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Kein Darkroom und kein Busch einer Cruising-Area war in Rom vor Prälaten sicher

David Berger war zwischen 2003-2010 für den Vatikan tätig und ist nun Chefredakteur der Zeitschrift „Männer“. Für uns analysiert er die neuen Mutmaßungen über den Papstrücktritt.

Von Stunde zu Stunde wird es klarer: am Papstrücktritt sind die Schwulen schuld! Und gemeint ist damit nicht, dass die anfangs ins Feld geführte Kränklichkeit des Papstes hier ihren Ausgangspunkt genommen hätte. Nein „schwule Netzwerke“ in den Mauern des Vatikan, die ihre Geheimtreffen in Schönheitssalons und einer Sauna veranstaltet haben, scheinen der Auslöser für den überraschenden Rücktritt des Papstes gewesen zu sein.

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Vor wenigen Monaten war so etwas für manchen frommen Katholiken noch völlig undenkbar. Ja, das ging so weit, dass der Papstbiograf, UFO-Forscher und Ratzinger-Intimus Michael Hesemann jemanden, der es wagte, von der hohen Schwulendichte im Vatikan zu sprechen, als „verlogenes, perfides Individuum“ beschimpfte, dem „alles zuzutrauen ist. Wer sich Lügen über einen ‚Prälatenstrich in Rom‘ aus den Fingern saugt, der ist zu allem fähig.“ Was bisher bei Katholiken weithin ein Tabu war, kann nun angesichts des Papstrücktritts nicht mehr verheimlicht werden: Homosexualität, auch die praktizierte, ist unter katholischen Klerikern überdimensional weit verbreitet.

Eingeweihte gehen davon aus, dass etwa 50 % aller katholischen Priester schwul sind. Dies gilt besonders für das Zentrum der katholischen Kirche. Während meiner Zeit als Professor der Päpstlichen Thomasakademie war ich oft in Rom und habe dort auch schwule Treffpunkte besucht: Es war am Anfang für mich geradezu schockierend, dann aber schnell eine Selbstverständlichkeit, wie viele mir bekannte Gesichter aus dem Vatikan ich dort wieder getroffen habe. Manchmal in sehr intimen Situationen: Kein Darkroom und kein Busch einer Cruising-Area war in Rom vor Prälaten sicher.

Um von ihren Vorgesetzten deswegen nicht behelligt zu werden, sind schwule Priester meistens besonders papsttreu und konservativ. Beste Voraussetzungen dafür, um im Vatikan Karriere zu machen. So kommt es, dass im Herzen des Katholizismus die Dichte schwuler Männer besonders hoch ist. Jeder weiß das, aber so lange sich die Würdenträger nicht öffentlich outen und ihre Sexualität möglichst diskret leben, ist das alles kein Problem. Es wird—und das ist das perfide an der Sache—für die Betroffenen erst dann zum Problem, wenn sie illoyal werden. Dann beginnt sofort der Mechanismus der Erpressung, nach dem Motto: „Wenn du schon heimlich im Sexleben vom rechten Weg abweichst, erwarten wir dafür in allen anderen Punkten von dir Gehorsam!" Dass man nun in kirchlichen Kreisen betont, die homosexuellen Kirchenfürsten seien „von Laien“ erpressbar gewesen, ist nur ein Ablenkungsmanöver.

Erpressung aufgrund von Homosexualität findet zu allererst und vorwiegend intern statt: am häufigsten in der Hierarchie von oben nach unten, oft horizontal und gelegentlich auch von unten nach oben. Viele der schwul lebenden Geistlichen haben den beschriebenen Erpressungsmechanismus längst verinnerlicht, so dass sie gar nicht erst zur Ordnung gerufen werden müssen. Stets bemüht darum, romtreue Musterschüler zu sein, um das Manko ihrer wilden sexuellen Eskapaden so wieder gut zu machen. Die strahlendsten Messgewänder sind für Eingeweihte das ergänzende Pendant zu den dunkelsten Orgienkellern. Die Hierarchie der Kirche hat vor allem deswegen solche Kraft und solchen Bestand, weil sie auf diesem Mechanismus basiert.

Dass Benedikt nicht um diese Machtkonstellationen wusste, ist unwahrscheinlich; seit frühester Jugend ist er Teil dieses Systems. Dass es jedoch solche Ausmaße und sich eigene Organisationsformen geschaffen hat, dass sein seit vielen Jahrzehnten in Rom gefochtener Kampf gegen die „widernatürliche Unzucht“ unter den Dienern in seinem Weinberg dermaßen erfolglos war, das muss wohl neu für ihn gewesen sein. Erschwerend kommt hinzu: Benedikt leidet unter einer neurotischen Angst vor Schwulen. „Abgrundtief böse“ seien solche Menschen und ihre Sexualität sei der stärkste Feind eines friedlichen Zusammenlebens in Europa, ließ er den Seinen immer bis zum Überdruss wissen.

Der Schock, dass es im Vatikan nicht nur über den Anblick junger Diakone, feierliche Gewänder und ausufernde Herz-Jesu-Frömmigkeit sublimierte, sondern handfest gelebte Homosexualität gibt, muss daher groß für ihn gewesen sein. Benedikt will sich mit Monsignore Gänswein Anfang März in die stille Zweisamkeit zurückziehen. Das wird an den Ergebnissen dieses Skandals jedoch nichts ändern. Durch solche Erkenntnisse wird innerkirchlich die Daumenschraube für homosexuelle Priester noch weiter angezogen werden. Noch ausgefallener werden daraufhin die klerikalen Verschleierungsmechanismen und bigotten Versteckspiele gestaltet werden. Noch überzeugender werden junge Kardinalsliebhaber Privatsekretäre und Neffen spielen müssen. Gesamtgesellschaftlich allerdings wird man die kirchliche Homophobie nun noch weniger ernst nehmen als bisher. Selbst die ganz hartnäckigen Papstfans werden zunehmend eingestehen müssen, dass die hasserfüllte Ablehnung der Homosexualität durch die katholischen Kirchenmänner ihre Ursache nicht in irgendwelchen jahrtausendealten Reinheitsgeboten oder Dogmen hat.