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Mit dem Besten aus saurer Vollmilch

Mikrobiologie und Mode gehen nun Hand in Hand und euer vergammeltes Joghurt könnt ihr bald auch anziehen.

Auf den ersten Blick scheint es, als würde die Mikrobiologin und Modedesignerin Anke Domaske mit ihrer neuen Erfindung nicht nur die Konkurrenz in der Textilindustrie ausschalten, sondern auch noch mit einem Übergriff auf die Lebensmittelindustrie ihren Auftakt zur Weltherrschaft ankündigen.
Aber der Schein trügt, denn eigentlich wollte die 28-jährige nur nachhaltig sein und Mensch und Umwelt etwas Gutes tun. Dieser Intention folgend, entschied sie sich die Klamotten ihres Modelabels Mademoiselle Chi Chi doch einfach mal aus Milch herzustellen und entwickelte QMilch, eine Naturfaser, die aus dem Milchprotein Casein hergestellt wird. Weil ich mir dabei nur sehr schwer einen seidenähnlichen und strapazierfähigen Stoff vorstellen konnte und eher an die Auswüchse zeitgenössischer Kunst, bei der das Hantieren und Konsumieren mit und von Lebensmitteln als Kunstwerk bezeichnet wird, denken musste, habe ich mich mit ihr unterhalten. Die Faser scheint ein wahres Wunder der Natur und gut für und gegen alles zu sein. Du kannst sogar all deine herkömmlichen Anti-Aging Produkte in den Müll werfen und als sei das nicht utopisch genug, erklärte sie mir sogar noch, das Mode in Zukunft die Aufgabe hat, mehr zu sein, als nur gut auszusehen und, dass ich ihre Kleider sogar essen könnte. VICE: Hallo Anke, was wolltest du früher mal werden? Anke Domaske: Ich wollte eigentlich Mikrobiologin werden. Also ich habe als Kind überall rein geschnuppert, meine Urgroßmutter war Modedesignerin und das habe ich auch immer gerne gemacht und das war immer ein Highlight, mit ihr Stoffe einzukaufen, aber ich wusste schon sehr früh, dass es wahrscheinlich Mikrobiologie sein wird, ich habe Robert Koch sehr bewundert und wollte definitiv keine Modedesignerin werden. Dann ist der Traum Realität geworden und du hast Mikrobiologie studiert, aber dann gleichzeitig doch an einer eigenen Modekollektion gearbeitet.

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Ja. Also das Label hatte ich gegründet, nachdem ich mit 19 aus Tokio wiederkam und kurz darauf habe ich eigentlich auch angefangen Mikrobiologie zu studieren, weil ich dann doch noch etwas Handfestes haben wollte. Wenn man anfängt Biologie zu studieren, träumt jeder davon, dass er irgend etwas erfinden kann gegen Krebs oder gegen Aids. Deswegen fangen die meisten an, Biologie zu studieren, jeder träumt davon, aber irgendwann wird man realistisch und es ist auch ein bisschen ernüchternd während des Studiums, und man realisiert, OK, man wird wahrscheinlich nie zu dieser Forschungsgruppe gehören, oder wenn, dann nur als ein kleines Zahnrädchen. Und dann überlegt man sich als Biologe, gehe ich doch in die Forschung, oder gehe ich in die Industrie? Und du hattest dann vor, eine neue Faser auf den Markt zu bringen?

Ja, das kam eigentlich erst nach dem Studium. Der Ausgangspunkt war, dass ich Allergiker in meinem Umfeld habe, also Textilallergiker, und leider auch einen Krebsfall. Naja und da ist man ja auch ein bisschen betroffener und das gibt dir einen Anstoß, deswegen habe ich mir gesagt, diesen Menschen will ich helfen. Und ein Rohstoff wie Milch, der ja auch natürlich belassen ist, sonst wird ja immer Chemie mit eingesetzt, auch bei Naturfasern, wie Baumwolle oder Seide. Und sogar die Milchfasern, die man bis dahin hatte, bestanden noch aus 75% Acrylnitril und nur aus 25% Casein. Also die Betroffenen haben es wirklich schwer, etwas zum Anziehen zu finden. Dann hast du angefangen mit Milch zu experimentieren. So als wolltest du einen Kuchen backen. Wie lautet das Rezept?

