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Der zurückhaltende Filmstar aus Nordkorea

Am 4. Januar 1965 hat sich ein verwirrter junger Unteroffizier der US-Army namens Charles Jenkins zehn Bier runtergekippt, bevor er sich seiner nächtlichen Patroullienschicht entlang der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea gestellt hat.

Am 4. Januar 1965 hat sich ein verwirrter junger Unteroffizier der US-Army namens Charles Jenkins zehn Bier runtergekippt, bevor er sich seiner nächtlichen Patroullienschicht entlang der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea gestellt hat. Er war dort seit gut einem Jahr stationiert. Weil er bereits vorher zwischen Südkorea und US-Stützpunkten in ganz Europa hin- und hergeschubst worden war, war seine größte Angst, dass er als nächstes im vom Krieg zerstörten Vietnam landen könnte. In seinem Kopf lief immer wieder der gleiche Film mit Szenen aus den Horrorgeschichten ab, die er über die Schlachten in Südostasien gehört hatte. Er hatte Angst im Dschungel zu sterben und fasste in seinem vernebelten Zustand eine Kurzschlussentscheidung. Er stolperte besoffen über die Grenze zu Nordkorea, warf seine Hände in die Luft und ergab sich den kommunistischen Feinden. Und er blieb die nächsten 40 Jahre dort, bevor er die Flucht ergriff.

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Und was würdest du tun, wenn du dir 40 Jahre lang in Nordkorea die Zeit vertreiben müsstest? Ja, richtig, du würdest dich dem Kino des sozialistischen Realismus annehmen und ein genialer Schauspieler werden, der eine ganze Nation von Fans um sich schart, die dich genau so viel anbeten, wie es ihnen ihr despotischer Anführer erlaubt.

Den flüchtigen Unteroffizier Jenkins aufzuspüren, dem letzten Endes im Jahre 2004 die Flucht gelang, war aber gar nicht so schwer, wie wir zunächst angenommen hatten. Wie sich herausstellte, hat er seinen kommunistischen Promistatus gegen ein ruhiges Leben eingetauscht und verkauft jetzt in einem Souvenirladen Reiskuchen. Das tut er auf der kleinen Insel Sado, die man in ungefähr drei Stunden mit der Fähre vom japanischen Festland aus erreicht. Aber das ist ein offenes Geheimnis.

Es ging also nach Sado. Ich musste einen ganzen tag lang umherschnüffeln und in der schier unendlichen Masse von Souvenirläden nachfragen, bis ich endlich herausfand, wo ich ihn finden konnte. Irgendwann landete ich im Sado Island History Museum, in dem sich ganz hinten ein kleiner Souvenierladen befindet. In diesem Laden fand ich einen alternden Unteroffizier Jenkins vor, der gerade mit ein paar japanischen Kolleginnen älteren Semesters an einem Souvirstand herumtöpferte.

Im Alter von 79 Jahren ist Jenkins, genau wie die meisten anderen Leute, einfach ein verschrumpelter alter Mann. Traurigerweise verströmen seine strahlend blauen Augen eine Mischung aus Leid und Sehnsucht. Ich fürchte, ein Filmstar zu sein ist nicht so lustig, wenn dich ein kommunistisches Regime unter Androhung einer Knaststrafe dazu zwingt. Oh und falls ihr euch jetzt fragt, warum sie ihn dazu gezwungen haben—na ja, irgendjemand muss ja die Rolle des bösartigen, amerikanischen Imperialistenführers in den ganzen nordkoreanischen Propagandafilmen, die jeden Sonntagnachmittag die USA durch den Dreck ziehen, übernehmen, oder nicht? Ist jedenfalls besser, als einem Koreaner helles Make-Up zu verpassen.

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Ich hatte kein offizielles Treffen mit ihm arrangiert—er gibt nämlich in der Regel keine Interviews—also musste ich vorsichtig sein, wie ich mich ihm nähern und was für Fragen ich ihm stellen sollte. Nicht studiert und aus bescheidenen Verhältnissen stammend, spricht er immer noch mit einem starken Südstaatenakzent, der in Verbindung mit seiner gealterten Kinnlinie ziemlich schwer zu verstehen ist. „Ma Korean’s betta than ma English, I tell yer”, sagte er, als wir uns neben einem Keksregal unterhielten, um das er sich gerade kümmerte.

