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Kenia hat sich entschieden, Kriegsverbrechen ernstzunehmen

Ist die Ära, in der Gewalt ein legitimes Mittel der kenianischen Politik war, endlich vorbei?

Das war vor ein paar Tagen schon eine ziemlich angespannte Situation im Amani Pub in Turbo Town (ja, diesen Ort gibt es wirklich), Kenia. Der Internationale Strafgerichtshof (IstGH) hat

an diesem Nachmittag eine historische Entscheidung getroffen. Es wurde bekannt gegeben, dass man gegen vier kenianische Politiker, die beschuldigt werden, während der politischen Unruhen 2007/2008 Kriegsverbrechen begangen zu haben, Anklage erheben will. Für Finanzminister und Vize-Ministerpräsident Uhuru Kenyatta (der ganz zufällig auch der reichste Mann Kenias und Sohn von Gründungsvater Jomo Kenyatta ist) und den ehemaligen Bildungsminister William Ruto, beide Präsidentschaftsanwärter, ist das eine Riesensache. Des Weiteren angeklagt sind Kabinettssekretär Francis Muthaura und Joshua arap Sang, Radiojournalist  von Kass FM. Die Kenianer und der Rest der Welt beobachten die Prozesse mit großem Interesse. Jeder hier kann sich daran erinnern, was nach den Wahlen im Dezember 2007 passierte, als Amtsinhaber Mwai Kibaki, trotz heftiger Proteste seines Kontrahenten Raila Odinga, den Amtseid ablegte. Der ganze Wahlvorgang war extrem zwielichtig. Kibaki wurde in einer geheimen Zeremonie vereidigt, danach herrschte für über drei Monate eine wortwörtlich explosive Stimmung zwischen den Parteien. Als alles gesagt und getan war, sind über 1.100 Leute gestorben. Berichte über Massenvergewaltigungen, brutale Morde und Abschiebungen ließen den Rest der Welt ziemlich ausflippen. Eine erste Gewaltwelle gegen die Kikuyu Sippe (Kibaki ist Kikyuy) in Nairobi, Nakuru, Naivasha und Eldoret sorgte für einiges Blutvergießen, Morde, Vergewaltigungen und Massenabschiebungen. Die Vergeltungsattacken verwüsteten die Gemeinschaft um Odinga Lou, wie auch Kalenjins und Kambas (unter anderem), von denen die meisten Odingas Präsidentschaftskandidatur unterstützten. Um zu verstehen, was zur Hölle da abging, wollte ich die Rift Valley Provinz, eine Wildwest-Region bei Eldoret und Turbo Town besuchen. Der Abgeordnete für Nordeldoret ist William Ruto. Er stammt aus Turbo Town und es wird angenommen, dass er viele der grausamen Gewalttaten, die hier verübt wurden, finanziert hat. Die internationale Presse hat am Montag erneute Ausschreitungen erwartet (ich auch; sorry, Journalisten sind Freaks). Aber auch, wenn die Situation in der Kneipe ziemlich verkrampft war, wirkten die Leute total stoisch, nachdem die Entscheidung einmal verkündet war. Schweigend schauten sie sich die Urteilsverkündung an. Jemand sagte „Wow“ und kratzte sich am Kopf, und die vermuteten Krawalle, wegen denen extra ein Polizeiaufgebot bestellt wurde, die gab es ganz einfach nicht. Vielleicht haben die Leute ihre Lektion gelernt, denn vier Jahre zuvor wurden die Dinge hier ziemlich hässlich.

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Im Kiambaa Distrikt, außerhalb von Eldoret, kann man auf einem schmalen, trockenen Landstück mehrere Reihen namenloser Gräber finden. Am 1. Januar 2008, als Folge von Kibakis „Sieg“, erfuhren die Kikuyus eine ziemlich heftige Gegenreaktion der Kalenjins, die den Distrikt dominieren. Hunderte suchten Zuflucht in der Kirche der Kenya Assemblies of God, eine ziemlich schlechte Entscheidung, wie sich herausstellte. Ich traf mich mit Mike Karanja, der an dem beschissenen Neujahrstag dabei war.

„In der Bibel steht, das dem, der im Haus Gottes Schutz sucht, das Böse nicht folgen kann,“ sagte er.

Falsch. Ein Mob mehrerer hundert ziemlich angepisster Kalenjins umzingelte die Kirche und forderte Vergeltung. Draußen gaben die Männer alles, um die etwa 250 Menschen da drin zu schützen. Ohne Erfolg. Ihnen wurde in ihre Ärsche getreten, der Mob zündete einen Stapel Matratzen an und das ganze Ding ging in Rauch auf. Jeder, der es schaffte, zu fliegen, wurde mit Macheten, Pfeilen und Keulen attackiert.