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Ja, im kleinen Maßstab kann man das wirklich mit Backen vergleichen, also man hat dann seine Zutaten und muss auch darauf achten, wie viel gebe ich dazu, wie hoch ist die Temperatur, oder wie viel Zeit brauche ich. Wenn Milch sauer wird, bildet sich oben so etwas Weißes und Flockiges, das ist Casein, und wenn man das abschöpft hat man eine Art Quark und wenn das trocknet, ist es Eiweißpulver. Dann gibt man wieder Wasser und ein paar andere natürlich Substanzen dazu und muss die ganze Mischung durchkneten. Danach wird die Masse in eine Maschine gedrückt, die funktioniert wie ein Fleischwolf und am Ende ganz dünne Löcher hat, wodurch man dann auch eine ganz dünne Faser bekommt. Um das herzustellen braucht man nicht sehr viel Zeit, maximal eine Stunde, man braucht ganz wenig Wasser und halt keine Chemie.

Und du garantierst mir, dass wenn ich so ein Kleid trage, es sich nicht plötzlich auflöst?

Das kann ich dir garantieren, absolut. Das ist dann eine ganz normale Textilfaser, wie jede andere auch. Aber da sind ja vorher alle dran gescheitert, deshalb ist die Frage durchaus berechtigt. Viele haben es versucht, aber nicht wasserbeständig gekriegt. Letzten Endes ist es so wie alles ein Prozess mit Molekülen, die eine neue Struktur bilden und sich vernetzen, wodurch die Faser wasserbeständig wird. Und wir haben es ja jetzt schon über eine längere Zeit ausgetestet und es löst sich wirklich nicht auf. QMilch soll nicht nur antiallergisch, sondern unter Anderem auch atmungsaktiv, antibakteriell und reißfest sein und sogar eine Anti-Aging Wirkung haben. Gibt es einen Haken?

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Nein, es gibt keinen Haken eigentlich, also bisher haben wir noch keinen festgestellt. Kuck mal, die Natur bietet uns soviel, wir haben uns auch ein bisschen an dem Lotuseffekt orientiert. Und wir stellen ja quasi eine Seide her, daran haben wir uns auch orientiert, wie natürliche Seide aufgebaut ist. Dann wollen ja bald alle Klamotten aus Milchfaser haben.

Ja, wir haben Anfragen aus allen Branchen, von der Socke bis hin zur Unterwäsche und normaler Bekleidung, oder sogar aus der Möbelindustrie, Automobilbranche und Medizintechnik und das ist ja das Tolle, dass es auf natürliche Weise antibakteriell und auch biologisch abbaubar ist, man kann die Faser ja eigentlich essen. Was hat das für Folgen für die Milchproduktion?

Keine, wir nehmen ja die Milch, die normalerweise weggekippt wird. Wir haben eine sehr strenge Milchverordnung und da gibt es so viel mehr Milch, als wir uns das eigentlich vorstellen können, die für Lebensmittel nicht verwendet werden darf und die der Bauer wegkippen muss. Das sehen wir als Verbraucher gar nicht. Auch wenn sie dann in Massen produziert wird?

Das sind 20% der Milchproduktion, die weggekippt werden muss, das ist massig, wir haben das mal durch kalkuliert, also mit 560 Tonnen pro Jahr sind wir erst mal gut bedient, aber das hört ja nicht bei Kuhmilch auf, ich habe Anfragen aus Südamerika von Leuten, die das mit Ziegenmilch versuchen wollen, weil sie sonst die ganze Ziegenmilch wegkippen müssen, die sie gar nicht verwerten können. Also wirklich ein nachwachsender Rohstoff.

Ja, absolut. Das war ja auch wichtig für uns und unser Ausgangspunkt, es soll ja nicht nur gut sein für den Menschen, sondern wir haben uns auch wirklich Gedanken gemacht, wie wir es schaffen, ein nachhaltiges Produkt zu entwickeln. Was ist deiner Meinung nach die Zukunft der Mode ?

Also mittlerweile bedeutet Mode für mich, dass sie eine Funktion erfüllen muss. Das nennt man ‚Smart Textiles‘ und wird ein immer größeres Thema, viele arbeiten daran, dass die Kleidung auch einen Effekt auf den Körper hat. Das wird ein neuer Trend, Mode muss gut sein für den Mensch und die Umwelt und mittlerweile mehr Funktionen bedienen, als den Körper zu bedecken und sollte natürlich auch noch gut aussehen, also die Ansprüche werden höher. Und für mich persönlich bedeutet Mode, kreativ zu sein, Spaß zu haben, aber auch innovativ zu sein und klar erfindet man das Kleid nie neu, aber das ist ja auch die Herausforderung, aus etwas Bestehendem was Neues zu entwickeln.

Fotos: Ines Klinger