Ich erzählte ihm ganz ehrlich, dass ich extra wegen ihm auf die Insel gekommen war, weil mich seine Geschichte so interessiert hatte und ich mein Verständnis von Nordkorea um eine menschliche Seite erweitern wollte. Ein Ausdruck der Verzweiflung verfinsterte sein Gesicht. Menschen wie ich, so erzählt er mir, kommen immer wieder zu ihm, weil sie auf Geschichten hoffen, die er ungern immer wieder aufwärmen würde. Dann fing er mit einer Art Dementi an, das erstaunlicherweise halb nach Gung-ho-Soldatenjargon und halb nach automatisierter Standardantwort klang.

„Ich weiß eine Menge Dinge, die ich niemals jemandem erzählen könnte… Dinge, die die USA in größere Probleme mit dem Rest der Welt verstricken würden, als ihr euch das vorstellen könnt. Aber die kann ich dir nicht erzählen, weil das Teil des Deals ist. Deshalb haben sie mich gehen lassen, weil ich versprochen habe, niemandem von diesen Dingen zu erzählen.“

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Ich fragte ihn also stattdessen über sein Leben auf Sado aus. „Meine ganze Familie lebt jetzt hier“, erzählte er mir. „Meine Töchter haben sich auch hier niedergelassen. Eine ist 26 und arbeitet in der Grundschule. Meine Frau ist gelernte Krankenschwester, aber wurde damals von den Nordkoreanern entführt, um Koreanern japanisch beizubringen. Das klappte aber nicht besonders gut, weil sie nie dafür ausgebildet worden war. Jetzt arbeitet sie hier in einem Altenheim. In den USA bin ich nicht mehr willkommen, weil ich ein Verräter bin. Deshalb lebe ich jetzt hier, weil meine Frau von hier herstammt.“

Als ich ihn fragte, womit er auf Sado so seine Zeit verbringt, griff er hinter die Theke bei der Kasse und zog stolz eine zerschrammelte Kopie von Mr. Bike Magazine hervor. Auf dem Cover war ein Foto von ihm, wie er auf einer Harley sitzt, die locker die Größe eines Babywals hatte. „Ich fahre einfach gern Motorrad. Für mich ist jeder Tag, den ich auf dieser Insel verbringe wie Urlaub. Es ist einfach ein friedlicher Ort, an dem du leben kannst, ohne über die Vergangenheit nachzudenken.“

Jenkins floh nach Nordkorea nachdem ihm erlaubt worden war, nach Indonesien zu reisen, um sich dort medizinisch versorgen zu lassen. Mit Hilfe der japanischen Regierung konnte er dann nach Japan fliehen. Die US-Regierung weigerte sich jedoch, ihm seine Schuld zu erlassen und Jenkins beschloss, sein Gewissen zu erleichtern, indem er sich einer Gerichtsverhandlung wegen seines Verrats von damals stellte. Aber von dem, was er über die Verhandlung erzählte—worüber er viel offener spricht als über alles, was ihm jemals in Korea widerfahren ist—konnte man schließen, dass er irgendwie sogar Spaß daran hatte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er erzählte, „Ein Anwalt aus Südkorea kam nach Japan und machte alles für mich umsonst. Meine Zeit im Gefängnis war wie ein Urlaub! Vergiss nicht, ich war genau genommen immer noch ein Unteroffizier, als ich Nordkorea verließ, also mussten sie mich immer noch bezahlen… Ich saß im Knast und wurde bezahlt! Jeden Tag, den ich dort verbrachte, arbeitete ich sowieso mit den Geheimdiensten zusammen—es war ein einziges großes Täuschungsmanöver für die Welt da draußen, damit es so wirkte, als würden sie Gerechtigkeit walten lassen. Unterm Strich gesehen hatte ich schließlich mein Land betrogen und die Leute wollten mich dafür bestraft sehen—aber ich half einfach der Regierung mit allem, was ich wusste. Sie gaben mir die kürzeste Strafe, die sie verantworten konnten und erließen mir dann noch eine Woche mehr wegen guter Führung, damit es nicht so aussah, als würde ich unbestraft davonkommen.“

