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Event-Fußball-Fans sind das Letzte

Das Proletenimage des Fußballs ist leider weg: Er gehört jetzt allen—und damit auch den Gelegenheitsfans, die sich nur alle zwei bis vier Jahre bei Public Screenings Flaggen auf die Wange malen und den „Partyotismus" leben.

Warschau, 12. Juni 2012: Polen vs. Russland, EURO 2012. Foto von Radek Żaks Blog

Europa- und Weltmeistermeisterschaften im Fußball finden abwechselnd alle zwei Jahre statt und bringen allerlei Verheerendes mit sich. Neben sinnlosen überdimensionierten Stadionbauten im Niemandsland der Gastgeberländer, gigantischen Sicherheitsmaßnahmen, meistens alkoholfreiem Sponsorenbier in den Fanzonen und den Stadien, Promiglaubensbekenntnissen zu irgendwelchen Teilnehmern in der Boulevardpresse und einer Flut von grotesk-miserablen Fußballhymnen, sind vor allem die Eventfans ein hochproblematisches Beiwerk.

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Foto: Alexander Hüsing | Wikimedia | CC BY 2.0

Als 2006 in Deutschland das Sommermärchen geschrieben wurde, die ganze Nation sich friedliebend und lebensbejahend zeigte und ihrer Nationalmannschaft, die ihre Panzertaktik à la 1939 ad acta legte, mit Freude beim Zaubern zuschaute, wurde das sogenannte Public Viewing trendy. Menschen, die noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen oder ihre Dorfmannschaft bei der allwöchentlichen 0:10-Niederlage verspottet haben, trugen plötzlich schlechte Utensilien wie Cowboyhütte, schmierten sich die Nationalflaggen ins Gesicht, sangen das miese WM-Lied der Sportfreunde Stiller und feierten Schweini und Poldi vor dem Brandenburger Tor, weil sie so süß und witzig waren und angeblich für ein neues Deutschland mit freundlichem Nationalbewusstsein standen. Der „Partyotismus“ war geboren und schwappte, wie nicht anders zu erwarten, vom Vorreiternachbarland nach Österreich über, das 2008 gemeinsam mit der Schweiz die Europameisterschaft austrug.

Belgrad, 25.5.2014: Crvena Zvezda vs. OFK Beograd. Foto von Radek Żaks Blog

Es wurde also auch hier kollektiv Fußball in Kneipen, Strandbars und anderen Quartieren geschaut—in dem Fall eher das Scheitern der schwachen österreichischen Truppe. Wer etwas auf sich hielt und zur Masse dazugehören wollte, trug ein rotes Trikot von Ausrüster Puma und grölte „Immer wieder Österreich“ auf den Straßen. Nach dem letzten Vorrundenspiel, das in letzter Minute glücklich mit 1:1 endete, sah ich vor der Universität eine Menschentraube, die das Liebenberg-Denkmal bestieg und volltrunken feierte. Ich gehe jede Wette ein, dass diese Eventfans niemals ins nahe Wiener Neustadt oder in die Südstadt fuhren, um sich vom strömenden Regen durchnässt einen Hundskick von Admira Wacker Mödling anzuschauen.

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Gut, man könnte jetzt natürlich fragen, wieso man so etwas auch tun sollte und wer bitteschön so dumm ist, um mit mangelnder Attraktivität als Pluspunkt zu argumentieren. Ein Fußballfan definiert sich jedoch nicht durch Zurschaustellung seiner Vorlieben bei kulturindustriellen Fußballspektakeln, sondern vor allem durch Opferbereitschaft gegenüber seinem Verein, die sich unter anderem in beschwerlichen Auswärtsreisen zu irgendeinem Qualifikationsspiel nach Moldawien oder eben nach Wiener Neustadt zeigt.

Warschau, 8. Juni 2012: Polen vs. Griechenland, EURO 2012. Foto von Radek Żaks Blog

Die künstlich hergestellte Begeisterung und den kommerziellen Nationalismus während der Weltmeisterschaft werde ich boykottieren. Matches werde ich mir nur in einem von mir ausgewählten kleinen, elitären Kleis anschauen oder eben allein. Damit gehe ich Wirtschaftsuniversitätsstudenten mit Sonnenbrillen und Pseudokennern der brasilianischen Nationalmannschaft, die irgendetwas von Lebensfreude brabbeln, gekonnt aus dem Weg.

Das Proletenimage des Fußballs ist leider weg. Er gehört jetzt allen. Stadien tragen Sponsorennamen, VIPs lungern in speziell für sie eingerichteten Zonen herum und schenken dem Spiel nur marginale Beachtung, während sie Kaviar speisen. Jede Pappnase hat eine Meinung zu Manchester United, Frauen lieben Cristiano Ronaldo.

Berlin, 17. Mai 2014: Borussia Dortmund vs. Bayern München. Foto von Radek Żaks Blog

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, merkte ich vor zwei Jahren, als ich während der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine arbeitete. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände (mein Kollege ging Zigaretten holen und fand den Weg zur Bar nicht zurück) machte ich Bekanntschaft mit zwei Hooligans von Slask Wroclaw, die ohne Karte für das Viertelfinalspiel zwischen Deutschland und Griechenland nach Danzig reisten, um gemeinsam mit den befreundeten Jungs von Lechia Gdansk ein paar Deutsche aufzumöbeln.

Nie werde ich ihre enttäuschten, nach Hoffnung suchenden Blicke vergessen, als sie mir beim Sonnenaufgang auf einer Parkbank erzählten, dass sie inmitten des angereisten Familienpublikums, welches durch die malerische Altstadt flanierte, einfach keine hochwertigen Gegner fanden.

Radek auf Twitter: @RadekZak7