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Heroin auf Rezept

Süchtige können bestätigen, dass die umstrittene Strategie, sie mit Heroin zu versorgen, machmal besser als alles andere funktioniert. 

Heroin ist und bleibt eine beliebte Droge. Via WikiCommons

In einigen Teilen von Kanada herrscht seit Jahren ein Problem mit Heroin. Zwar gibt es kaum Statistiken darüber, doch 2008 beschrieb ein ehemaliger Fixer den Drogenkonsum in der kanadischen Provinz British Columbia als „seuchenartig“.

2010 wurde die Hauptstadt Vancouver in einer BBC-Reportage als die „Drogenzentrale Nordamerikas“ bezeichnet. Allerdings zeichnet sich nun eine neue Strategie im Kampf gegen die Sucht und die Unzahl der damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme ab: Ärzte sollen Süchtigen Heroin verschreiben, damit diese an die benötigte Droge kommen, ohne dabei kriminell zu werden. Obwohl Studien ergeben haben, dass dieser Ansatz vielen Langzeitabhängigen helfen kann, will die kanadische Regierung dagegen ankämpfen.

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Heroin wird bereits in einigen europäischen Staaten verschrieben, zum Beispiel in der Schweiz, Deutschland, Dänemark und in den Niederlanden.

Eine Studie darüber, wie effektiv es ist, Süchtigen unter der Aufsicht von Ärzten Heroin zu geben, war die North American Opiate Medication Initiative (NAOMI), die 2005 startete. Am Ende wurden 251 Süchtige aus Vancouver und Montreal rekrutiert, die zuvor mehrmals erfolglos versucht hatten, von der Droge runterzukommen. Einer Kontrollgruppe wurde Methadon verabreicht.

Die Ergebnisse, die 2009 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden, zeigen, dass injizierbares Heroin—in der Medizinersprache Diacetylmorphin genannt—ein weitaus effektiverer und effizienterer Weg als Methadon ist, um Abhängige aus dem teuren Teufelskreis aus Verbrechen, Infektionen, Überdosen und Krankenhausbesuchen zu befreien. Im Vergleich zu denen, die durch Methadon von der Droge runterkommen wollten, griffen die mit Heroin versorgten Teilnehmer seltener zu Straßendrogen, begangen weniger Verbrechen, fanden öfter eine Anstellung, hatten mehr Kontakt zu ihren Familien und waren schlichtweg glücklicher.

Dave Murray nahm an der Studie teil und gründete 2011 die NAOMI Patients Association. 2005 war er bereits in den Fünfzigern und schien lebenslang süchtig zu sein.

„Ich wohnte in einem Belegschaftshotel im ärmsten Viertel der Stadt. Das Glück hat mich verlassen, ich habe alles verloren“, erzählte er mir am Telefon. „Ich dealte mit Drogen, um mir meine Sucht zu finanzieren, und war kriminell. Ich tat Dinge, die so schrecklich sind, dass ich nicht darüber reden will. Ich beschreibe die Sucht oft mit dem Bild eines Hundes, der seinem eigenen Schwanz hinterherjagt und sich immer wieder im Kreis dreht, bis er schließlich einschläft. Wenn er aufwacht, fängt er gleich wieder von vorne an. Das ist das Leben eines Süchtigen; es ist anstrengend.“

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Dave sagte, dass er 1971 zum ersten Mal clean werden wollte. Die nächsten drei Jahrzehnte versuchte er immer wieder, die Sucht zu überwinden. Doch weil das Ziel der Abstinenz unerreichbar schien, blieb er immer wieder bei Straßendrogen hängen.