„Bei den Meisten der Angreifer war die Identifikation nicht leicht. Sie hatten sich Schlamm in ihre Gesichter geschmiert und es waren so viele, man weiß ja nie. Vielleicht ist es dein Nachbar. Aber du wirst es niemals wissen,“ sagte Karanja. Niemand in Kenia musste sich jemals für irgendwelche Verbrechen, die nach den Wahlen begangen wurden, verantworten—inklusive der Polizei, die bezichtigt wird, hunderte Unschuldige getötet zu haben, im Versuch, die Ausschreitungen zu beenden. Und nicht nur die Verletzen leiden immer noch—Hunderttausende wurden in den Monaten nach der Wahl abgeschoben und viele sind bisher noch nicht zurückgekehrt. Im Yamumbi Internally Displaced Persons Camp außerhalb Eldorets fragen sich 25 Familien, wieso die Regierung ihr Versprechen, sie umzusiedeln, noch immer nicht wahr gemacht hat.

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Yamumbi ist so ungefähr der schlimmste Ort, den du dir vorstellen kannst. Die vier Jahre alten Zelte sind völlig zerfleddert und ausgefranst, es gibt kein fließendes Wasser, wenig Lebensmittel und die Leute hier sind gebrochen, stumm. Die lokale Polizei will den Ort in eine Hundeschule verwandeln, doch die Regierung hat den Familien noch nicht mitgeteilt, wenn sie umsiedeln können. Die Bewohner Yamumbis sind seit Jahren hier und das alles fordert seinen Tribut von ihnen. Anne Wamboi erinnert sich noch daran, am Neujahrstag 2008 Kibakis Sieg gefeiert zu haben, als sie die hektisch herumrennende Nachbarin bemerkte, der ein paar wirklich miese Neuigkeiten hatte.
„Sie erzählte uns, ,Während ihr hier feiert, werden wir von der anderen Seite angegriffen.‘ Zunächst glaubten wir, sie macht Witze, bis wir die Rauchschwaden sahen,“ erinnert sie sich. Wamboi war klug genug, nicht einfach dazubleiben und zu sehen, ob ihre Nachbarin sie gerade verarscht hat. Sie floh mit dem, was sie gerade bei sich hatte und musste später feststellen, dass ihr Haus und all ihr Besitz verbrannt und zerstört worden war. An diesem Tag wurde sie zu einer IDP und hat seither kein Zuhause mehr. „Wenn es regnet, ist es am Schlimmsten. Alle Zelte sind zerrissen und undicht, das Gebiet ist sumpfig. Besonders die Kinder leiden darunter. Überall ist Dreck,“ sagt sie. Im Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Eldoret hat Direktor Ken Wafula die letzten vier Jahre damit verbracht, mit allen Mitteln für die Rechte der Opfer zu kämpfen. Seine Gruppe war die erste, die Zeugenschutzprogramme anboten, als die Regierung noch damit beschäftigt war, abzuwägen, ob die Tatverdächtigen nun angeklagt werden sollen, oder nicht.

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Die Entscheidung fiel gegen eine Strafverfolgung, weshalb der IstGH eingeschaltet wurde. Seither sind viele der Zeugen bedroht worden, verschwunden oder aus dem Land geflohen.
„Das größte Problem sind nicht die Verdächtigen, es sind die, die von ihnen benutzt werden können,“ sagt Wafula und bezieht sich damit auf Politiker, die Gangster und entrechtete Jugendliche dafür bezahlen, dass sie die Anhänger der Gegenseite vor und nach den Wahlkampagnen bedrohen, verprügeln und töten.

Da Kenia eine Wahlsaison ansteuert, die ihren Höhepunkt 2013 mit einem neuen Präsidenten finden wird, ist Wafula der Meinung, dass die Bestätigung der Anklage alles verändert hat. Ruto und Kenyatta gelobten, mit ihrer Präsidentschaftskandidatur fortzufahren, obwohl sie in der Verantwortung der Kriegsverbrechen stehen, was einen Schatten auf alles wirft, aber Wafula sagte, dass es kein Zurück gibt.
„Die kenianische Politik wird sich für immer verändern. Die Ära, in der Gewalt angewendet wurde, um an ein Amt zu gelangen, ist vorbei … Es werden weitere Zeugen auftauchen. Verurteilungen sind wahrscheinlich. Die Kenianer wollen dieses Elend keine weiteren fünf Jahre ertragen.“

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