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Musik

Stefan Gelds Backstage Hustle

Das große Aufeinandertreffen der gealterten New Yorker Untergrundlegende Jeru mit der neuen deutschen Rap-Kultur.

„Jeru The Damaja, das ist so ein Freund von Haftbefehl.“ Ich hätte beinahe mein Frühstück vor Lachen auf den Monitor gespuckt. Was Davide Bortot, Ex-Juice-Chefredakteur und nun seines Zeichens Red Bull Music Academy Moderator da gerade schmunzelnd von sich gegeben hatte, war im Grunde ein humoriger Verweis auf eines DER Hip Hop Ereignisse des vergangenen Jahres. Man sprach von „originärem Hip Hop“, Jerus Song „Come Clean“ und nun indirekt vom Treffen der Giganten. Einige Monate vor jener Podiumsdiskussion, stand die gealterte New Yorker Untergrundlegende leicht verloren zwischen der deutschen Hip Hop Generation 2011, die sich im Backstage-Bereich des Rheinkultur Festivals in erster Linie als deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund, Boxer-Haarschnitt und Alpha-Jacken präsentierte.

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Bekleidet mit der Army-Mütze des Albumcovers seiner 2003er Platte „Divine Design“ harrte Jeru also der Dinge, die da kommen mögen (in diesem Fall eine ordentliche Portion Fanrandale und der darauf folgende Festivalabbruch), als die gesamte Azzlack-Entourage von Rosé-Sekt beflügelt die Örtlichkeiten enterte. Natürlich wollte man den New Yorker Stargast nicht ohne sportliches Reime-Messen von dannen ziehen lassen. Die Bedeutung der vollmundigen deutschen Worte „Haftbfehl rammt sein Schwanz in dein Mädchen“ und „ich verwöhn deine Chaya mit meim Sperma“ blieben unserem amerikanischen Gast schlussendlich ein Rätsel. Als ihm Psyko Veysel dann jedoch in gekonntem Englisch klar machte, dass die Gewalt nicht aus Brooklyn, sondern aus dem Essener Stadtteil Altendorf stamme, war Jeru klar, dass hier nichts zu holen war.

Hier prallten zwei Welten aufeinander: der „Azzlack Stereotyp“, weit abseits irgendeines Dogmatismus, abgesehen von kapitalistischer Gewinnmaximierung natürlich, und der weise Gralsträger New Yorker Tugenden à la „Knowledge, Wisdom, Understanding“.

Der „gealterte Rapper Stereotyp“ mit Hauptwohnsitz Köln, unbeabsichtigtem Kind im niederbayerischen Passau und einem dicken Haufen Steuerschulden (fragmentarische Anekdoten, hier als mal als Überspitzung in eine Person projiziert). Dick war der Bauch geworden, die Brötchen verdiente man mit wöchentlichen Auftritten zwischen Wuppertal und Unna, während die Azzlackz „einfach nur Hunger“ hatten und die Fans dank US-amerikanischer Straßenverklärung immer noch in Scharen zu den Konzerten pilgerten. Dabei war Brooklyn nicht viel schöner als Köln Ossendorf, aber dafür angenehm weit weg. Wie der Wilde Westen.

Insgesamt richtig ätzend und deshalb fuhr ich eher mit der Absicht zu meinem Jeru The Damaja Interview, diese miese Abzocke mal anzusprechen und sich dann per nachgeschobenem Artikel so richtig auszukotzen. Schade nur, dass sich Jeru dann als extrem angenehmer, interessierter und humorvoller Mensch offenbarte, der es auch nach über 20 Jahren am Mikrofon immer noch versteht nicht nur die Hallen zu füllen sondern auch zu begeistern, zudem immer noch in Brooklyn lebt, gerne fotografiert, von Tag zu Tag lebt, „Schinken“ von „Chicken“ unterscheiden kann und dem sogar Haftbefehl ein Begriff ist. Und das Bildmotiv „food for thought“ war auch seine Idee. Army-Mütze ab.

WEITERE KOLUMNEN:

Volume 1: Pete Rock / A Fan is a Fan
Volume 2: Haftbefehls Reisetipps
Volume 3: Entourage