Durch die Regelmäßigkeit der NAOMI-Studie begann sich Daves Leben jedoch zu stabilisieren. Der Stress, dem eigenen Schwanz hinterherjagen zu müssen, war vorbei—es war, als ob eine Last von ihm gefallen wäre. „Die Studie hat mir den Kopf freigemacht und mir eine Chance gegeben“, sagte er. Zwölf Monate lang wurde Dave morgens, mittags und abends unter medizinischer Aufsicht ein Schuss gesetzt. Dank dieser Regelmäßigkeit konnte er sich auf andere Dinge konzentrieren. Doch als das Experiment dann vorbei war, musste Dave zum Methadon zurückkehren.

„Methadon war die Droge, mit der wir es alle erfolglos probiert hatten, bevor wir in das Programm einstiegen“, erzählte er mir. „Es war also ein ziemliches Dilemma für die Leute hier. Nachdem ich das Programm durchgemacht hatte, wollte ich nicht wieder dahin zurückfallen.“

Doch es blieb ihm nichts anderes übrig. Er kehrte zum Leben des Straßensüchtigen zurück, das er bereits kannte und das aus der stumpfen Abfolge von Heroin, einer Behandlung, Heroin, weiteren Versuchen, clean zu werden, und noch mehr Heroin bestand. Währenddessen traf er in seinem Viertel immer wieder auf Leute, die er bei der NAOMI-Studie kennengelernt hatte. Alle waren verwirrt und angepisst. Warum durften sie die Behandlung nicht weiterführen, wenn sie doch offensichtlich funktioniert hatte?

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„Die Vorstellung, dass die Regierung Millionen für die NAOMI-Studie ausgibt und dann Däumchen dreht und nichts mit den Ergebnissen anfängt, hat mich wirklich wütend gemacht“, sagte er. „Wir brauchen eine Strategie für den Ausstieg. Dass wir diese ganzen Ergebnisse haben und trotzdem für niemanden etwas tun, ist einfach unmoralisch und falsch.“

Dave und andere Süchtige standen immer vor dem gleichen Problem: Sofern sie es geschafft hatten, durch das verschriebene Heroin etwas mehr Ordnung in ihr Leben zu bringen, stellte sich ihnen nun die Frage, was sie tun sollen, wenn ihnen diese Behandlung nicht mehr zur Verfügung steht.

Aber die konservative Partei hat eine Petition gestartet, die ihre reflexhafte harte Linie bei Drogenfragen widerspiegelt. Wen kümmert es auch, ob verschriebenes Heroin Leben verbessern könnte. Das Wichtigste ist doch, dass Heroin böse ist und dass Abhängige wie Kriminelle behandelt werden.

„Ich war schockiert, dass Health Canada dem Vorschlag zugestimmt hat, Heroin an Süchtige zu geben—gegen den Willen unserer gewählten Regierung“, heißt es in der Petition, bevor es mit einer aggressiven Angstmacherei weitergeht. Unsere Gegner sind die Junkie-Parteien!

Dave Murray kann bestätigen, dass die umstrittene Strategie, Süchtige mit Heroin zu versorgen, machmal besser als alles andere funktioniert. Mehr noch ist es aber einfach grausam, jemandem Heroin zu verschreiben, ihm ein Jahr lang eine sichere, legale Umgebung zu bieten und ihm dann, wenn die Studie vorbei ist, diese Stabilität wieder zu entziehen.

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„Wenn man jemanden aus der Scheiße zieht, dann zieht man ihn nicht nur bis zur Hälfte raus und lässt ihn dann sitzen“, sagte er. „Du musst die Leute ganz rausziehen und ihnen wirklich helfen. Dann wirst du merken, welche Ressourcen diese Leute haben. Stell dir vor, du musst jeden Tag losgehen und dir ohne einen Job hundert oder zweihundert Dollar besorgen. Die Leute müssten ihr Potenzial für etwas anderes einsetzen, als jeden Tag Geld für Heroin klarzumachen. Wenn sie die Möglichkeit hätten, in einem anderen Gebiet erfolgreich zu sein, würdest du staunen, wie weit es ein paar von ihnen mit ein bisschen Unterstützung bringen würden.“

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