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Immer mehr Europäer kämpfen freiwillig in Syrien

Junge Europäer ziehen in den Krieg nach Syrien, um ihre Männer dort zu unterstützen. Auch aus Deutschland sind schon einige dabei und jetzt haben alle Schiss, dass die deutschen Kämpfer als radikale Dschihadisten zurückkehren.

Hussam Najjaar, AKA Irish Sam (rechts)

Syrien hängt seit drei Jahren in einem qualvollen Stillstand aus nicht enden wollenden Kämpfen und Tod. Ein Ende ist noch immer nicht in Sicht. Und obwohl die meisten europäischen Regierungen große Reden schwingen und das Regime von Baschar al-Assad verurteilen, passiert in Wirklichkeit natürlich gar nichts.

Jetzt haben sich einige junge Europäer dazu entschieden, die sichere Heimat zu verlassen, um die syrischen Rebellen zu unterstützen. Und obwohl diese ideologischen Kreuzzüge nobel klingen, warnen Experten davor, dass die jungen Männer, die nach Syrien fliegen, um für das zu kämpfen, was sie für die syrische Freiheit halten, radikalisiert werden könnten und jedes Maß an Gewalt und Frieden verlieren.

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Anscheinend sind bereits an die 500 junge Europäer gegen Baschar al-Assad in den Kampf gezogen, darunter angeblich auch einige Österreicher.

Europäische Anti-Terror-Organisationen warnen davor, dass die jungen Kämpfer von der steigenden Anzahl von islamistischen Organisationen, wie der allseits bekannten al-Nusra-Front, beeinflusst werden und dann in ihrer europäischen Heimat eine ernst zu nehmende Gefahr für die jeweilige nationale Sicherheit darstellen könnten.

Die Bandbreite von Europäern, die sich Flugtickets ins Kriegsgebiet buchen, reicht von jungen Männern, die den ultimativen Kick suchen, bis hin zu religiösen Extremisten. Trotz allem gehört die Mehrheit zu der Sorte junger Menschen, die in den Medien Abend für Abend die Ungerechtigkeiten gegen das syrische Volk gesehen haben und nun in das Land reisen, um ihren muslimischen Glaubensbrüdern dabei zu helfen, dagegen anzukämpfen.

Natürlich wollten wir lieber mit einem der (falsch) geschätzten 60 österreichischen Muslimen reden, die nach Syrien gegangen sind. Letztens fuhr ich sogar mit einem Taxifahrer, der zwar aus der Türkei stammt, aus einem Ort nahe der syrischen Grenze, und mir verkündete, bald nach Syrien abzuhauen, um mit den Kämpfern gegen Assad in den Krieg zu ziehen. Österreich sei schön und gut, aber richtig integriert ist man hier nie, und für das heimatliche Nachbarland zu kämpfen, ist in seinen Augen weitaus sinnvoller. Aber nicht aus religiösen Gründen, betonte er.

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Leider habe ich ihn nicht gleich für ein längeres Interview festgenagelt, aber dafür haben wir einen in Großbritannien gefunden, der mit uns gesprochen hat: Großbritannien hat/hatte in Syrien mit angeblich 134 die meisten europäischen Kämpfer—obwohl ich keine Ahnung habe, wie das ICRS das so genau herausfinden konnte. Auf jeden Fall haben wir Sam getroffen, der eigentlich Hussam Najjaar heißt.

Geboren wurde er in Dublin als Sohn eines libyschen Vaters und einer irischen Mutter. Seine ersten Schlagzeilen machte Sam während des libyschen Bürgerkrieges, als er eine Brigade Freiheitskämpfer anführte, die an der Befreiung Tripolis' von Muammar Gaddafis Truppen beteiligt war.

„Ich bin der Freiheitsarmee beigetreten, nachdem ich Zeuge davon geworden war, wie Vergewaltigung als Kriegsmittel eingesetzt wird. Ich habe mir gesagt, dass das Regime damit einen Schritt zu weit geht in seinem Kampf gegen die Rebellen. Also habe ich mich dafür entschieden, einen Flug nach Libyen zu buchen“, erzählt er in seinem breiten irischen Akzent. Während des vergangenen Jahres nutzte Sam seine Erfahrungen, die er im libyschen Bürgerkrieg in den Kämpfen Seite an Seite mit libyschen Milizen gesammelt hatte, um syrische Rebellen auszubilden, zu trainieren und zu kommandieren.

