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Wenn ein deutscher Ministerpräsident Antifaschisten als Arschlöcher bezeichnet

Ein linker Ministerpräsident bemüht NS-Vergleiche und nennt Demonstranten "Arschlöcher", wegen einer Demo im Wohnort von Björn Höcke, einem 300-Einwohner-Dorf.

Eine Burgruine bei Bornhagen, ein Dorf, sonst nichts. Nachkoloriertes Foto um 1900: Wikimedia

Bis vor wenigen Wochen kannte niemand Bornhagen. Bornhagen ist ein deutsches Dorf. Also, so ein richtiges Dorf. Ein bisschen Mehr als 300 Leute wohnen dort in der kleinen Thüringer Gemeinde. Die größeren Straßen in Bornhagen heißen Bauernweg und Friedensstraße. Dorf-Dorf halt. Ganz in der Nähe gibt es dann da noch die Burg Hanstein, aber das ist eine Ruine. Manchmal gibts da ein Mittelalterfest. Nun hat sich bisher wirklich kaum jemand für Bornhagen interessiert (außer Leute, die Mittelalterfeste mögen). Dörfer wie Bornhagen gibt es ja überall. Dörfer, wo jeder jeden kennt. In Bornhagen kennt zum Beispiel jeder Björn Höcke. Der ist nämlich seit 2014 der Vorsitzende der Landtagsfraktion der Alternative für Deutschland. Außerdem spielt er auch auf Bundesebene eine wichtige Rolle in der rechten Partei, in der Björn Höcke zum rechten Rand gehört. Würde Björn Höcke nicht in Bornhagen wohnen, sondern zum Beispiel in Jena, dann würde sich deshalb niemand für Jena interessieren. Aber bei Bornhagen ist das anders. Weil Björn Höcke da wohnt, sind einige Antifaschisten auf das Dorf aufmerksam geworden und haben entschieden, genau dort gegen die AfD zu demonstrieren. Und zwar nicht nur, weil Björn Höcke da wohnt. In ihrem Aufruf zur Demonstration schreiben Antifa-Gruppen, die sich "Antideutsche Aktion Berlin", "Antifaschistische Gruppen Halle", und "Association Progrès (Eichsfeld)" nennen: "Der Ort ist so etwas wie das idealtypische AfD-Nest: Es liegt eher im Osten als im Westen, ist eher Dorf als Großstadt und eher abgehängt als prosperierend. Wohl auch deshalb erreichte die Partei dort schon zu einem Zeitpunkt, als sie noch in den Kinderschuhen steckte, erstaunliche Wahlergebnisse. Bei den letzten Thüringer Landtagswahlen im September 2014, also noch vor der Flüchtlingskrise, erzielte die AfD in Bornhagen mit 36,5 Prozent ihr absolutes Rekordergebnis."

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Björn Höcke. Im Demoaufruf wird er als "die wohl unangenehmste Gestalt der an unangenehmen Gestalten nicht gerade armen Führungsriege der Partei" bezeichnet | Foto: imago | Karina Hessland

Aber nur weil drei Antifa-Gruppen in irgendeinem kleinen Ort eine Demonstration veranstalten, interessiert sich noch lange niemand dafür. Es braucht schon Auseinandersetzungen mit Neonazis, Polizei oder Anwohnern, damit berichtet wird. Bleiben solche Auseinandersetzungen aus, druckt die Lokalpresse den Bericht vom entsendeten Praktikanten lieber doch nicht ab, weil die Geschichte über den Zirkus, der gerade im Nachbarort ist, spannender ist (da gibt es nämlich einen Löwen). Die Demo, die diesen Donnerstag, also Christi Himmelfahrt, unter dem Motto "Straight to Hell" dort stattfinden soll, bekommt allerdings erstaunliche Aufmerksamkeit. Neben Thüringer Landespresse berichten auch überregionale Medien wie Die Zeit oder die Bild, noch bevor ein einziger Antifa-Reisebus die Dorfgrenze erreicht hat. Und das hat einen Grund: Bodo Ramelow.

