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Warum es nur noch größere Probleme schafft, Neonazis wegen Facebook zu verpetzen

Immer mehr Menschen zeigen Facebook-Hetzer beim Staat oder Arbeitgeber an. Warum das keine gute Idee ist, hat uns ein Rechtsanwalt erklärt.

Spätestens seit den Ausschreitungen in Heidenau Ende August ist klar, dass die rechten Kräfte in Deutschland Morgenluft wittern. Fast jede Woche gibt es neue Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, zuletzt wurde in Niedersachsen sogar eine Brandbombe in eine von einer Familie bewohnte Wohnung geworfen, in Dortmund patrouillieren Rechtsradikale in der U-Bahn oder auf Schwulenparkplätzen, und mittlerweile nimmt sogar der Verfassungsschutz die Möglichkeit ernst, dass sich neue rechtsterroristische Netzwerke bilden könnten.

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Wir wissen nicht erst seit Anja Reschkes Kommentar, dass viel von diesem Aktionspotenzial sich in Facebook-Gruppen organisiert—die ganze dämliche Bewegung der „Hooligans gegen Salafisten" wurde auf Facebook aus der Taufe gehoben, und auch bei Pegida hat das Netzwerk eine wichtige Rolle bei der Vernetzung (und dann auch beim Niedergang) gespielt. In den richtigen Facebook-Gruppen treffen sich besorgte Bürger mit waschechten Neonazis, man tauscht sich aus und schaukelt sich gegenseitig hoch—dabei kommt es immer wieder zu überraschend offen ausgesprochenen Gewaltphantasien oder Hasstiraden. Dass diese Facebook-Hetze Folgen haben kann, betont vor allem Netzkritiker Sascha Lobo immer und immer wieder.

Aber mit der Intensität der Online-Hetze hat auch die Gegenbewegung Fahrt aufgenommen: Blogs wie „Rhetorische Perlen von AfD- und NPD-Anhängern" und „Perlen aus Freital" sammeln die schlimmsten (oder dümmsten) Kommentare und publizieren sie mit Klarnamen.

Nachdem Facebook bis jetzt äußerst zögerlich gegen solche Inhalte vorgeht (zuletzt hat der Justizminister deswegen einen offenen Brief an die Firma geschrieben), rufen immer mehr Aktivisten dazu auf, die Verfasser solcher Kommentare wegen Volksverhetzung oder Aufruf zum Mord anzuzeigen, was zur Zeit wohl auch massenweise geschieht.

Eine neue deutlich unbürokratischere Methode, Verfasser solcher Kommentare abzustrafen, ist die Meldung beim Arbeitgeber. Die Betreiber von „Perlen aus Freital" posten immer wieder Erfolgsmeldungen in die Richtung (wo der Arbeitgeber denjenigen gefeuert hat), andere laden How-To-Videos auf YouTube hoch. Und es funktioniert: In den letzten zwei Wochen haben einige dieser Kommentatoren ihre Jobs verloren, ein berühmter Fall ist ein Porsche-Lehrling, es gibt aber genügend andere.

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Aber nicht alle sind von dieser Schwarmstrafaktion begeistert. Der Discounter Lidl weigerte sich zum Beispiel letzte Woche, eine Angestellte wegen ihrer privaten Äußerungen zu feuern, weil die in ihrer Freizeit geschehen seien—auf Twitter wurde prompt zum #lidlboykott aufgerufen.

Auch Udo Vetter findet die Strafaktionen fragwürdig. Eigentlich wollte ich mir von dem Rechtsanwalt erklären lassen, wie viel Chancen auf Erfolg das hat, solche Kommentare zur Anzeige zu bringen. Vetter wollte aber lieber darüber sprechen, warum er das generell für keine gute Idee hält. Und weil die Frage nach der Meinungsfreiheit in Zeiten von Facebook-Hetze eine ziemlich interessante ist, habe ich mich dann mit ihm darüber unterhalten.

VICE: Herr Vetter, was kann man gegen solche Kommentare unternehmen?
Udo Vetter: Grundsätzlich steht es jedem unbenommen, alles und jeden anzuzeigen. Ich warne nur davor, die Hoffnung in die Justiz überzustrapazieren und zu glauben, dass Staatsanwälte, Polizeibeamte und Richter diejenigen sind, die das jetzt auftretende Problem mit der Keule des Strafrechts lösen können. Das Strafrecht ist nicht das Allheilmittel für gesellschaftliche Konflikte. Wenn unterschiedliche politische Orientierungen anfangen, sich nur noch mit Strafanzeigen zu überziehen, dann eskaliert das Ganze nur.

Haben die Verfasser solcher Kommentare denn Strafen zu befürchten?
Na ja, die kriegen ein Ermittlungsverfahren und landen eventuell vorm Amtsgericht. In den allermeisten Fällen wird das nicht als Volksverhetzung oder Störung des öffentlichen Friedens gesehen werden, und die Verfahren werden eingestellt. Die Leute sind ja auch oft strafrechtlich vorher nicht aufgefallen. Das ist zwar politisch unerträglich und unangenehm zu lesen, aber das bewegt sich irgendwo im Bereich eines Ladendiebstahls und einer kleinen Sachbeschädigung.

