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Sex

In Moskau kriegst du alles, was dein dreckiges Herz begehrt

Mütter schmeicheln sich mit Wodka bei dir ein, und wollen, dass du ihre Töchter heiratest und junge Millionärssöhne finanzieren dir den ganzen Abend, inklusive Essen, Vodka und Nutten. Der einzige Maßstab hier ist dein eigenes Gewissen. Wenn dir einer...

Mütter schmeicheln sich mit Vodka bei dir ein, und wollen, dass du ihre Töchter heiratest und junge Millionärssöhne finanzieren dir den ganzen Abend, inklusive Essen, Wodka und Nutten. Wenn dir einer von Moskaus Tiefen berichten kann, dann ist das der Fotograf Claudio Oliverio.

VICE: Warum ausgerechnet Moskau? Was hat dich dahin verschlagen?
Claudio Oliverio: Ich habe in Deutschland ein Mädchen kennen gelernt, sie kam aus Moskau und hat zu mir gesagt: „Wenn du mich wirklich liebst, dann kommst du mit mir nach Moskau". Drei Wochen später war ich dann da. Konnte kein Wort russisch, kannte da niemanden. Ein Koffer und eine Kamera in der Hand, das war's.

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Dennoch hast du, wie wir sehen, noch viel mehr Mädchen kennenlernen können…
Trotz aller Liebe war ich dann nicht ewig mit ihr zusammen.

Wie kam das?
Moskau ist ja die teuerste Stadt der Welt, auch von den Mieten her, und um mich über Wasser zu halten, musste ich diverse Nebenjobs machen. So hab ich auch bei einer Modelagentur angefangen, als Modelscout zu arbeiten. So hat es sich ergeben, dass ich ganz viele Mädchen bei sich zu Hause fotografiert hab. Einfach Testiblder an der Wand. Im Vergleich zu Deutschland war es oft so, dass das ein Highlight für sie war, dass da ein Europäer zu denen nach Hause kam. Da sind Sachen passiert…

Was für Sachen?
Zum Beispiel hat mich bei einem Model die Mutter von der Metro-Station mit dem Auto abgeholt, Schnaps und Wodka auf dem Tisch gestellt, und im stillen Moment mir gesagt, „Claudio, du bist doch ein netter Mann, was hältst du denn von meiner hübschen Tochter, sie sucht noch einen Mann zum Heiraten. Vielleicht hast du ja Lust meine Tochter näher kennen zu lernen?“ Es war eigentlich bei allen Familien eher eine persönliche Ebene. Man hat ein Fläschchen Wodka da gehabt oder ein Fläschchen Wein. Es war nicht „man geht dahin, macht die Fotos“, sondern man wurde da wirklich eingeladen. Man hat viel philosophiert. Handy aus, Fenster zu, sich von der Stadt abgeschottet. Und nach ein paar Shootings hab ich dann gemerkt: Das sind nicht einfach nur Snaps für die Modelkartei, das sind persönliche, authentische Porträts. Ich habe die Leute auch mit Fragen konfrontiert und über viele Sachen geredet—Arbeit, Zukunft, Hoffnung, Liebe. Jeder durfte sich auf dem Foto auch so zeigen, wie er wollte. Ich habe niemanden zu irgendetwas gedrängt und wenn ich mit interagiert habe, dann ist das immer aus den Situationen heraus gekommen. Mit der Moskauer Mentalität gehen die Leute ganz anders ab als wir. Die haben eine ganz andere Lebensvorstellung. Wenn du in Moskau als Frau mit 25 unverheiratet bist, gehörst du schon zum alten Eisen.

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Ist das auch heute noch so? Wie sind die russischen Mädchen so drauf?
Es gibt natürlich auch die „Eurorussen“, wie ich sie nenne, die so ungefähr wie wir das Leben sehen. Aber ich war schon oft überrascht. Da lernt man ein Mädchen kennen, ist sechs Wochen in Deutschland, kommt wieder, und sie ist verheiratet und gerade schwanger geworden. Eine die ich kenne, ist zum Islam konvertiert und dann zwingen die Männer die Frauen alle Kontakte von Facebook und aus dem Handy zu löschen. Also bei den russischen Mädchen ist man sich nie sicher. Lernst eine kennen, bist drei Wochen weg, und sie verschwindet für immer aus deinem Leben.

