Die brasilianischen Spice Girls der Tattoo-Szene

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Die brasilianischen Spice Girls der Tattoo-Szene

In einem angesagten Studio in São Paulo haben Machokollegen keine Chance. Warum? Weil der Laden nur von Frauen geführt wird.

Die 18-jährige Tätowiererin Ingryd Guimarães. Alle Fotos: Felipe Larozza/VICE

In São Paulos beliebter Rua Augusta arbeiten fünf Frauen unter einem Dach und gehen dabei ihrer großen Leidenschaft nach: tätowieren. „Diese Mädchen sind noch recht neu in dem Gewerbe", sagt Samantha Sam, die das Studio „Sampa Tattoo" betreibt.

Die Idee für ein eigenes Studio kam ihr zum ersten Mal, als sie beschloss, ihren alten Job an den Nagel zu hängen. Einer der dortigen Chefs fragte sie, ob sie Lust habe, mit ihm zusammen ein eigenes Studio aufzumachen. Nachdem die richtige Location gefunden war, ging es darum, geeignetes Personal zu finden. Eine Freundin von ihr schlug ihr dann vor, nur Frauen anzustellen. Ihr Vorschlag kam bei ihrem Geschäftspartner gut an.

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Samantha Sam mit ihrer Crew

Das Studio hat zwei Etagen: unten, in einem Raum mit schwarzem Kronleuchter und Tapete, steht ein großer Tisch voller Skizzenbücher, Pinsel, Blätter, Marker und Zeichnungen. Sehr viele Zeichnungen. Oben liegt das „Schlachthaus" mit Liegen, Nadeln und allen nötigen Utensilien zum Tätowieren.

Drei Wochen nach der Eröffnung hat der Laden rund drei bis vier Kunden pro Tag. Samantha sagt, dass man weiter wachsen wolle, um noch mehr Frauen einen Job anbieten zu können, „denn aktuell drängen immer mehr von ihnen auf den Arbeitsmarkt." VICE hat mit den Tätowiererinnen über ihre Arbeit im Tattoo-Gewerbe, das abfällige Verhalten vonseiten vieler männlicher Kollegen sowie ihre Liebe für die Tätowierkunst gesprochen.

Juliana Chislu, 22 Jahre alt

„Ich habe Tattoos schon immer toll gefunden und mir gedacht, dass ich genau das in meinem Leben machen will. Als ich 13 war, habe ich meine Schulfreunde mit Nadeln und Tinte tätowiert. Am Tag vor meinem 18. Geburtstag habe ich einen Termin für mein erstes Tattoo gemacht. Mein Vater fand Tattoos gar nicht gut und meinte zu mir, dass das mein erstes und letztes sei, das ich bekommen würde." Mittlerweile bin ich beim Handpoking angekommen, einer japanischen Technik, bei der die Tattoos nur per Hand und ohne Zuhilfenahme einer elektrischen Maschine gemacht werden. Meine Großeltern wollen nichts mehr von mir wissen, weil ich meine Hände und mein Gesicht tätowiert habe.

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Ich wurde schon in so vielen Studios verarscht. Wenn du noch in der Ausbildung bist, wirst du überall nur verarscht. Ich bin mal in ein Studio, um denen dort mein Portfolio zu zeigen. Der Typ hat mich nur ausgelacht und gemeint, dass das nicht meine Arbeiten sein können, denn Mädels hätten nicht die Eier, russische Tattoos zu machen. Da habe ich zu ihm gesagt, dass er sich nur hinsetzen muss, dann würde ich ihm genau ein solches Tattoo verpassen. Daraufhin hat er mich gleich rausgeschmissen."

Julia Bicudo, 26 Jahre alt

„Meine Mama hat mir erzählt, dass ich als Vierjährige immer gern Puppen in Tailleurs gezeichnet habe. Ich habe Radio und Fernsehen studiert und in dem Bereich acht Jahre gearbeitet. Dann haben sich mein Mann und ich eine Tätowiermaschine gekauft, damit wir uns aus Spaß zu Hause tätowieren konnten. Ich hätte nie gedacht, dass das so cool ist. Außerdem dachte ich, dass nur ganz bestimmte Menschen dazu in der Lage seien. Wie dem auch sei, mir hat das Ganze so viel Spaß gemacht, dass ich beschloss, es selber lernen zu wollen.

