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Hatte Blu eigentlich das Recht, sein eigenes Graffiti zu zerstören?

Das berühmteste Graffiti Berlins ist anscheinend von Freunden des Künstlers selbst übermalt worden. Nicht alle finden das cool.
Foto: Grey Hutton

Als die Berliner letzten Freitag aufwachten, erwarteten sie gleich zwei Überraschungen. Erstens ist das berühmte Graffiti des italienischen Künstlers Blu an der Cuvry-Brache in der Nacht übermalt worden. Und zweitens: Dahinter steckt weder der Investor noch die Stadtverwaltung, sondern der Künstler selbst.

@metronaut es ist so weit :( pic.twitter.com/78nV8twlnL

— Marc Honninger (@MarcHonninger) 11. Dezember 2014

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Zumindest wenn man ​Dmitry Parany​ushkin​ Glauben schenken kann. In einem vielzitierten Eintrag erklärt der Blogger, Freunde von Blu selbst hätten das Bild als „verzweifeltes Statement" übermalt, „damit niemand das Original ausnutzen kann." Zur Erklärung: Nachdem die vorher besetzte Brache im Herbst geräumt wurde, steht einer Bebauung mit Wohnhäusern durch ihren Besitzer nichts mehr im Wege. Laut Dmitry gab es Pläne, die Graffiti trotzdem zu erhalten—allerdings hätten sie dann nur noch die Bewohner der neuen Wohnungen sehen können, die man dann womöglich noch als Objekte mit exklusivem Blick auf ein Stück total subversiver Kreuzberg-Kultur hätte vermarkten können.

Wenn das stimmt, hätten Blu und seine Malerfreunde also ziemlich deutlich gemacht, dass das absolut nicht in ihrem Sinne ist. Im Internet haben die meisten Berliner mit Trauer, ​aber auch Verständn​is auf den Verlust dieses Kreuzberger Wahrzeichens reagiert. Alle scheinen sich einig: Blu hat ein starkes Zeichen gesetzt, indem er sein eigenes Kunstwerk wieder zerstört hat. Aber hat der Künstler eigentlich das Recht dazu?

Protest gegen Gentrifizierung: Paint it black in Kreuzberg. #cuvrybrache #blu http://t.co/7rKX9S1RKR pic.twitter.com/cR5vNw5MJD

— Svenja Bednarczyk (@svnjb) 12. Dezember 2014

Für Dmitry Paranyushkin zum Beispiel steht fest, dass die Aktion zwar ein großes „Fuck You" an die Stadt und die Immobilienfirma ist—„aber vor allem an die Menschen, die dieses Kunstwerk lieben." Was Paranyushkin besonders ärgert: Einige Anwohner hatten eine Petition gestartet, um die Bebauung der Cuvry vor allem mit dem Argument zu verhindern, dass man das Graffiti sichtbar erhalten müsse. Durch die Übermalung ist die jetzt natürlich sinnlos. Sie sei deshalb ein „völlig dummes und sinnloses" Statement, schäumt Paranyushkin.

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In den Kommentaren sind auch einige der Meinung, dass ein Straßenkünstler sowieso jedes Recht an seinem Werk verliere, wenn er Dinge in den öffentlichen Raum male. Zugegeben, er hat das Bild in die Welt gesetzt (und das war ganz schön harte Arbeit, wie das Vi​deo beweist). Aber darf er es deshalb auch wieder aus ihr nehmen? Was ist mit all den Menschen, für die das Graffiti zu einem Teil Kreuzbergs geworden ist?

Tatsächlich ist die Frage, ob ein Künstler seine eigene Kunst zerstören darf, nicht ganz neu: Schon Monet machte seine Freunde sehr unglücklich, weil er die Angewohnheit hatte, seine Teichansichten reihenweise wieder zu verbrennen. Seine Frau klagte, weil er „jeden Tag Löcher in die Leinwände sticht … wie er die Ergebnisse von acht Jahren Arbeit behandelt, ist äußert ungerecht!"

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte ist Gerhard Richter, der ebenfalls eine ganze Menge seiner frühen Gemälde wieder zerschnitt.  ​Der Spiegel hat neulich ausgerechnet, dass die zerstörten Bilder des „wichtigsten Malers unserer Zeit" heute mindestens eine halbe Milliarde Euro wert wären. Das scheint Richter zwar nicht zu kümmern, aber er gibt doch zu, dass er „das ein oder andere" Bild nicht unbedingt hätte vernichten müssen. Vor allem ein 1962 entstandenes Porträt von Hitler, das Richter „zu spektakulär" fand und vernichtete, betrauert die Journalistin: „Für die Geschichte der Kunst wäre es ein fundamentales Bild gewesen."

Deshalb ist es manchmal durchaus sinnvoll, Kunstwerke vor ihren Schöpfern in Sicherheit zu bringen: Kafkas Werk hat nur überlebt, weil Max Brod sein heiliges Versprechen gebrochen und es nach Franz' Tod nicht vernichtet hat. Stellt euch vor, man hätte Kafkas Willen berücksichtigt! Wir müssten alles als „irgendwie weird" bezeichnen, was wir jetzt salbungsvoll „kafkaesk" nennen können.

Natürlich ist Blus Entscheidung sympathisch, weil er dem Investor deutlich aufgezeigt hat, dass man nicht alles für Geld haben kann—vor allem nichts, was vorher als Geschenk an alle gedacht war. Wenn der Investor dachte, er könnte beides haben: ein gutes Geschäft mit Yuppie-Wohnungen und ein bisschen anarchistischen Flair, dann hat ihm Blu ziemlich deutlich gemacht, dass er das vergessen kann.

Für die Kreuzberger, die sich an die komischen weißen Figuren gewöhnt hatten, hätte es sowieso keinen großen Unterschied gemacht, denn aller Wahrscheinlichkeit nach hätte niemand die Graffiti mehr sehen können. Im Grunde hat Blu sein Kunstwerk also gar nicht zerstört, sondern der Investor. Der Künstler hat nur dafür gesorgt, dass der Grabräuber auch nichts mehr von seinem Raub hat.