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Popkultur

Werner Herzog hat viel Zeit für Wrestling

Der Altmeister des Film spricht über seine alte Heimat Bayern, erklärt uns die Filmindustrie und erzählt, warum er Kinder-Yoga so hasst.

Werner Herzog bei sich zu Hause in Los Angeles. Fotos: Jamie Lee Curtis Taete

Erst nach der Veröffentlichung von Grizzly Man und Tod in Texas wurde Werner Herzog zum Gesprächsthema von dir und deinen Freunden. Davor war er einfach nur der mit Preisen ausgezeichnete und von Kritikern gelobte Vater des modernen europäischen Kinos—der Mann, der im peruanischen Regenwald ein 320 Tonnen schweres Schiff über einen Hügel schleppt und der für eine Kurzdokumentation seinen eigenen Schuh kochte und dann aß.

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Diesen Monat hat der Verlag Faber & Faber das Buch A Guide for the Perplexed veröffentlicht, ein Auszug aus den Unterhaltungen zwischen Herzog und dem Autor Paul Cronin. Als Dokument von einem der produktivsten Filmemacher der Welt liest es sich fast wie eine Selbsthilfe. „Gewöhnt euch lieber an den Bären hinter euch“, erzählt er uns und bezieht sich dabei anscheinend auf die Ambition und den Willen, etwas zu erschaffen. Gleichzeitig ruft er einem damit aber auch Bilder von Timothy Treadwell aka Grizzly Man ins Gedächtnis. Ich lehne mich jetzt mal etwas aus dem Fenster und behaupte, dass es das beste Buch des Jahres ist.

Letzte Woche rief ich Herzog an und wir sprachen über Filme, Football, WrestleMania und den abscheulichen Trend des Kinder-Yogas.

Werner Herzog in seinem Haus in Los Angeles.

VICE: Ich bin gerade mit A Guide for the Perplexed fertig geworden. Bist du schon dazu gekommen, das Buch zu lesen?

Werner Herzog: Ja, als wir den ganzen Text nochmals gegengelesen haben. Dabei haben wir keinen Stein auf dem anderen gelassen.

Ist das nicht komisch, seine eigenen Worte noch mal zu lesen?
Ich habe ganz professionell eine gewisse Distanz dazu bewahrt, denn ich glaube, es ist unklug, sein eigenes Werk zu lange zu betrachten. Jetzt ist es ja für die Leser verfügbar. Ich habe viele weitere Projekte am Laufen, mach dir also um mich keine Sorgen.

An welchen Projekten arbeitest du gerade?
Ich stelle gerade Queen of the Desert fertig, ich bereite drei Spielfilme vor und am Ende der Woche kümmere ich mich um meine Rogue Film School.

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Kannst du mir etwas mehr über die Rogue Film School erzählen?
Aber natürlich. Seit 20 oder 25 Jahren gibt es einen stetigen Fluss von jungen Filmemachern, die mich mit dem Wunsch kontaktierten, mein Assistent zu sein, etwas von mir zu lernen oder zu meinem Team zu gehören. Das wurden immer mehr. Ich kann dir ein Beispiel nennen: Vor ein paar Jahren nahm ich in der Royal Albert Hall—dort haben knapp 3000 Leute Platz—an einer Bühnendiskussion teil. Die Veranstaltung war innerhalb von Minuten ausverkauft und von den 3000 Anwesenden wollten mindestens 2000 gerne mit mir arbeiten. Ich versuchte also, diesen Ansturm systematisch anzugehen. Die Rogue Film School kann jährlich 50 Mal oder auch nur einmal stattfinden. Alles was ich brauche, ist ein Projektor. Ich könnte das Ganze auch mitten in der Wüste durchführen.

Was hältst du von dieser jungen Generation von Filmemachern?
Die Leute, die mich kontaktieren, sind oft nicht älter als 15,16 oder 17 Jahre. Ich habe keine Ahnung, wie man diese Generation nennt und das ist mir auch egal. Ich vermisse allerdings die Lesekultur, also von richtigen Büchern. Das ist auch eine Sache, die ich von den Schülern der Rogue Film School verlange—es gibt eine verbindliche Lektüreliste.

Über die Theorie des Films?
Nein, nein. Das ist das Letzte, was ich will. Die Theorie des Films wird sofort über Bord geworfen. Nein, ich rede hier von römischer Dichtkunst aus der Antike, von isländischer Poesie, von einer Kurzgeschichte Hemingways oder vom Bericht der Warren-Kommission über die Ermordung Kennedys—lauter ziemlich wildes Zeug.