Hast du während dieser Zeit Menschen aus verschiedenen Schichten kennenlernen können?
Wegen der Wohn- und Geldsituation bin ich oft umgezogen. Ich hab im Generalsviertel gewohnt gegenüber vom Weißen Haus, ich habe in einer Hippiekommune gelebt, musste mir ein fünfzehn Quadratmeter Zimmer am Arsch der Welt mit einem Junkie teilen und jeder von uns hat immer noch 300 Euro bezahlt. Von der Millionärstochter bis zum armen Künstler und bis zum Mädchen, das davon träumt, im Ausland einen Mann zu finden, war alles dabei.

Was waren denn die verrücktesten Begegnungen, die Du hattest?

Ich kam mit einem Freund, der aus Deutschland da war, von einer Fashion Party und dann waren wir im Anzug in einem Metall-Schuppen und haben da noch andere Anzugträger gefunden. „Hey, wo kommt ihr denn her?“, haben die gefragt, und da waren das wirklich Millionärssöhne, Gazpromvorstand. Und weil wir Deutsche waren, haben die uns noch in drei Clubs mitgenommen. In jedem einen Tisch gemietet, Wodka auf den Tisch, Essen drauf, alle Mädchen drum herum eingeladen. Danach waren wir in einem der besten Restaurants der Innenstadt und sie haben uns alles ausgegeben, haben uns so mit Wodka abgefüllt, dass wir die Pinnchen hinter unsere Rücken kippen mussten bis der ganze Boden eine einzige Wodkalache war. Dann haben die in dem Restaurant so eine Diskussion ausgelöst, dass die Polizei uns quasi gebeten hat, zu gehen. Zum Abschluss wollten sie uns noch zu den Nutten mitnehmen, aber da haben wir dankend abgelehnt. Sie mussten uns wirklich ins Taxi legen, haben dem Taxifahrer Geld gegeben. Das Krasse war, weil ihre Väter im Vorstand sind, durften sie ihre Identität nicht preisgeben, keine Kontakte nach außen. „Wenn das Schicksal es so will, sehen wir uns wieder, dann wiederholen wir das ganze nochmal, sonst war's nett euch kennen gelernt zu haben.“

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Hattest du öfter solche Art von Begegnungen mit Moskauern?
Ja. Ich habe einmal Bilder von meiner letzten Ausstellung in Moskau verkauft und ich hatte ein Bild von einem hübschen Mädchen für ungefähr fünfhundert Euro, und ein russisches Pärchen war daran interessiert. Da sagte der Mann: „Ja Claudio, weißt du was, ich überleg mir das nochmal, lass uns dann treffen und dann reden wir nochmal drüber, ob ich's kaufe oder nicht.“ Dann habe ich mich mit ihm getroffen, einen getrunken, dann sagte er, „Komm, wir ziehen weiter!“. Da waren wir in einem richtig guten Klub. Natürlich Tisch gemietet, Wodka auf dem Tisch…

Scheint ja da zum guten Ton zu gehören.
Genau, das gehört da zum guten Ton. Dann waren wir noch in einem Strip Club gewesen und er hat richtig das Geld rausgehauen und ganz zum Schluss, als er schon ungefähr 800 Euro ausgegeben hatte fürs Saufen, hat er mir erzählt, dass er das Bild für 500 Euro doch nicht kauft, weil es optisch nicht in die Wohnung passt.

Also kommt man in Moskau als Europäer ganz gut über die Runden…
Ich habe nie den Europäer raushängen lassen oder mich zu profilieren versucht. Alles was man im Fernsehen über Moskau sieht, ist richtig. Wenn du Geld hast, stehen dir alle Türen offen. Moskau ist der ultimative Charaktertest für dich. Es waren Situationen, gerade auch bei Fotoshootings, wo ich ausgetestet habe, wie weit ich gehen kann und es gab da wirklich keine Grenzen. Und gerade viele Zugezogene, die eine gute Position bekommen haben, sind mit dieser Welt auf einmal vollkommen überfordert und verlieren dann tatsächlich jeglichen Respekt vor dem Menschen, vor allem vor Frauen.

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Hast du solche Typen kennengelernt?
Ja auch. Ein italienischer Geschäftsmann hat einmal zu mir gesagt: „Moskau ist das Chaos. Ich bin seit 15 Jahren hier. Du kannst hier machen, was du willst. Niemand sagt dir, wann Stopp ist. Der einzige Maßstab ist dein eigenes Gewissen. „Und das stimmt an sich auch. Moskau ist ein Riesenmoloch. Moskau konsumiert Menschen und ich hab Europäer gesehen, die nicht mehr zurück können. Sie haben das Heimkehrersyndrom. Sie haben es nicht geschafft, in ihrer Heimat Fuß zu fassen und kommen zurück nach Moskau. Geschäftsmänner und viele aus der Modebranche.

