FYI.

This story is over 5 years old.

News

Siegerpose über Menschenwürde: Die Junge Union dankt

Der Landesvorsitzende der Jungen Union Berlin erklärt uns, weshalb es für ihn legitim ist, für Fotos vor den Trümmern von Existenzen zu posieren.

Gleich vorweg müssen wir sagen, dass wir uns durchaus bewusst sind, wie schwierig es ist, als Österreicher überhaupt fingerzeigend auf irgendein anderes Land zu schauen, das mit seinen Flüchtlingslagern vielleicht nicht ganz sauber umgeht (oder sich eine richtige Sauerei erlaubt). Immerhin wurde das Refugee Protest Camp Vienna im Sigmund-Freud-Park nach nur wenigen Wochen von der Polizei komplett zerstört und abgerissen—eine kurzentschlossene Schnelligkeit, die man in diesem Land sonst ziemlich vergeblich sucht.

Anzeige

Trotzdem wird durch die eigene Facepalm-Würdigkeit noch lange nicht besser, was kürzlich mitten in Berlin geschehen ist. Nach der Räumung des besetzten Oranienplatzes in Berlin Kreuzberg (wobei in Deutschland „Räumung“ kein Euphemismus für „gewaltsames Zerstören so ziemlich aller geborgten Camp-Gegenstände mit massiven Baggern“ ist), hat sich nun nämlich der Hauptstadtverband der Jungen Union mit einem Plakatfoto bei Berlins Innensenator Frank Henkel für die Aktion bedankt.

Zuvor war das Camp am Dienstag nach eineinhalb Jahren größtenteils von den Refugees selbst abgebaut worden. Die Polizei musste sich somit nicht die Finger schmutzig machen, dennoch kam es während des Abbaus zu unschönen Szenen zwischen verschiedenen Fraktionen der Flüchtlinge. Doch während die Flüchtlinge dem Zentrum ihres Protest für eine menschlichere Asylpolitik in Deutschland vorläufig selbst ein Ende bereiteten, fühlen sich die Konservativen rund um Berlins Innensenator Frank Henkel als Sieger. Das Trümmerfeld, das nach dem Abbau zurückblieb, nutzten schließlich zwei Männer des Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf der Jungen Union als Kulisse für ein Foto, das nun seine Runden durchs Netzt dreht und die Gemüter erregt. Christoph Brzezinski, Landesvorsitzender der Jungen Union Berlin, erklärte dazu auf der Website der JU: „Gut, dass Frank Henkel und die CDU in Berlin regieren!“ Doch nicht alle Berliner sehen das so oder fühlen sich ihrem Innensenator zu Dank für sein „beharrliches Eintreten für Recht und Gesetz“ verpflichtet. Auf mittlerweile drei Tumblr-Seiten überschütten sie nun die Partei mit Hohn und Spott. Christoph Brzezinski erklärte uns, weshalb er Frank noch immer dankbar ist und weshalb das offensichtliche Trümmerfeld auf dem Oranienplatz eigentlich gar keines ist.

VICE: Der Shitstorm gegen euch rollt. War es eine spontane Aktion oder von langer Hand geplant?
Christoph Brzezinski: Das war absolut spontan. Dienstagmorgen begann ja die Räumung am Oranienplatz und am Vormittag gab es dann den Vorschlag von einem Mitglied, ob man da nicht eine kleine Spontanaktion macht, und das wurde dann völlig ohne Plan gemacht—das sieht man ja auch, das Schild ist ja handgeschrieben. Zwischen Idee und Umsetzung vergingen ungefähr 45 Minuten. Mehrere Tumblr sind aufgetaucht, Familie JUschild, fakkjuberlin, Stupid Young Conservatives Holding Stupid Messages. Habt ihr mit soviel Spott und Hohn gerechnet?
Wir haben insgesamt nicht mit ganz so vielen Reaktionen gerechnet, auch wenn politische Aktionen natürlich auch immer den Sinn und Zweck haben, Aufmerksamkeit zu erzeugen, so können wir uns im Grunde nicht wirklich beschweren, allerdings ist es jetzt mehr, als wir erwartet hatten. Was diese ganzen Fotomontagen angeht, die meisten sind so, dass wir uns auch selber darüber ganz entspannt belustigen können, einige—ähm—nicht. Sobald es dann da um Zusammenhang mit Rechtsradikalen geht, finden wir das nicht ganz so lustig, und wenn es dann bei Twitter Gewalt- und Morddrohungen gibt, finden wir das auch nicht so lustig, aber über den Rest sind wir eigentlich ziemlich entspannt. Was habt ihr euch denn bitte gedacht, was das Bild transportieren würde?
Der Zweck oder die Intention des Ganzen war ja, dass wir in der allgemeinen Debatte und der allgemeinen Berichterstattung über die Lösung des Oranienplatzproblems unsere Position deutlich machen wollten, dass unserer Meinung nach die CDU, der Innensenator, an dieser Lösung einen erheblichen Anteil hatte und nicht etwa das, was uns, zumindest was die Kommentare bei Facebook und Twitter angeht, unterstellt wird, dass wir uns irgendwie lustig machen über die Flüchtlinge und uns nicht mit deren Leid beschäftigen. Das hat damit gar nichts zu tun, es geht hier ausschließlich um die politische Deutung, wie es zu dieser Lösung gekommen ist.

