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Popkultur

Ein Kurzfilm-Dreh ließ mich wie einen Idioten dastehen

Ein rasierter Khal Drogo statt Kevin Spacey und E-Zigaretten statt rauschender Party—mein Debüt als Filmemacher ist ein Drama in drei Akten.

​Dieses Wochenende habe ich bei mitgemacht. Das Ganze ist ein internationaler Wettbewerb, bei dem jeder Teilnehmer zwei Tage Zeit hat, um einen Kurzfilm zu drehen. Wenn man damit fertig ist, wird das vier bis sieben Minuten lange Meisterwerk in einem Kino vorgeführt und entweder total abgefeiert oder mit totaler Verachtung gestraft. Für die Teilnahme habe ich knapp 140 Euro gezahlt (der erste Platz erhielt trotzdem nur mickrige 4000 Euro), also musste ich das Ganze meiner Meinung nach auch ernst nehmen.

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Mir wurde allerdings bald bewusst, dass ich trotz meiner ganzen Ernsthaftigkeit kein ausreichend talentierter Regisseur, Drehbuchautor oder Organisator bin, um innerhalb von 48 Stunden einen akzeptablen Film zu drehen. Ich habe Tagebuch geführt, damit auch ihr meine Unfähigkeit erleben könnt.

Unser Hauptdarsteller während einer Psychotherapie-Szene. (Alle Fotos: Nick Hilton, sofern nicht anders angegeben)

FREITAG
​Der Startschuss fiel im Phoenix Artist Club, der sich in der Charing Cross Road mitten im Herzen des West Ends von London befindet. Das bedeutet, dass die Chance, dort einen wirklichen „Künstler" zu finden, ziemlich gering ist. Als ich reinging, wurden meine Befürchtungen bestätigt: Die Kellerbar war vollgepackt mit einer Mischung aus verwirrten Touristen und der Art von weißen Männern mit Dreitagebart, die sich in ihrer Twitter-Biographie auch schon mal als „Visuelle Poeten" bezeichnen.

Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass sich die Eröffnungsveranstaltung des Wettbewerbs als ein solch fröhliches Zusammensein entpuppen würde. Bei den Teilnehmerteams wurde ein Bier nach dem anderen vernichtet, während ich nur die Hitze aus meinem Körper schwitzte, die ein Trip durch Londons Rush Hour mit drei Taschen voller Filmequipment verursacht. Jedes Team musste ein Genre aus einem Hut ziehen und dann einen Film produzieren, der sich an diese vagen Vorgaben hält. Die Genres waren sowohl allgemein gehalten (Comedy oder Horror) als auch etwas spezifischer ( ​Fish out of the Water oder Tierfilm). Einige Sachen musste man jedoch erst googeln (Film de Femme). Ich zog „Schwarze Komödie", was zum Glück nicht zu abgedreht war.

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​Als 19:00 Uhr immer näher rückte, begab sich die Menge in Position und ähnelte dabei Kurzstreckenläufern, die auf das Startsignal warten. Ein Teamleiter trug einen dichten Bart und hatte seine Haare zu einem eleganten Dutt hochgesteckt. Ein anderer hatte eine „Google Glass"-Brille auf und konzentrierte sich auf irgendetwas. Das Team „Hot Chihuahua" konnte trotz der angestrengten Bemühungen der Moderatoren nicht gefunden werden. Mein Team wartete zu Hause auf mich: Ollie, der Kameramann, Tom, zuständig für die visuellen Effekte, Lucy, die erste Regieassistentin, und Joey, unser niederländischer Hauptdarsteller. Da uns nur wenige Stunden für die Fertigstellung des Skripts blieben, mussten wir uns wirklich beeilen, um die Chance, dass der Film richtig scheiße wird, möglichst gering zu halten. Wir scheiterten kläglich und mussten einsehen, dass man mindestens ein paar Tage Zeit braucht, um ein Skript zu schreiben, das möglicherweise gut ankommen könnte.

Dazu kam noch eine weitere Vorgabe des Wettbewerbs: Wir mussten eine bestimmte Requisite (in unserem Fall eine Grußkarte) und einen bestimmten Charakter (irgendeine Art Coach) im Skript unterbringen. Um das hinzukriegen, kamen wir auf folgende Handlung: Ein junger Mann reist von den Niederlanden nach London, um zu einem „Selbstbewusstseinscoach" zu gehen. Dort wird ihm eine experimentelle Selbstbewusstseinsdroge verabreicht, die sein Selbstwertgefühl so weit ansteigen lässt, dass er zu einer gottähnlichen Person wird und auf die Sterblichen mit der zerschmetternden Verachtung eines Reedit-Atheisten herabblickt.

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So sah der Höhepunkt der Begeisterung während des ganzen Wochenendes aus.

SAMSTAG
​Wenn man sich im britischen Winter auf eins verlassen kann, dann darauf, dass es pünktlich zum Anstoß der Fußballspiele um 15:00 Uhr dunkel wird.
Im Nachhinein wäre es vielleicht schon ziemlich schlau gewesen, die hereinbrechende Dunkelheit im Skript zu berücksichtigen oder einen Teil der Handlung nachts stattfinden zu lassen. Aber natürlich spielte unser Film komplett tagsüber bei strahlendem Sonnenschein. Samstagmorgen warteten wir bis ungefähr 10:00 Uhr, aber dann bestätigte der Wetterbericht, dass die Sonne sich nicht mehr zeigen würde. Wir begannen schließlich damit, den Film zu drehen.
Der eigentliche Aufnahmeteil unseres Projektes war erstaunlich einfach. Wir hatten nur zwei Schauspieler: unser strammer Niederländer (der wie ein junger und rasierter Khal Drogo aus Game of Thrones aussieht) und unsere weibliche Hauptrolle, die 2010 Backgammon-Weltmeisterin wurde. Die Beiden hatten keine wirkliche Erfahrung auf diesem Gebiet, aber wie ihr wisst, hatte ich die ebenfalls nicht.