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Also halten Sie generell nicht so viel von dieser Art Anzeigen?
Wohin führt das? Entweder wird das von den Strafverfolgungsbehörden ignoriert. Oder man sagt: Das ist uns total wichtig, diese Meinungsdelikte im Internet zu bekämpfen. Da wird dann mit extra Personal ein Polizeiapparat aufgebaut. Wenn man solche Polizeiapparate aufbaut, dann suchen die sich ihre eigenen Aufgaben. Und dann sind die, die heute die Anzeigen machen, oder die Journalisten, die vielleicht etwas frecher schreiben—wie Ihre Redaktion—, die nächsten, die dann dran sind. Wenn man jetzt nach rechts austeilt und versucht, den Leuten einen Maulkorb zu verpassen, dann geht das nach hinten los.

Gibt es nicht trotzdem irgendwo Grenzen, was nicht mehr zur politischen Auseinandersetzung gehört? Zum Beispiel bei Volksverhetzung?
Ja, aber für die Strafverfolgung in Deutschland ist die Polizei zuständig, und nicht der Bürger am Monitor. Ich als Strafverteidiger empfinde riesiges Unbehagen, dass die Menschen so auf Streife gehen und sich gegenseitig denunzieren. Man kann das auch eine Form von Blockwart-Mentalität nennen.

Heißt das, wir sollten solche Äußerungen einfach hinnehmen?
Ich glaube, viele Leute machen es sich zu einfach. Die denken, wenn man die jetzt auf Facebook mundtot macht, dann ist das Problem gelöst. Das finde ich ein bisschen läppisch: Statt den Diskurs zu suchen und zu zeigen, was unser Grundgesetz eigentlich will und was unseren Rechtsstaat ausmacht, konzentrieren wir unsere Energie darauf, die auf Facebook mundtot zu machen. Das ist eine Bekämpfung von Symptomen, nicht von Ursachen. Durch diese Verurteilungen werden bei diesen rechten Spacken doch nur Märtyrer geschaffen. Das ist doch deren System, da wird dann gesagt: „Wo ist denn eure Meinungsfreiheit in Deutschland?"

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Ich bin gegen Blockwarte im echten Leben und im Internet. Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der sich alle ständig belauern. Das heißt nicht, dass ich dagegen bin, solchen Leuten Contra zu geben. Man muss mit den Leuten darüber diskutieren—wenn es Sinn macht. Manchmal ist auch Ignorieren nicht die falsche Methode, man kann nicht alle belehren.

Aber diese Kommentare sind ja nicht nur blöd, die sind ja teilweise auch gefährlich. Diese Leute leben ja manchmal Tür an Tür mit Asylbewerbern, die könnten ihre Fantasien ja direkt in die Tat umsetzen.
Wenn direkt zu Straftaten aufgerufen wird, ist das natürlich was ganz anderes. Wenn jemand sagt „Wir müssen ein Flüchtlingsheim angreifen", dann ist das auch juristisch eine ganz andere Ebene, als wenn jemand auf Facebook „Ausländer raus" ruft.

Wenn man jetzt aber einen Post hat, der sich auf ein konkretes Flüchtlingsheim bezieht? Zum Beispiel unter einem Medienbericht über eine Neueröffnung?
Ja, da wären dann die Grenze überschritten. Das wäre ein Aufruf zur Straftat.

Aber Volksverhetzung ist nicht so eindeutig?
Bei der Volksverhetzung muss man auch beachten, dass es sich nicht nur an eine konkrete Gruppe richten muss, um den Straftatsbestand zu erfüllen—es muss auch geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Da ist die Frage: Wer außer den einschlägig Bekloppten liest das überhaupt?

Also würden Sie generell raten, solche Posts nicht gezielt zu verfolgen.
Ich habe immer ein großes Problem, wenn die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Ich verweise da immer auf das Beispiel der USA, wo man bis vor Kurzem praktisch alles sagen konnte. Sie konnten die blödesten Sachen schreiben und sagen, ohne dafür verurteilt. Manchmal habe ich eben das Gefühl, dass das der schlauere Ansatz ist, die Bekloppten reden zu lassen—und ihnen im Zweifel nicht zuzuhören—, als ihre Handlungen durch Strafprozesse dann noch praktisch aufzuwerten, also ihnen die erhoffte Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die USA gehen zumindest nicht an der Meinungsfreiheit zugrunde.

Man sieht gerade sehr oft Posts von Leuten, die solche Kommentare kopieren und an die Arbeitgeber der Verfasser schicken—mit der Aufforderung, die Leute rauszuwerfen. Wie beurteilen sie das?
Finde ich entsetzlich. Das ist aus meiner Sicht eine Blockwart-Mentalität, die ich verabscheuungswürdig finde. Da wird doch auf übelste Art und Weise den Leuten hintenrum einer reingewürgt. Was soll denn der Effekt sein? Sollen diese Menschen diszipliniert werden? Sollen die ins soziale Abseits gedrängt werden, oder was ist der Sinn der Sache?

Man hofft vielleicht, dass die so ihren Fehler einsehen?
Wenn man so jemandem beim Arbeitgeber denunziert, schafft man es, dass der arbeitslos wird. Ändert er dann seine Meinung? Sieht er die Welt dann plötzlich anders? Das Gegenteil ist der Fall. Wahrscheinlich wird er dann vom gemäßigten Rechtsradikalen zum eingefleischten Neonazi. Aus meiner Sicht beruht diese private Repression auf so einem archaischen Vergeltungsgedanken. Das ist eine Art kollektiver Erpressung, das schürt ein Klima der Angst.

Ich finde diese Bewegung, die sich da aufbaut, höchst bedenklich. Wir kommen da in so eine Atmosphäre, wo jeder das Böse selbst definiert, verfolgt und bestraft. Das hat mit einem Rechtsstaat nichts mehr zu tun. Wer heute der Jäger ist, ist dann morgen der Gejagte. In so einem Land möchte ich ehrlich gesagt nicht leben.