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Campus, Sex und Ravioli

Ich habe mich bei einer Damenverbindung zur Bundesschwester hochgesoffen

Auch Mädchen tun sich in Deutschland seit einigen Jahren zu Verbindungen zusammen. Es gibt Schärpen, Mützen, hierarchische und bescheuerte Regeln und endlose Saufpartys. Und ich war mitten drin.

Ursprünglich sollte es hier um Männer gehen, Männer in Studentenverbindungen, Burschenschaften, braune Suppe, irgendwas und ob diese Gruppierungen an Zulauf gewonnen haben in den letzten Jahren. Dann bin ich allerdings auf etwas gestoßen, das mich ganz schön verblüfft hat: Damenverbindungen. Alles, was ich zu dem Zeitpunkt über Studentenverbindungen gelernt hatte—über ihre Trinkrituale, das akademische Fechten, das Leben im Verbindungshaus—lief auf diese gute, alte, angestaubte Idee der Männerfreundschaft hinaus. Sich selbst beweisen vor den Bundesbrüdern, indem man sich mit einer scharfen Klinge auf den Kopf schlagen lässt und regelmäßige Saufeskapaden, bei denen einer befiehlt, wer was wie viel trinkt und das oft über mehrere Tage—wieso um Himmels Willen sollten nun auch noch Frauen so einen Scheiß mitmachen?

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Viele sind das in Deutschland auch nicht, zumindest nicht im Vergleich zu den Männern. „Es gibt wahrscheinlich 30 oder 40 Frauenverbindungen, da sind insgesamt ein paar Hundert Frauen drin. Dagegen sind das bei den Männern 150.000“, erzählt mir der Politologe Stephan Peters, der sich in seiner Doktorarbeit mit Studentenverbindungen befasst hat. Rund die Hälfte der Frauenverbindungen haben sich erst nach 2000 gegründet. Sie sind also das Aktuellste, was die Verbindungsszene zu bieten hat.

Ich wollte mir das Ganze mal ankucken. Die einzige Berliner Studentinnenverbindung mietet sich regelmäßig den Kneipenraum in der fetten Villa einer Männerverbindung im schicken Berlin-Grunewald. Ich erkenne das Verbindungshaus schon von Weitem an der orange-weißen Flagge, die von der Hausfront weht. Als ich durch die Gartentür gehe, ruft es hinter mir: „Claudia?“ Ich drehe mich um und erblicke ein Mädchen in Jeffrey-Campbell-Absätzen, die vorhin mit mir aus dem Bus gestiegen ist. Katharina ist viel zu hübsch und zu gut angezogen für meine Klischeevorstellung von einer Damenverbindung mit eher rustikalen, Perlenohrringe tragenden Mädchen (ich hab alle Namen übrigens geändert)

Nachdem ich klargestellt habe, dass ich nicht Claudia bin, aber gerne trotzdem mit reinkomme, nimmt Katharina mich mit ins Haus. Am Eingang kommt Alex auf uns zu, in Hemd, Krawatte, grauem Pullover und heller Stoffhose. Über dem Pullover spannt sich sein—wie ich später lernen werde—Burschenband in den Farben seiner Verbindung. Die beiden umarmen sich und weiter geht es die dunkle Holztreppe hinunter in den Keller. Dort landen wir in der Art Mini-Kneipe, für die das Wort „urig“ erfunden wurde. Eine kleine, mittelblonde Frau in hautfarbenen Strumpfhosen begrüßt uns mit nasaler Stimme. Sie steht hinter dem Bartresen, links von ihr vier andere Mädchen und alle ziemlich klein. Sie sind nicht hässlich oder so, nur so die Art von Mädchen, die halt immer ein bisschen zu brav ist und immer so ein bisschen rumstrebt.

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Ich treffe Nicht-Ich, also Claudia, die Medizin studiert und gerade in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses arbeitet. Sie redet nicht so viel, aber ich bekomme schnell mit, dass sie heute in die Verbindung aufgenommen wird.

Bevor das aber passiert, wird mir ein Bier vor die Nase gestellt und Zigaretten angeboten und ich werde herzlichst aufgenommen. Die sechs Frauen um mich herum freuen sich sichtlich über meine Anwesenheit, so dass ich fast schon erwarte, dass sie es dem Hund, der gerade mein Bein ansabbert, gleichtun werden. Offenbar mag er mich total. „Der weiß auch immer, ob Freund oder Feind“, erklärt mir Frauchen Maria.

