drohungen um sich und attackieren auch schon mal andere Leute, aber Kepley meint, dass sie trotzdem nicht gewalttätig genug sind, da es hier „keine Schießereien, Messerstechereien oder andere Dinge gibt, die man normalerweise mit Straßengangs in Verbindung bringt."

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Es stimmt zwar schon, dass viele kalifornische Gangs mit einem Unterlassungsurteil ein extrem hohes Gewaltpotenzial aufweisen, aber es werden bei Weitem nicht allen Raubüberfälle und Morde vorgeworfen—wenn überhaupt irgendwelche Gewaltverbrechen. So etwas ist nämlich keine Voraussetzung für ein Unterlassungsurteil. Es genügt einfach nur ein Beweis, dass die auf dem Unterlassungsurteil aufgeführten Personen als „Störung der öffentlichen Ordnung" gelten.

2012 erhielten die acht Mitglieder der Metro Transit Assassins aus L.A. ein angepasstes Unterlassungsurteil, obwohl sie in keinster Weise gewalttätig geworden waren. Eigentlich handelte es bei ihnen nicht mal um eine wirkliche Gang, sondern nur um eine Gruppe von Graffiti-Künstlern. Nachdem sie jedoch ein riesiges Mauer-Piece am Ufer des Los Angeles Rivers angefertigt hatten, um gegen verschiedene Maßnahmen der Metro Transit Authority von L.A. zu protestieren, wurden die Tagger-Aktivisten wie eine Gang behandelt und man untersagte ihnen, sich ihn Zukunft miteinander zu treffen.

Um den Zweck von Unterlassungsurteilen zu erklären, meinte der Generalstaatsanwalt von Los Angeles, dass kriminelle Straßengangs eine Sache gemeinsam hätten: Sie beanspruchen ein bestimmtes Gebiet für sich. Die Gangs übernehmen ganze Stadtgebiete und bedrohen Auswärtige, die es wagen, sich in dieser bestimmten Gegend aufzuhalten. Am wichtigsten ist jedoch die Tatsache, dass die Gangs allein durch ihre Präsenz die gesetzestreuen Bewohner des Gebiets bedrohen und einschüchtern.

Wenn der Einsatz von Gewalt zur Fernhaltung der Öffentlichkeit von einem bestimmten Ort das definierende Merkmal einer Gang ist, dann scheinen die Lunada Bay Boys per Definition eine Gang zu sein. Der Strand, den sie für sich beanspruchen, ist für jedermann da und man sollte dort niemandem das Surfen verbieten können. Das gilt vor allem, wenn folgende Aussage Geoff Hagins' wirklich zutreffen sollte: „Die Bay Boys sind ja nicht mal außergewöhnlich gute Surfer!"