Er hat jedoch auch den Unterschied zwischen seiner eigenen Geschichte und denen fremder Kämpfer, die nach Syrien kommen, betont. „Der Unterschied zwischen Menschen wie mir und dieser neuen Art von Kämpfern, die hier herkommt, ist riesig. Ich persönlich stehe dem Ganzen skeptisch gegenüber. Diese Typen sind unerfahrene Kämpfer, die gegen die Hisbollah und Iraner antreten—Menschen, die quasi mit Waffen in den Händen auf die Welt kamen“, sagt er. „Wir versuchen, für diese Revolution zu leben und nicht ihretwegen zu sterben.“

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Video von einem im Rollstuhl sitztenden Islamisten, der in Deutschland gelebt hat und Deutsch spricht und jetzt in Syrien kämpft. Bei 02:32 richtet er sich auf Deutsch an seine Glaubensbrüder.

Der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove, hat der BBC gesagt, dass nicht alle freiwilligen Kämpfer bereits von Beginn an radikal wären, aber ein Großteil während ihres Aufenthaltes in Syrien radikalisiert werden. Außerdem sagt er, geht eine Gefahr von den Rückkehrern aus. Das Kampftraining in syrischen Lagern und die damit verbundene Radikalisierung bedeuteten eine ernst zu nehmende Bedrohung für die europäischen Heimatländer.

Das Kampftraining, das die neuen europäischen Kämpfer erhalten, ist sehr umfassend. Irish Sam arbeitete als Maurer ohne fundierte militärische Ausbildung, bevor er nach Libyen ging. „Die Erfahrungen, die ich in all den Kämpfen gewonnen habe, kannst du dir nicht mit Geld kaufen“, meint er. „Als wir nach Tripolis vorstießen, war ich Schlachtfeldkommandant für ein Aufklärungsteam. Am Ende der Revolution dürfte ich über 200 Anhänger, Söldner und Vergewaltiger festgenommen haben.“

Dem europäischen Anti-Terror-Vorsitzenden zufolge sind die Gründe für die zunehmende Anzahl von Europäern in Syrien nur zum Teil klar. Einige Berichte weisen darauf hin, dass die Ablehnung des europäischen Multikulturalismus den neuen Trend antreibt, während andere Berichte darauf beharren, dass einzig radikal-islamistische Organisationen dafür verantwortlich gemacht werden können. Experten sagen, dass Gruppen wie Sharia4UK und Sharia4Holland gezielt junge Menschen radikalisieren und ermutigen würden, in Syrien zu den Waffen zu greifen.

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 Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove

Trotzdem sagt Sam, dass die meisten der jungen Muslime, denen er in Syrien in Kämpfen begegnet ist, dort schlicht und einfach aus Pflichtgefühl heraus waren. „Sie werden keiner Gehirnwäsche unterzogen; sie treffen eine bewusste Entscheidung“, erzählt er uns. „Ihr Gewissen verfolgt sie, sie können nachts nicht schlafen und spüren, dass sie eine Veränderung bewirken können.“

Es ist nicht überraschend, dass die Truppen auf der Seite Assads das Ganze etwas skeptischer sehen. Th3 Pr0—ein Mitglied der Pro-Assad-Hackergruppe Syrian Electronic Army (SEA)—hat mir erzählt, er glaubt, dass ausländische Kämpfer nach Syrien kommen, um im Auftrag von assadkritischen Nationen zu arbeiten: „Einfach gesagt schickt die amerikanische Regierung diese Menschen hierher, um Syrien zu zerstören und die Syrer zu töten“, sagt er. „Sie werden von Qatar und Saudi-Arabien finanziert und erhalten Unterstützung aus der Türkei.“

Im Juni werden sich die europäischen Regierungschefs treffen, um darüber zu diskutieren, aus welchen Motiven sich Ausländer dazu entscheiden, auf syrischem Boden zu kämpfen und wie man dem Trend Einhalt gebieten kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Regierenden neue Einschränkungen für diejenigen ausarbeiten werden, die unter Verdacht stehen, auf dem Weg zum oder vom syrischen Schlachtfeld zu sein. Sam allerdings ist der Meinung, dass die einzige Antwort auf die Problematik nicht etwa Reiseeinschränkungen sind, sondern aufgestockte Hilfeleistungen seitens der EU.

„Wenn sie Leute davon abhalten, nach Europa zurückzukommen, wird es sie trotzdem nicht davon abhalten, nach Syrien zu gehen“, sagt Sam. „Die internationale Gesellschaft unternimmt nichts, obwohl es bereits 100.000 Kriegsopfer gibt und jetzt spricht man auch noch von chemischen Waffen in Syrien. Wo ist das internationale Gewissen, wenn diese Leute die einzigen sind, die auf den Hilferuf antworten?“