Bodo Ramelow ist seit 2014 der Ministerpräsident von Thüringen. Das Besondere daran ist vor allem: Er ist der erste Ministerpräsident, der der Linkspartei angehört. Wenn es überhaupt eine Partei gibt, die Antifa-Demonstrationen eher sympathisch als unsympathisch findet, ist es die Linke. Von der geplanten Demo in Bornhagen hält Bodo Ramelow allerdings nichts. Am 10. April reagierte er auf Twitter auf eine kurze Meldung in der Thüringer Landeszeitung, nach der die Antifa eine Demo vor Höckes Wohnhaus planen würde. Davon ist zwar im Aufruf der Demo nichts zu lesen, und mittlerweile hat ein Aktivist des Demonstrationsbündnis in einem Interview mit der linken Wochenzeitung Jungle World auch klargestellt, dass Höckes Privathaus nie das Ziel der Demonstration war, aber die Meldung war so nun schon einmal in der Welt.

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.— Bodo Ramelow (@bodoramelow)April 10, 2016

Es war dieser Tweet von Ramelow, der die Demonstration überhaupt erst zu einem Thema machte. Wäre man ein Schelm, könnte man meinen, Ramelow wollte den Demonstranten einen Gefallen tun und möglichst viel Aufmerksamkeit auf die Demonstration lenken (denn wie ginge das besser als mit den Worten "Nazi Methoden"?), aber Ramelow machte in Dutzenden Folge-Tweets klar, dass er die Demo tatsächlich ziemlich blöd findet. Doch wenn ein Ministerpräsident, der ausgerechnet der Linkspartei angehört, einer Antifa-Demo "Nazi Methoden" vorwirft, kann man sich auf wochenlange Debatten einstellen.

Antifaschisten demonstrieren in Plauen gegen einen Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai | Foto: | Christian Ditsch

Und Ramelow legte nach. Aus einer Demo vor Höckes Haus machte Ramelow später eine Mahnwache, also eine Demo, die sich nicht bewegt. Und aus "Nazi Methoden" wurde später "NSDAP Methode". Was genau Ramelow meint, wenn er von "NSDAP Methode" spricht, wird aus anderen Tweets deutlich: In einem schreibt er, er meine die NSDAP von 1925, in einem anderen gibt er an, dass er meine, "was die NSDAP mit Fackeln und Wachen bei politischen Gegnern und vor Jüdischen Geschäften gemacht hat". Das könnte man, wenn man wollte, als Verharmlosung von diesen Methoden der NSDAP lesen. Selbst, wenn man die Demonstration in Bornhagen nicht sinnvoll findet, verbietet sich so ein flapsiger Umgang mit der Nationalsozialistischen Geschichte.

— Bodo Ramelow (@bodoramelow)April 11, 2016

Selbst wenn man ignoriert, dass keine Mahnwache vor Höckes Haus geplant war, ist ein Vergleich zwischen einer Antifa-Demo, die jetzt nicht gerade für Fackelmärsche bekannt sind, und dem aggressiven Vorgehen der NSDAP gegen Juden—auch schon in den 1920er Jahren—ziemlich starker Tobak. Es geht ja um grundverschiedene Dinge. Immer wieder macht Ramelow klar, dass es ihm ausschließlich um die Methode ging. Als er von der sächsischen Linkspartei-Landtagsabgeordneten Jule Nagel darauf hingewiesen wird, dass es nicht um einen "Hausbesuch" geht, twittert Ramelow eine Luftaufnahme von Bornhagen und fragt, wie man das bei einer solchen Gemeindegröße unterscheiden solle.

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— Bodo Ramelow (@bodoramelow)April 12, 2016

Auch wenn Ramelow damit indirekt zugibt, dass es sich nicht um eine "Mahnwache" vor Höckes Haus handelt, sondern um eine Demo, die durch ein Dorf geht, bei der er lediglich schätzt, dass sie auch an Höckes Haus vorbeigehen könnte, rudert er nicht zurück, was seinen NSDAP-Vergleich angeht. Dazu hatte er auch wenig Anlass, denn dafür, dass er gegen Antifa-Demos argumentierte, bekam er breite Zustimmung aus allen Teilen der Politischen Landschaft—selbstredend auch von der AfD—und Rückendeckung von seiner Partei.