Ich unterhalte mich weiter durch den Zigarettenqualm hindurch mit den kettenrauchenden Mädels. Das alles ist so wohlige Kneipenatmosphäre. Dann wird Claudia endlich aufgenommen. Die Seniora (also die, die in dem Laden am meisten zu sagen hat) heißt Tina. Sie hat ein Porzellanpuppengesicht und honigblonde, glänzende Haare, und stellt sich nach vorne und gebietet mit einem selbstbewussten „Silentio!“ Ruhe. Sie liest die Prinzipien—glaube so hieß das, der Abend wurde einfach auch echt noch lang, da kann ich mir nicht alles merken—der Verbindung vor, von wegen Freundschaft, Lebensbund und so weiter und bittet Claudia zu sich, um ihr das Fuxenband (das, was die in der untersten schwesterschaftlichen Kaste bekommen) umzulegen und ihr die passende Mütze dazu zu geben.

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Dann singen sie ihr eigenes Lied auf ihre Verbindung, von wegen Freundschaft, Lebensbund, mit überzeugter und feierlicher Miene. Es hört sich an wie eine Mischung aus Volkslied und Nationalhymne. Jedes Blutkörperchen in mir schämt sich in diesem Augenblick fremd.

Als das Gesinge vorbei ist, exen wir Sekt und die mit den beigefarbenen Strumpfhosen beginnt mit ihrem Vortrag mit dem Titel Der Lehrer—das unbekannte Wesen. Aha. Gefühlte fünf Stunden lang pappt sie uns mit ihrem Studium und ihren Erfahrungen als Lehrerin an einer Berliner Privatschule zu. Bundesschwestern müssen nämlich auf ihrem Weg die Hierarchieleiter hoch (bis hin zur „Hohen Dame“) allen möglichen Kram machen, Ämter bekleiden, Leute bewirten und eben auch Vorträge halten.

So grob kenne ich diese Rituale und Hierarchien auch schon aus meiner Vorrecherche. Ab und zu lasse ich ein bisschen Wissen fallen. Fatal, wie sich schnell herausstellt: Als ich nach dem Ritual des „Bierjungen“ frage, von dem ich mal gelesen hätte, ruft eine Maria neben mir auf einmal „Hängt.“ Das ist das Geheimnis hinter dem Ritual: Eine sagt „Bierjunge“, die Nächste ruft „Hängt“ und wir beide müssen ein komplettes Bier exen. Irgendwie sind die hier große Fans vom Prinzip des Exens. Wir stoßen an. Während der letzten Züge bin ich der festen Überzeugung, dass ich mir gleich auf die Füße kotze. Danach mache ich es wie die anderen und nenne das Ritual nur noch “BJ“, sodass ich nicht mehr herausgefordert werden kann.

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Mittlerweile kommen auch Jungs zu uns in den Keller. So um die 15 sind wir jetzt. Neugierige Blicke von den Boys, ein anzügliches Augenzwinkern und ich merke, dass ich gerade als fickbar eingestuft worden bin. Dafür sind die meisten allerdings überraschend schüchtern. Mädchen und Jungs mischen sich nicht so richtig (weil, ihr wisst schon, Barbies und Matchbox-Autos), allerdings habe ich das Gefühl, dass es eher die Jungs sind, die unter sich bleiben wollen. Einige der Mädchen verabschieden sich sowieso schon gerade.

Die Jungs tragen teilweise dunkle Anzüge, teilweise graue Pullunder, so ziemlich alle Hemd und Krawatte. Und das Band darf natürlich nicht fehlen, an dem man genau erkennt, wer gerade wo in der Hierarchiestufe steht.

Die männlichen Füxe haben es nämlich etwas schwerer als die Mädchen, wie mir Marcel erklärt: „Man gibt quasi seine Eier bei seinem Fuxmajor ab, bis man geburscht wird.“ Das dauert in der Regel wohl so ein Jahr. In dem Augenblick torkelt Jan in die Kneipe. In schwarzem, ausgehangenen Unterhemd, kurzen Hosen und dreckigen Converse-Schuhen. Offenbar hatte er gestern Geburtstag und ist seit zwei Tagen dauerbesoffen. Er ist der Erste der Jungs, der mir spontan sympathisch ist. Alex, der hier in der Hierarchiekette ziemlich weit oben sitzt, nutzt Jan als Anschauungsmaterial für die kleine Predigt zum Burschenband, die er mir gerade hält. „Wenn man so aussieht, darf man sein Band nicht tragen.“ Generell ist Jans Outfit offenbar gerade nicht OK und Alex sagt ihm, er solle mal hoch gehen und sich umziehen—im Scherz, denke ich. Doch tatsächlich stiefelt Jan nach oben.