Erzähl mal was vom Scouting. Wie läuft das konkret ab?
Also gute Models sind meistens nicht die Mädchen, von denen man es denkt. Kein Playboy, FHM Cover oder das was man bei Germany’s Next Top Model sieht, sondern es sind meistens die grauen Mäuse in der Metro, die eigentlich keinem auffallen - Jeans, Pulli, lange Haare. Und als Modelscout muss man natürlich einen geschulten Blick dafür haben. Ich höre eigentlich nie auf zu Scouten - auf Ausstellungen, in der U-Bahn, in Clubs, auf der Straße. Und wenn ich der Meinung war, dass das passt, habe ich die Person einfach angesprochen.

Und wie reagieren die Mädchen dann?
Die Russen haben auch ganz andere Antennen als wir. Das heißt sie haben auch ein Feingefühl dafür, was authentisch ist und was nicht. Ich hatte Mädchen, die haben mich sofort mit nach Hause genommen, als ich sie angesprochen hab, obwohl sie gar nichts über mich wussten. In Deutschland würde man sagen, „Mädchen, gefährlich!“, aber so leben die Russen.

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Inwiefern sind sie da so anders, als europäische Mädchen?
Sie wissen einfach, die Chance zu ergreifen. Man kann das Sozialmodell „Moskau“ auch gar nicht auf Deutschland adaptieren. Viele haben gerade so viel Geld, um die Miete zu bezahlen, das Highlight im Jahr ist ein Urlaub in der Türkei, weil du kein Visum dafür brauchst. Ansonsten sind sie in ihrem Land und in dieser Stadt finanziell gefangen. Und weil es eben nicht diese Sicherheiten gibt, brechen die Leute auf meinen Bildern aus. Für viele ist es der Aufschrei aus dem tristen Alltag auszubrechen, mal einfach sie selber zu sein. Wenn man kein Geld hat in Moskau, ist die soziale Ansicht nicht gerade hoch. Viele waren deshalb auch überrascht, dass ein Europäer wie ich, sich für die als Personen interessiert und ihnen Fragen gestellt hat. 20 Millionen Leute leben in der Stadt, jeden Tag fahren neun Millionen mit der U-Bahn, du hast tausende Kilometer Stau, viele haben Anfahrtszeiten von zwei bis vier Stunden am Tag, nur um zur Arbeit zu kommen. Ich habe die Menschen aus diesem Karussell isoliert. Tür zu, Handy aus. Für viele war es seit langem der Moment über sich selbst und das Leben nachzudenken und das sind eben die Momente in denen ich die Fotos mache.

Es sind junge Leute auf deinen Bildern zu sehen. Sind diese Menschen die neue Generation Russlands?
Irgendwie ja und irgendwie nein. Es ist auch mein Moskau Buch, so wie ich das erlebt habe und das sind Menschen, die ich kennengelernt habe. Deswegen habe ich auch keine Omas und Opas, oder Obdachlose abgebildet, weil die nicht zu meinem Russland gehörten, genau so wie der Rote Platz und der Kreml. Ich hab wie ein Russe gelebt, mit Russen zusammen. Ich habe keine Wohnung von der Firma gehabt oder Auslandsbonus. Ich bin richtig tief eingetaucht. Ich kenn Deutsche, die seit fünf, sechs oder zehn Jahren in Moskau leben und die haben nicht erlebt, was ich in einem Jahr erlebt habe. Ich habe manchmal gelebt wie ein Penner.

Claudio Oliverio, Foto von Nikita Kakowsi

Was meinst du wie ein Penner? Hast du auf der Straße geschlafen?
Einmal war ich auf einer Fashion Millionärsparty eingeladen. Draußen war's minus 20 und die Location war so scheiße gelegen, dass ich so oder so eine halbe Stunde laufen musste. Ich konnte mir keinen Taxi leisten und konnte aber auch nicht mit Winterklamotten kommen, weil die dann wussten, dass ich kein Geld fürs Taxi gehabt habe. So musste ich bei minus 20 in meinem schicken Outfit eine halbe Stunde hinlatschen und mich alle fünf Minuten in einem Kiosk aufwärmen. Geld für einen Cocktail hatte ich auch nicht. Die 10 Euro haben dann für ein Bier gereicht. Der Trick ist, wenn man in Moskau auf Fashion Partys saufen geht, immer einen Flachmann im Socken zu haben.