Es wurde dann wieder ein paar Tage still um die Auseinandersetzung zwischen Ramelow und den antifaschistischen Gruppen. Man hatte auf Twitter und Facebook Argumente ausgetauscht, fand sich gegenseitig blöd, und damit war das Thema erstmal erledigt, bis die Demo kommen würde. Doch dann tauchte ein Video im Internet auf, in dem Ramelow am Rande einer Veranstaltung von Antifaschisten auf die Bornhagen-Demo angesprochen wurde. Im Video sagt Ramelow: "Es kotzt mich an, wie arrogant ihr seid. Das ist so eine intolerante Aktion!" Als er bemerkt, dass er gefilmt wird, greift er nach der Kamera, dann bricht das Video abrupt ab. Der Account, der das Video hochgeladen hat, schreibt dazu, dass erst Ramelows Bodyguards dazwischen gehen musste, bis Ramelow von dem Handy, mit dem gefilmt wurde, abließ. Mittlerweile wurde das Video über 200.000 mal geklickt. Ein Sprecher Ramelows spricht davon, dass die Aktivisten den Regierungschef Thüringens "überfallartig belästigt" hätten. In diesem Zusammenhang

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spricht Ramelow auf Twitter von "Arschlöchern"

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Die Debatte wirft einige Fragen auf.

Darf man in Bornhagen demonstrieren?

Man darf. Das Versammlungsrecht gilt auch in Dörfern, in denen nur 300 Leute wohnen. Die Demonstration wurde ordnungsgemäß angemeldet. Am Dienstag, also zwei Tage vor der Demonstration, wurde ein Demonstrationszug allerdings ohne Angabe von Gründen verboten, stattdessen wird den Antifa-Demonstranten eine "Standkundgebung" erlaubt. Das Demonstrationsbündnis erklärte bereits, gerichtlich dagegen vorzugehen.

Darf ein Ministerpräsident eigentlich "Arschloch" sagen?

Unbedingt. Es ist (unabhängig vom konkreten Fall) erfrischend, dass Bodo Ramelow sich, anders als das Gros seiner Amtskollegen, selbst in Klein-Klein-Debatten auf Social-Media einbringt und auch mal emotional wird. "Arschloch" ist keine schlimme Beleidigung, trotzdem hört man sowas fast nie von einem Ministerpräsidenten. Warum eigentlich nicht? Ist doch OK. Macht euch mal locker! Ein "Arschloch" hat noch niemandem geschadet.

Ist es klug, von "NSDAP Methoden" zu sprechen, wenn man nicht über die NSDAP spricht?

Nein.

Was sagt eigentlich Höcke?

Das da:

(Muss man aber nicht sehen, ist langweilig. Eigentlich sagt er nur, dass er will, dass die Polizei ordentlich drauf prügelt, aber er formuliert das ein bisschen netter.)

Hat Ramelow einen Pressesprecher?

Ja, aber der betreut wohl nicht seinen Twitter-Account.

Wird Sebastian Krumbiegel ein peinliches Lied über die Antifa schreiben?

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Sebastian Krumbiegel ist Sänger der Pop-Schlager Band Die Prinzen, die mit "Ich wär so gerne Millionär" einer ganzen Generation für immer im Ohr bleiben werden. Die Auseinandersetzungen zwischen Ramelow und den Antifaschisten, von der es das Video gibt, hat er als Augenzeuge miterlebt. Gegenüber dem MDR tritt er als Zeuge auf und pflichtet Ramelow in allen Punkten bei. Offen ist nur noch, ob es jetzt noch ein Lied geben wird, das gut ins Ohr geht.

Werden die Demonstranten Fackeln dabei haben?

Wohl kaum.

Macht es Sinn, gegen die AfD dort zu demonstrieren, wo sie am stärksten ist?

Sofern man es überhaupt für sinnvoll hält, gegen die AfD zu demonstrieren, dann ist die Hochburg Bornhagen vielleicht wirklich gar nicht die schlechteste Wahl. Immerhin bekam Höcke dort 38,3% der Erststimmen und wurde damit stärkster Kandidat in dem Dorf. Und mit 36,5% der Zweitstimmen war die AfD die stärkste Kraft im Dorf. Zusätzlich bekam die NPD dort 4,3%. Nur weil ein Dorf klein ist, heißt es nicht, dass man da nicht demonstrieren sollte. Es bringt ja nichts, wenn die Antifa-Hipster in Berlin-Kreuzberg oder vor der Uni in Halle gegen die AfD demonstrieren.

Wie wird die Demo ablaufen?

Das ist noch offen. VICE wird vor Ort sein und berichten. Eine der aufrufenden Antifa-Gruppen sagt jedenfalls schon provokant: "Mal schauen, ob wir die Kirche im Dorf lassen."

Screenshot: Instagram