Wie hat Herr Henkel selbst auf diese Laudatio reagiert? Gab es Reaktion der Hauptstadt-CDU?
Ja, ich bin mit verschiedenen Leuten dort in Kontakt, und die sehen das auch alle völlig gelassen. Habt ihr selbst mit den Flüchtlingen während der 550 Tage der Besetzung des Platzes gesprochen oder war es nur ein Exkurs anlässlich der Räumung?
Nee, nee, wir beschäftigen uns mit diesem Thema schon lange und waren auch bei mehreren Gelegenheiten vor Ort, auch bei mehreren Veranstaltungen in Kreuzberg. Da waren Leute von uns dabei, die auch direkt mit den Vertretern der Flüchtlinge gesprochen haben. Das ist ja auch ein Thema, das die öffentliche Debatte in Berlin lange bestimmt hat, und da haben wir natürlich auch Partei genommen. Was waren die Ansätze der Jungen Union, bei dieser Thematik zu einer konstruktiven Lösung beizutragen?
Ja, wir haben relativ schnell gesagt, dass es grundsätzlich vollkommen in Ordnung ist, dass auch die Flüchtlinge das Recht haben, ihre Meinung kundzutun, zu demonstrieren oder wie auch immer man dieses Camp bezeichnen möchte. Nur das hat irgendwann die Maße verloren, zumal ja relativ schnell nicht mehr über die Anliegen der Flüchtlinge gesprochen wurde. Die Flüchtlinge haben die Räumung nun selbst in die Hand genommen. Dabei kam es zu internen Konflikten und Gewalt. Ist es nicht perfide, traumatisierte Menschen gegeneinander auszuspielen, was ja auch von der Politik ausging und forciert wurde?
Also, ich sehe das eigentlich nicht so, dass irgendjemand gegeneinander ausgespielt wurde, sondern es gab eben Gespräche mit diesen Gruppen, mit dieser Gruppe, mit Vertretern dieser Gruppe wurde dann mit den allermeisten eine Einigung erzielt, ohne eine ungerechte Bevorteilung der Flüchtlinge vom Oranienplatz—es gibt ja auch noch viel andere. Und es kann ja eben nicht sein, dass nur die, die den Oranienplatz besetzen, besser behandelt werden als alle anderen. Was jetzt verhandelt wurde, ist das Bestmögliche, was dabei hätte rauskommen können, und einige Flüchtlinge waren damit immer noch nicht zufrieden, nur dann muss es halt unserer Meinung nach auch irgendwann eine Grenze geben, wo der Staat dann eben zur Not auch die Leute gegen ihren Willen von so einem Platz entfernt, was ja in diesem Fall Gott sei Dank nur bei sehr Wenigen nötig war. Aber es gibt doch zig Videoaufnahmen und Fotos, auf denen man sieht, dass Teile der Flüchtlinge gewaltsam andere Flüchtlinge verdrängen, um die Hütten dort zu zerstören, mit Messern, Brecheisen und was auch immer. Das ist dann ja doch eine gewaltsame Zerstörung des Camps gewesen.
Ja, das war später so am Nachmittag, das war ja deutlich nach dem Foto, und äh, da habe ich ja auch gerade schon was zu gesagt. Da sind wir aber auch ganz klar der Meinung, es ist an so einem Punkt auch einfach nötig, wenn einige Wenige sich sozusagen dem allgemein gefundenen Kompromiss, einem demokratisch gefundenen Kompromiss, widersetzen, dann eben auch da entsprechend einzugreifen. Euch zu keinem Zeitpunkt aufgefallen, dass es einfach falsch aussieht, vor einem zerstörten Flüchtlingslager mit einem Danke-Schild zu stehen? Kein einziges Mal?
Sicherlich, aber das ist meines Achtens nicht zerstört worden, sondern geräumt worden. Von den Flüchtlingen selber. Wobei natürlich die Zelte zum Beispiel abgebaut wurden—aber zerstört, das find ich schon mal einfach eine falsche Beschreibung der Lage. Das wäre jetzt so gewesen, wenn man mit Bulldozern das Camp plattgerollt hätte, gegen den Willen der Flüchtlinge. Dann hätte ich auch gedacht, dass so ein Schild nicht unbedingt angebracht gewesen wäre, aber das ist nicht der Fall gewesen, deswegen. Man kann das jetzt natürlich so interpretieren, wenn man will, und das tun ja eben auch einige aus einem bestimmten politischen Spektrum, weil sie da Interesse dran haben.