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Kannst du mir beschreiben, wie es war, beim Dreh von Die Höhle der vergessenen Träume die Chauvet-Höhle zu betreten—der Fundort der ältesten Zeichnungen der Welt?
Zu allererst muss ich sagen, dass man weiß, welches seltene Privileg man da hat. Jeden Tag besteigen mehr und mehr Leute den Gipfel des Mount Everest. Die Höhlen werden wohl bald für immer geschlossen. Wenn du an einem wissenschaftlichen Projekt arbeitest oder einen wirklich überzeugenden Grund hast, dann bekommst du vielleicht die Erlaubnis, da reinzugehen. Allerdings wurde auch schon Staatsoberhäuptern anderer Länder der Zugang verweigert. Wir müssen die Zeichnungen natürlich mit den Augen der altsteinzeitlichen Maler betrachten. Die hatten nur flackerndes Licht und so entsteht eine Art Dynamik, eine Art Bewegung. Vor der Hauptwand gibt es mehrere Lichtquellen—eine Reihe an Feuern—, die sich allerdings hinter den Leuten befinden. So wurden also auch deren eigene Schatten an die Wand geworfen. Wir wissen nicht, was hinter all dem steckt; wir können nur sagen, dass da ein filmisches Element vorhanden war, ein Spiel von Licht und Schatten.

Du scheinst der akademischen Welt gegenüber eine zynische Haltung einzunehmen.
Nun, die akademische Welt war der Tod der Poesie—oder zumindest fast. Jetzt ist so langsam auch das Kino davon betroffen und die akademische Welt will die Flamme löschen. Das wird allerdings nicht passieren. Immer wenn jemand versucht, das Kino mit einer Theorie des Films anzugehen, will ich damit nichts zu tun haben.

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Ich nehme an, dass du dich nicht wirklich mit der Popkultur auseinander setzt?
Nein, nicht besonders. OK, solche Phänomene wie WrestleMania interessieren mich doch sehr. Ich hab mir auch die Anna Nicole Smith Show angeschaut, weil man da eine sehr komische kulturelle Veränderung sehen konnte. Ich gehe auch zu Football-Spielen, das ist ebenfalls eine Form der Popkultur.

Fliegst du oft zurück in deine Heimat in Bayern?
Ja, so oft es geht. Mir fehlt der bayrische Dialekt. Wenn ich auf der ganzen Welt unterwegs bin, dann vermisse ich aus meinem Heimatland am meisten den Dialekt.

Dort sind deiner Fantasie bestimmt keine Grenzen gesetzt. Hast du dich von Menschen wie König Ludwig II. inspirieren lassen?
Natürlich. Für die Menschen in Bayern ist er ein kultureller Held und für das Verständnis der dortigen Kultur sehr wichtig. Die Träume, die er verwirklicht, und die Schlösser, die er gebaut hat, sind jetzt sogar in Disneyland zu finden. Die Bauten von König Ludwig II. waren die Vorlage für das Disney-Schloss.

Schloß Neuschwanstein, Bayern. Foto: Wikimedia | Public Domain

Viele deiner Werke zeigen Leute in extremen Situationen. Findest du das tägliche Leben nicht interessant?
Nun, doch. Meine Familie ist wundervoll und ich gehöre zu den wirklich wenigen Männern, die glücklich verheiratet sind. Das finde ich am tollsten und aufregendsten. Und ich bin nach Los Angeles gezogen, weil mich vor 20 Jahren verliebt habe.

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Findest du es schwierig, abzuschalten und mit der Beobachtung von Leuten aufzuhören? Hat deine Familie dir schon mal gesagt, dass sie einfach nur in Ruhe frühstücken wollen?
[lacht] Nein. Ich bin ans Filme machen gewöhnt. Natürlich weiß ich auch, wie ich mich meiner Familie gegenüber zu verhalten habe—ich muss da nichts an- und abschalten.