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Neben mir höre ich Katharina von der Gothia sprechen, einer Burschenschaft hier in Berlin, die man vorsichtig schon als sehr weit rechts bezeichnen kann. Ich frage nach. „Ja, da waren welche oben im Gemeinschaftsraum. Das sind Nazis, mit denen machen wir nichts Offizielles.“ Offenbar trifft man sich öfter mal auf irgendwelchen Partys, aber insgesamt will man mit den Rechtsextremen nichts zu tun haben. Die Burschenschaften, betont Alex, haben auch eine ganz andere Geschichte als die anderen Studentenverbindungen.

Irgendwie schwenkt das Gespräch aufs Fechten. Ich wittere meine Chance, meinem YouTube-Video-Wissen etwas Live-Erfahrung hinzuzufügen.

Und tatsächlich bekomme ich eine Privatvorstellung von Marcel und Alex. Wir treten (leicht schwankend, weil angetrunken) aus den Rauchschwaden und kraxeln die Treppen nach oben in den zweiten Stock. Wahrscheinlich sollte ich an dieser Stelle genauer das Haus beschreiben, aber nach Sekt, Bierjunge und Apfelwein kann ich mich nicht mehr auf Wandbehängung konzentrieren. Sieht halt alles altbacken aus, wie bei so einem traditionellen Sportsvereinshaus.

Oben angekommen—auf dem Paukboden, wie ich lerne—ziehen Marcel und Alex sich dicke Schutzhandschuhe über die Arme, setzen Masken auf und stellen sich breitbeinig eine Degenbreite voneinenander entfernt auf. Ein bisschen Erklärung und dann geht’s los. Viel mehr als Handgelenk und Unterarm bewegt sich eigentlich nicht. Immer so fünf Schläge hintereinander, danach ist die Runde vorbei.

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Ich hatte im Vorfeld mal mit einem Freund, Tim, gesprochen, der selbst für einige Monate Mitglied bei einer pflichtschlagenden Verbindung war. Er sagte mir, dass die Jüngeren da meistens keine Lust drauf haben, die „alten Herren“ (also die, die schon mit der Uni fertig sind) es aber nicht zulassen, dass das Fechten abgeschafft wird. Mit Innovation ist da halt nicht so viel.

Meine gebrechlichen kleinen Frauenhändchen dürfen natürlich nicht mit Degen spielen. Aber immerhin lässt Alex mich das 12 Kilo schwere Kettenhemd (wie bei Rittern, ohne Witz!) anprobieren. Das tragen sie bei den offiziellen Kämpfen gegen andere Verbindungen, den Mensuren. Dort bedeckt dann auch nichts den Kopf außer eines Augenschutzes, der mich an eine Dr. Who-Folge erinnert. Ich packe also mein Nerd-Wissen aus und stelle fest, dass Alex ebenfalls Dr. Who-Fan ist.

Als wir wieder in den Keller kommen, ist auch Jan zurück, diesmal ordentlich in Jeanshemd und mit Couleur. Scherzend frage ich, ob Jan nicht fürs Nicht-Ordentlich-Angezogen-Sein bestraft werden müsste. Prompt verordnet Peter, der Fuxmajor, dem gerade Jans Eier gehören, Liegestütze. Jan, hackedicht, glaubt es erstmal nicht ganz. Als er nicht sofort spurt, wechselt Peters Ton von freundschaftlich zu Befehlshaber. Und ich bekomme meine drei Liegestütze …

Irgendwann ruft Tina wieder „Silentio“ und kündigt an, dass wir jetzt das letzte Bier trinken.

Ich bin fast ein wenig traurig, dass es vorbei ist. Kaum irgendwo in Berlin wird man so herzlich empfangen wie dort und ich habe nach nur einem Abend das Gefühl, dass diese Mädchen mich niemals im Stich lassen würden. Auch die Jungs sind ja keine bösen Verbindungsroboter, sondern Menschen, die Dr. Who mögen und Fechten eigentlich scheiße finden.

Der Abend endet mit Tina, die mir noch einmal sagt, wie sehr es sie gefreut hat, dass ich einfach so vorbei gekommen bin. Und ob ich denn am Sonntag bei der nächsten Veranstaltung dabei sein will, dann könne ich auch gleich meine Unterlagen mitbringen, falls ich beitreten möchte. Unterlagen? Ja, halt Lebenslauf (Lebenslauf?). Offenbar bin ich nämlich zur Bundesschwester geeignet: „Ich habe das Gefühl, du würdest hier einfach super reinpassen!“