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​In Dortmund haben Neonazis versucht, die Eröffnung eines Buchladens zu verhindern

Das Ganze ging dann aber ziemlich nach hinten los.
Alle Fotos: Felix Huesmann

Das Erste, was die meisten Dortmunder vom neuen „anarchistischen Buch- und Kulturzentrum Black Pigeon" mitbekommen, ist die eingeschmissene Schaufensterscheibe. Noch während der Renovierungsarbeiten zerstören Unbekannte Täter sie nachts durch einen Stein. Die Ermittlungen dazu führt der für politisch motivierte Straftaten zuständige deutsche Staatsschutz.

Kurz darauf beginnt die kleine Neonazi-Partei „Die Rechte" ihre Hetzkampagne. Auf ihrer „Nachrichtenseite" berichten die Bücherfeinde über die angeblich gemeingefährlichen Linksextremisten, die künftig für Unruhe und Krawall im Dortmunder Norden sorgen würden—wenn man sie denn nicht stoppe.

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Zum Thema: Wer ist „Die Rechte", und warum ist sie so aggressiv?

Auf Glasbruch und reißerische Online-Artikel folgt schnell der nächste Schritt: Die Neonazis wollen Druck auf den Vermieter ausüben und starten einen Shitstorm auf der Facebook-Seite des Unternehmens. „Kritische" Kommentare und so viele negative Bewertungen, dass das Unternehmen die Bewertungsfunktion rasch abstellt. Auch per Mail und am Telefon wird Druck ausgeübt.

Einknicken vor Neonazis?

Ein paar Tage darauf sieht es so aus, als seien die Rechten damit erfolgreich: Auf der Facebook-Seite kündigt der Vermieter an, die Vorwürfe der Neonazis prüfen und dann „das rechtlich Mögliche veranlassen" zu wollen. Kann eine kleine Gruppe radikaler und gewalttätiger Neonazis also tatsächlich bestimmen, wer in Dortmund Buchläden und Kulturzentren eröffnet? Und was würde das für die Stadt als Wirtschaftsstandort bedeuten? Schafft Dortmund es jetzt mal wieder in die internationalen Negativ-Schlagzeilen?

Diese Fragen dürften sich auch einige in der Dortmunder Kommunalpolitik gestellt haben. In dem Moment, an dem es am schlechtesten für den Buchladen aussieht, folgt nämlich eine breite Welle der Solidarität. Der Oberbürgermeister lässt durchblicken, dass es ihm gar nicht gefallen würde, wenn der Vermieter dem Druck der Rechtsradikalen nachgibt, und sogar der Kreisverband der AfD solidarisiert sich so halb mit seinen natürlichen Erzfeinden, den Anarchisten.

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Aufgeben ist für die „Die Rechte" natürlich trotzdem keine Option. Statt Feigheit vor dem Feind zu zeigen, mobilisieren die Mitglieder zu einer Kundgebung vor dem Firmensitz des Vermieters. Ein Erfolg ist das allerdings nicht: Noch bevor sich nur knapp zehn Rechtsextremisten bei schlechtem Wetter mit einer beschriebenen Tapete in einer Hauseinfahrt versammeln, kündigt der Vermieter an, den Mietvertrag nicht aufzulösen. Der sei nämlich rechtsgültig und nicht anfechtbar.

Gut drei Wochen (und zwei weitere eingeschmissene Schaufensterscheiben) später wird der Buchladen endlich eröffnet. „Wir sind ein anarchistisches Buch- und Kulturzentrum", sagt Mitgründer Sascha Bender gegenüber VICE. „Das heißt, wir verkaufen anarchistische und linke politische Literatur, aber auch vegane Produkte. Der Laden soll aber auch als Nachbarschaftstreff dienen und für Vorträge und Diskussionsabende genutzt werden." Die Räumlichkeiten teilen sich die Anarchisten mit einem Fotokünstler. Das klingt alles gar nicht mal so gemeingefährlich.

Trotzdem kurven am Eröffnungsnachmittag Dutzende Polizeifahrzeuge durch das Viertel. Der Grund sind aber wieder mal vor allem die Rechten, die sich noch immer nicht geschlagen geben wollen. Anstatt einzusehen, dass ihr Shitstorm gefloppt ist, hat „Die Rechte" eine Kundgebung vor dem Buchladen angemeldet. Gegen „rechtsfreie Räume" in Dortmund. Und um ihre Einstellung zum geltenden Recht zu zeigen, haben mehrere Rechtsradikale ein paar Stunden vorher gleich noch eine Gruppe junger Grüner bedroht und bestohlen.

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Nur 35 Neonazis stehen Hunderte Gegendemonstranten gegenüber

Um den anarchistischen Buchladen herum stehen am Freitagabend mehrere hundert Menschen im Nieselregen. Anarchisten, Autonome, Antifas, aber auch Grüne, Sozialdemokraten und Kirchenvertreter. Vor ihnen steht eine Polizeikette. Etwa 50 Meter entfernt steht eine weitere Polizeikette und dahinter ein roter Opel-Kombi. An das Auto gelehnt stehen die ersten vier Demonstranten von der „Rechten". Die anderen sind noch auf der Anreise. Im Park und den Seitenstraße nebenan rennen währenddessen Gruppen antifaschistischer Gegendemonstranten umher und versuchen, den restlichen anreisenden Buchfeinden den Weg zu versperren.

Als die mit der U-Bahn ankommen, gelingt das auch fast: Kurz kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen Neonazis und Antifa-Demonstranten, es fliegen Flaschen und ein Böller auf die Anreisenden. Zwar hat die Polizei die Lage kurz später wieder im Griff, die Rechten müssen aber trotzdem noch eine halbe Stunde warten, bis sie mit einem kleinen Umweg zu ihrer Kundgebung laufen dürfen.

Um den roten Opel versammelt stehen sie dann da: Etwa 35 Menschen. Wären sie nach dem Übergriff auf die Grüne Jugend ein paar Stunden vorher nicht verhaftet worden, hätte die Kundgebung vermutlich noch sechs weitere Teilnehmer gehabt. Nach der wochenlangen Kampagne wirkt die Mini-Kundgebung allerdings sehr kläglich. In Redebeiträgen beklagen die Neonazis, dass die Anarchisten gewaltbereite Linksextremisten seien. Dabei wurde einer der beiden Redner erst Tage zuvor zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteilt—wegen Körperverletzung. Dazwischen läuft laut klirrender Rechtsrock—geeignet, um jegliche eventuelle Sympathie der Nachbarn abzutöten.

Mit Shitstorm und Kundgebungen wollten die Rechten eigentlich Stärke zeigen und politische Gegner einschüchtern. Bewirkt haben sie am Ende das Gegenteil. Bis hinein in die AfD war die Dortmunder Stadtgesellschaft quasi dazu gezwungen, sich mit den Anarchisten zu solidarisieren. Bei der Eröffnungsfeier war dann sogar ein Bezirksvertreter der CDU. „Öffentlichkeitswirksam war das auf jeden Fall", sagt auch Sascha Bender vom „Black Pigeon". „Trotzdem war das Ganze aber eine mega-stressige Situation—ich hätte das jetzt nicht unbedingt gebraucht."

So zeigt die Kampagne der Dortmunder Neonazis vor allem zwei Dinge: Sie sind gefährliche Gewalttäter. Aber: Sie sind aber vor allem auch eine winzige Minderheit, die in der Dortmunder Stadtgesellschaft wenig zu sagen hat.