OK, ich war nur neugierig. Findest du dich selbst witzig?
Nun, meiner Meinung nach sind alle meine Filme voller Humor. Als mich Paul Cronin in A Guide for the Perplexed fragt, ob ich der Welt und den zukünftigen Generationen etwas mitteilen will, wurde ich daran erinnert, was der Hotelmagnat Conrad Hilton mal sagte: „Wenn du duschst, dann lass den Duschvorhang nicht aus der Dusche raushängen.“

Cool, das merke ich mir. In Begegnungen am Ende der Welt scheinst du wegen den verrückt gewordenen Pinguinen sehr besorgt zu sein. War das wirklich so?
Schau, das ist schwarzer Humor. Wenn du Filme wie Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen hernimmst, dann lachen die Leute da mehr als bei einer Komödie von Eddie Murphy. In einigen meiner Filme gibt es auch herkömmlichen Humor. Die Leute scheinen den lustigen Charakter meiner Werke erst jetzt zu entdecken.

Wie bekommst du die Leute in deinen Dokumentationen dazu, sich zu öffnen?
Ich gebe meinen Gesprächspartnern immer viel Freiraum. Ich hake auch sehr schnell sehr tief nach. Aber so etwas kann man jemandem nur schwer beibringen. Tod in Texas beginnt zum Beispiel mit dem Geistlichen, der 30 Minuten später bei der Hinrichtung dabei ist. Als ich zum ersten Mal mit ihm sprach, antwortete er immer wie ein Fernsehprediger, total gekünstelt und oberflächlich. Er erwähnte, dass er kurz vorher Golf gespielt hat und dass ihn dabei die Pferde, die Eichhörnchen und das Wild angeschaut hätten. Da unterbrach ich ihn und sagte: „Erzähl mir von der Begegnung mit einem Eichhörnchen.“ Da zerbröckelte seine Fassade und er öffnete sich—wir konnten ganz tief in seine Seele blicken.

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Tod in Texas wurde oft mit Truman Capotes Kaltblütig verglichen. Warst du dir beim Dreh dieser Ähnlichkeiten bewusst?
Man muss hier sehr vorsichtig sein, denn Truman Capote hat die zum Thema gemachten Personen irgendwie ausgenutzt. Ich war Truman Capote gegenüber schon immer misstrauisch, denn er hielt die Veröffentlichung des Buches jahrelang zurück und behauptete, dass es noch nicht fertig sei. Er hat einfach nur gewartet, bis beide wirklich hingerichtet wurden, war bei der Exekution dabei und schrieb darüber ein finales Kapitel. Ich finde das irgendwie verdächtig. Das Buch ist sehr gut geschrieben, aber darf ich etwas anmerken? Mein Film ist tiefgreifender und besser.

Der Trailer von Tod in Texas (Into the Abyss)

Du hast dich dazu entschieden, aus Respekt vor Timothy Treadwell die Tonaufnahme nicht abzuspielen, auf der zu hören ist, wie er in Grizzly Man von einem Bären getötet wird …
Ja.

Hast du während deiner Karriere jemals bereut, eine bestimmte Grenze überschritten zu haben?
Nicht wirklich. Ich finde alle meine Filme gut, sogar die, in denen ich selber mitspiele—zum Beispiel war ich in Jack Reacher der Bösewicht. Ich habe Spaß bei dem, was ich tue. Und übrigens, ich bin in dem Film der Einzige, der irgendwie angsteinflößend wirkt.

Du warst in dem Film in der Tat sehr angsteinflößend.
Ja. Ich wurde gut bezahlt und war auch jeden Cent wert.

Wie war es, mit Tom Cruise zusammenzuarbeiten?
Interessant. Ich mag seine unermüdliche Professionalität. Er ist ein sehr großzügiger und freundlicher Mensch. Du hältst dich nicht für so viele Jahrzehnte an der Spitze, wenn du nicht etwas Besonderes an dir hast.

Gibt es Schauspieler, mit denen du gerne noch zusammenarbeiten würdest?
Ja. Humphrey Bogart, Edward G. Robinson, Lillian Gish …

Das könnte schwierig werden.
[lacht] Marilyn Monroe! Nein, ich hatte das Privileg, mit den Besten der Besten zu arbeiten. Das aktuellste Beispiel ist Nicole Kidman, sie ist sensationell.

Kannst du mir noch schnell erklären, warum du Fitnessstudios, Yogakurse und öffentlich trainierende Leute verachtest?
Ich verachte auch Yogakurse für Kinder, such dir was aus. Das lasse ich jetzt mal so stehen. Schreib einfach, dass ich absolut kein Verständnis für Kinder-Yogakurse, Yogastudios und solche Sachen habe.

Aber du bist doch mit David Lynch befreundet, der sich viel mit der Transzendentalen Meditation beschäftigt. Wäre das denn überhaupt nichts für dich?
Nein. Punkt.

Danke, Werner.