​​Verblüffenderweise blieb es so lange schön, bis wir mit den Außenaufnahmen fertig waren. 15 Minuten nachdem wir alles zusammengepackt hatten, fing es an, wie aus Eimern zu schütten. Da befanden wir uns allerdings schon wieder wohlbehalten innen drin und machten uns daran, den Film zu schneiden. Dabei war ein Auge allerdings auch immer auf das Fußballspiel Almería gegen Barcelona gerichtet.
Unser Cutter David war ungefähr vier Stunden lang beschäftigt, während sich der Rest von uns sinnlos irgendwie die Zeit vertrieb. Als er uns den fertig geschnittenen Film präsentierte, sah der Streifen ganz gut aus. Das klingt jetzt vielleicht nicht so wirklich überzeugt, aber ich bin jetzt auch kein Stanley Kubrick. Ein anspruchsvollerer Regisseur hätte den Schnitt vielleicht noch so lange weiter bearbeitet, bis das Timing und die Auswahl der Aufnahmen perfekt sind, aber ich war mit „ganz gut" eigentlich schon sehr glücklich.

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Die Krönung unserer digitalen Effekte, für die ungefähr 90 Prozent unseres Talents draufging. (Bild: Tom Coster)

SONNTAG
​Ein weiser Mann sagte einst: „Auf jede Aktion folgt eine gleich große, entgegengesetzt wirkende Reaktion." Am Samstag lief alles wie am Schnürchen und am Sonntag mussten wir feststellen, dass es ohne jahrelange Erfahrung nicht möglich ist, aus Scheiße Gold zu machen.

Ich blieb erstmal bis 11:00 Uhr im Bett liegen, weil ich mir dachte, dass wir den Film auch fertig kriegen, wenn wir erst gegen Mittag weitermachen. Großer Fehler. Zuallererst verschob sich die Ankunft unserer anspruchsvollen Aufnahmen mit digitalen Effekten um ein paar Stunden nach hinten. Das wiederum verzögerte das Abschließen des Schnitts und den Beginn der Farbkorrektur. Ohne einen fertigen Schnitt konnte unser Tonmeister auch nicht mit der Tongestaltung anfangen.
Also warteten wir und bestellten Pizza. Ich entschied mich für die „Vegorama", die zu ungefähr 80 Prozent nur aus Kräutern bestand. Wir warteten weiter und spielten dabei ein Co-Op-iPhone-Spiel namens Spaceteam, bei dem viel verwirrendes Zeug gebrüllt wird. Danach gab es eine kurze Diskussion zu Tinder und wir warteten noch mehr.

​Tom, der für die digitalen Effekte zuständig war, kam dann endlich gegen 15:30 Uhr und hatte die Aufnahmen im Gepäck. Folglich hätten wir eigentlich mit der Tongestaltung angefangen. Leider hat unser Tonmeister das Ladekabel für seinen Laptop vergessen und wir haben natürlich genau diesen Laptop in den vergangenen Stunden dazu verwendet, um uns über den Spielstand von Newcastle gegen West Brom zu informieren und damit die Akkulaufzeit ordentlich zu verkürzen. Jetzt mussten wir für die Tongestaltung auf das Programm Premiere zurückgreifen, und nicht wie zuerst geplant auf das bessere Pro Tools. Das war an sich nicht schlimm—abgesehen davon, dass man nach dem Ansehen des Films denkt, man hat jetzt einen Tinnitus.

Die Deadline um 19:30 Uhr rückte immer näher (eigentlich dauert der Wettbewerb achtundvierzigeinhalb Stunden, aber das wäre dann ein ziemlich langer Name) und der geschnittene Film wurde mit qualvoll langsamer Geschwindigkeit gerendert. Zusätzlich dauerte es noch 25 Minuten, den Film auf einen USB-Stick zu ziehen. Das bedeutete, dass wir einen Teil des Ganzen noch während der Fahrt zum Phoenix Artist Club erledigen mussten.

Wir rendern uns den Weg durch London. (Foto: Ollie Craig)

Wir wurden ziemlich unspektakulär empfangen. Nur eine Handvoll Leute hing in der Bar herum (wahrscheinlich nur wegen der Vorführung von Once im Kino einen Stockwerk höher) und Graham, der Organisator des Wettbewerbs, nahm die Formulare und DVDs entgegen. Ich überreichte ihm unseren Film—auch wenn mir offen gesagt die Vorstellung, in irgendeiner Weise „bewertet" zu werden, überhaupt nicht gefällt—und das war's. Es gab keine Party, keine Luftschlangen und kein Konfetti, sondern nur einen Mann, der allein in einer Ecke saß, E-Zigarette rauchte und mich anlächelte.

48 Stunden sind zu wenig Zeit, um ein Video-„Kunstwerk" zu erschaffen. Ich glaube, das kann ich jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen. Ich weiß, dass das eine ziemlich oberflächliche Schlussfolgerung ist. Ich habe jedoch die Befürchtung, dass wir nicht wirklich mehr geschafft haben, als ziemlich schnell einen (dazu noch maximal durchschnittlichen) Kurzfilm zu produzieren. Vielleicht bestand die Herausforderung des Ganzen aber auch einfach nur darin, so schnell wie möglich an seine eigenen Grenzen zu stoßen. Falls dem so ist, dann sind wir wahrscheinlich ganz vorne mit dabei.