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Popkultur

Heulsuse der Woche: Alle gegen Merkel vs. „Aufwachen Deutschland“

Horst Seehofer und die AfD wollen Angela Merkel wegen ihrer Asylpolitik verklagen und Facebook-Nutzer regen sich darüber auf, dass Schüler ein Flüchtlingsheim besuchen.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Horst Seehofer, die AfD und ein wütender Bürger

Foto: imago/Christian Thiel

Der Vorfall: Angela Merkel zeigt sich aktuell von einer ungewohnt menschlichen Seite und spricht sich offen dafür aus, auch weiterhin Flüchtlinge aufzunehmen.

Die angemessene Reaktion: Sich freuen, dass Deutschland sich so für Menschen aus anderen Ländern einsetzt. War ja nicht immer so.

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Die tatsächliche Reaktion: Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik verklagen—oder zumindest damit drohen.

Horst Seehofer und die AfD haben sich in den vergangenen Monaten (oder überhaupt jemals) nicht gerade dadurch hervorgetan, sonderlich viel Sympathie für all jene Menschen zu haben, die aus ihrem Heimatland fliehen und Asyl in Deutschland suchen mussten. Nachdem sich nun allerdings die in Flüchtlingsdingen zuvor etwas unglücklich agierende Kanzlerin offen für eine eher willkommen heißende statt abweisende Bundesrepublik ausspricht, steht die Regierung endgültig vor einer Spaltung. Insbesondere der bayerische Ministerpräsident lässt kaum eine Gelegenheit verstreichen, klarzumachen, wie wenig er mit Angela Merkel in dieser Sache übereinstimmt. Wie Spiegel Online nun berichtet, soll er jetzt angekündigt haben, im Zweifelsfall sogar vor das Verfassungsgericht zu ziehen, wenn seinem Wunsch nach einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen nicht nachgekommen werde.

Dabei befindet sich Seehofer in guter Gesellschaft. Auch die Alternative für Deutschland möchte Merkel wegen ihrer Asylpolitik vor Gericht zerren. Wie AfD-Vizepräsident Alexander Gauland in Berlin bestätigte, habe man die Kanzlerin bereits angezeigt, weil sie sich „als Schleuser betätigt" habe—schließlich würden Flüchtlinge in Sonderzügen von Österreich nach Deutschland gebracht werden. Bezug nimmt die rechtspopulistische Partei in ihrem Strafantrag auf den Paragraph 96 des Aufenthaltsgesetzes und schlägt dabei in dieselbe Kerbe wie Heiko Frischmann aus Hochheim am Main. Der hatte die Kanzlerin ebenfalls wegen „bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern" angezeigt und argumentiert, dass nicht-staatliche „Schleuser" kriminalisiert würden, die Regierung dasselbe aber tun dürfe, ohne dafür belangt zu werden.

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Während SPD-Politiker Ralf Stegner das Ganze auf Twitter als „geistigen Müll von rechts" titulierte, sagte Gerichtsreporterin Heike Borufka gegenüber dem Hessischen Rundfunk aus, dass der Fall nicht einfach einzuordnen sei und verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssten, bevor die Sache tatsächlich vor Gericht gehen würde. Ein großer Punkt, durch den sich illegale Schleuser-Aktionen ausweisen würden, sei bei Merkels Sonderzügen allerdings nicht gegeben: ein direkter Vorteil für den Schleusenden.

Heulsuse #2: Der Betreiber der Seite „Aufwachen Deutschland"

Der Vorfall: Eine Schulklasse soll in einem Flüchtlingsheim mithelfen und dabei unter anderem Betten beziehen.

Die angemessene Reaktion: Sich freuen, dass unseren Kindern schon früh mitgegeben wird, wie wichtig soziales Engagement ist.

Die tatsächliche Reaktion: Sich in rechten Facebook-Gruppen darüber echauffieren und die Leute aufhetzen.

Im Facebook-Zeitalter kann alles, wirklich alles, innerhalb kurzer Zeit extrem hochkochen und zum Aufreger des Tages hochstilisiert werden. Gerade so, als würden die Leute sich nur in soziale Netzwerke einloggen, um anschließend gespannt darauf zu warten, sich mal wieder so richtig aufzuregen (daran dürften auch die neuen Emojis nichts ändern). Insbesondere bei Themen, die einem irgendetwas abverlangen (Empathie, Engagement, Mitdenken) ist der wütende Mob nur ein paar Likes entfernt, und wer dachte, dass „Asylkritiker" nach ihrer großen Hungerstreik-Challenge aktuell etwas entkräftet sind und eine kleine Verschnaufpause von der ganz großen Empörung brauchen, könnte falscher nicht liegen.

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Unter der etwas dramatischen Überschrift „Jetzt schlägt es 13 !!!" postete der Betreiber (oder die Betreiberin) der Facebook-Seite „Aufwachen Deutschland" das abfotografierte Informationsblatt einer Lübecker Schule, auf dem diverse Aktionen, die mit den Schülern geplant sind, aufgelistet werden. Der Stein des Anstoßes: Ein fünfstündiger Ausflug in zwei Flüchtlingsheime, um vor Ort etwas mitzuhelfen. „Ich bin bestimmt kein Hetzer und auch ober Tolerant [sic!], aber da geht jetzt wohl zu weit." heißt es in der Bildunterschrift weiter, bevor die alles entscheidende Frage gestellt wird: „Gibt es jetzt in Lübecker Schulen ein neues Schulfach namens: KNECHTSCHAFT ?????"

Rechte setzen sich jetzt endlich selbst außer Gefecht.

Der ebenso polemische wie schwachsinnige Ausbruch findet in den Kommentaren wenig überraschend jede Menge Unterstützung. „Direkt Anzeige erstatten. Kinderarbeit ist in Deutschland verboten!" und „Darf ich mir dann auch nen Flüchtling holen der bei mir aufräumt" gehören noch zu den milderen Äußerungen. Interessant zu sehen, ist auch, wie jede Gegenstimme hysterisch niedergebrüllt und ins Lächerliche gezogen wird. Meine wahrscheinlich nicht gerade gewagte Vermutung: Die Schüler sind verdammt froh, mal für einen Tag aus dem Klassenraum rauszukommen. Und vielleicht schämen sie sich auch ein bisschen für ihre Eltern, für die es scheinbar nichts Undeutscheres gibt, als dort anzupacken, wo Hilfe benötigt wird.

Letzte Woche: Thomas de Maizière findet es „undankbar", wenn Flüchtlinge sich frei bewegen wollen, und ein paar Dresdner fühlen sich bedroht, weil Asylbewerber in einer leeren Turnhalle schlafen sollen.

Der Gewinner: Thomas de Maizière!