Ich wollte mir unbedingt einen Blitz tätowieren. Ich war so besessen von der Idee, dass ich einen ganzen Zeichenblock mit diesem Motiv gefüllt habe. Bisher habe ich mich achtmal selbst tätowiert. Ich arbeite vor allem mit sehr dünnen Nadeln. In letzter Zeit beschäftige ich mich auch mit so Old-School-Sachen. Ich fand das Konzept dieses Studios einfach großartig. Wo sonst kann ich so glücklich bei der Arbeit sein und dann noch einen Haufen toller Frauen als Kollegen haben?"

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Ingryd Guimarães, 18 Jahre alt

„Mit 15 ließ ich mir mein erstes Tattoo stechen. Es war so eine hässliche Rose auf der Schulter. Dann hat mir einer den Tip gehen, ich sollte zu einem Typen gehen, der mir das wieder geradebiegen könnte. Ich bin also hin und als ich bezahlen wollte, ist mir mein Zeichenblock aus der Tasche gefallen. Er war total beeindruckt von meinen Zeichnungen und wir haben begonnen, uns zu daten. Er war es auch, der mich ermutigte, mit dem Tätowieren anzufangen. Nach meinem ersten selbstgestochenen Tattoo war ich so aufgeregt, dass ich nicht einschlafen konnte. Ich hörte einfach noch immer die Maschine in meinem Kopf summen.

Ich bin ein großer Fan von Pointillismus und Schraffuren. Bevor ich Tätowiererin wurde, wollte ich Psychologie studieren. Das habe ich irgendwann immer noch vor. Doch nach meinem ersten Tattoo schmiss ich meinen Job und schwänzte die Aufnahmeprüfung für die Uni, um mich voll und ganz dem Tätowieren zu widmen."

Samantha Sam, 23 Jahre alt

„Ich bin von Cerquilho, wo ich geboren wurde, nach Sorocaba gezogen, um dort das Tätowieren zu lernen. Ich habe dort sechs Monate lang als Lehrling gearbeitet. In der Zeit habe ich fast den ganzen Laden geschmissen. Ich habe die Zeichnungen gemacht, ich habe geputzt und den Empfang sauber gehalten. Ich habe allen Widrigkeiten, alleine in einer wildfremden Stadt zu wohnen, getrotzt, weil ich ein Dickkopf bin und das, was ich mache, liebe.

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Das war aber auch nötig, denn in meinem ersten Studio war ein Typ, der meine Arbeit, wo es nur ging, sabotiert hat, indem er zum Beispiel einen Block mit Zeichnungen von mir verschwinden ließ und Lügen über mich verbreitete. Man hat voll gemerkt, dass der Typ Angst hatte, dass die bösen Frauen ihm den Job wegnehmen könnten.

Jéssica Coqueiro, 23 Jahre alt

„Ich begann mit dem Tätowieren, nachdem ich mein Studium an der Kunsthochschule abgebrochen hatte. Ich nahm meine letzten Ersparnisse und habe mir damit ein Tätowierer-Starterset gekauft. Damit habe ich dann meinen ersten Kunden Hausbesuche abgestattet. Tätowieren war für mich ein Ausdruck von Freiheit und Unabhängigkeit sowie von dem Gefühl, mein Leben durch Kunst finanzieren zu können.

Ich arbeite gerne mit schwarzen Linien. Außerdem lasse ich mich von Büchern über Biologie und Anatomie sowie technischen Zeichnungen inspirieren.

Hier im Studio habe ich zum ersten Mal das positive Gefühl erlebt, mit Frauen zusammenzuarbeiten. Wir reden viel miteinander, auch darüber, wie Frauen in ihrem Beruf mehr Einfluss bekommen können. Wir verstehen uns alle blendend und wissen uns gegenseitig sehr zu schätzen."