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Jenkins hat über seine Erlebnisse in Nordkorea ein Buch geschrieben, das in Japan zum Bestseller wurde und danach ins Englische übersetzt wurde. Nachdem er das publiziert hatte, wollte er verständlicherweise nicht mehr viel über seine Vergangenheit sprechen. Als ich ihn über das extrem grausame und unproduktive Interview, das die US-Show „60 Minutes“ mit ihm gemacht hat, befragte, meinte er, „Ja, sie gingen ziemlich hart mit mir ins Gericht, aber ich verdiente es ja auch.“ Dann wendete er sich einem jungen, japanischen Mitarbeiter zu und bat ihn darum, ihm ein paar belanglose Details über das Interview und wie er dort hingereist war, zu erzählen.

Der Japaner antwortete in perfektem, amerikanischem Englisch. Warum arbeitet so ein Kerl bloß hier? Ein gut gebauter, zweisprachiger Typ, mit einem Kinn wie gemeißelt, kann doch bestimmt einen besseren Job kriegen, als auf einer Insel am Arsch der Welt Kuchen zu verkaufen? Ich vermutete jedenfalls, dass der Typ bestimmt irgendeine Art Spion oder Bodyguard der Regierung ist, der hier stationiert worden ist um Jenkins zu schützen und gleichzeitig sicher zu gehen, dass er seine Geheimnisse auch für sich behält.

Als wir noch ein bisschen länger durch den Laden gingen, erzählte mir Jenkins von Nordkorea und wie er dort niemals einfach das tun durfte, was er wollte und wie es niemals genug zu essen gab und wie er es alles dort hasste. Aber dabei blieb er immer ziemlich vage, also drängte ich ihn auch nicht, mehr zu erzählen.

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Dann zeigte er mir ein paar Bilder seiner Familie, bevor sie gemeinsam aus Nordkorea flohen. Auf einem der Bilder war ein kleines Mädchen namens Megumi zu sehen, das zusammen mit seiner Tochter fotografiert worden war. „Megumi ist immer noch in Nordkorea“, erzählte er traurig. „Sie war die Tochter einer der japanischen Frauen, die von den Nordkoreanern entführt worden waren. Ich weiß nicht, ob sie es jemals aus dem Land rausschaffen wird. Das ist eine Tragödie. Definitiv.“

Ich erwähnte, dass ich von seiner A-List-Filmstarkarriere gehört hatte und seine Reaktion war ein sarkastisches Schnaufen. „Wenn die Nordkoreaner mit mir einen großen Fehler gemacht haben“, sagte er, „dann war das, mich zu einem gottverdammten Filmstar zu machen. Ich musste in allen Filmen den amerikanischen Bösewicht mimen. Es war schrecklich. Ich kann doch nicht schauspielern! Aber dadurch, das ich es trotzdem tat, wurde ich irgendwie schon ein bisschen zum Star. Ich meine, ich durfte dadurch in höheren Kreisen verkehren. Wenn fremde Diplomaten, in der Regel aus anderen Sowjetstaaten, zu Besuch kamen, dann durfte ich sie treffen. Ich wurde präsentiert wie eine Trophäe.“

„Obwohl das Menschen aus anderen sowjetischen Ländern waren, waren sie meistens nicht ganz so übel wie die Nordkoreaner und die Gesellschaften in ihren Ländern waren im Vergleich auch viel freier. Sie hatten Mitleid mit mir und brachten mir heimlich Bücher und Filme aus dem Ausland mit. Sie waren die einzigen, die so etwas durften. Das war damals der einzige Weg, wie ich auf dem Laufenden bleiben konnte mit dem, was in der Welt da draußen passierte.“

Er lehnte sich so zu mir rüber, dass der Typ, von dem ich vermutete, dass er sein Bodyguard war, uns nicht hören konnte. „Manchmal brachten sie mir auch andere Sachen mit, aber darüber darf ich jetzt nicht mehr erzählen.“

Und in dem Moment tauchte in der Tür eine Horde japanischer Rentner mit teuren Spiegelreflexkameras und massiven Neon-Sonnencaps auf. Höflich, aber abrupt entschuldigte sich Jenkins, „Tut mir leid, ich habe Kunden“, sagte er, und dann ließ er mich stehen, um sich seinen Kunden zuzuwenden.

ALEX HOBAN