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Angst und Schrecken in Obamaland: Die große amerikanische Pyjama-Party

„Wir brauchen den Krieg mit dem Iran!", skandierte man gestern Abend auf der Wahlparty von Barack Obama in Berlin.

„MITT ROMNEY FOR PRESIDENT!”, schrie Alexander Palmer, ein 26-jähriger Englischlehrer gestern Nacht auf der „Democrats Abroad“-Party, bei der sich annähernd 300 in Deutschland lebende Amerikaner in das Babylon Kino in Berlin quetschten. „Wir brauchen den Krieg mit dem Iran! Wir brauchen mehr KRIEG! Genau das brauchen wir! Bush wusste, was er tat!“
Was er damit sagen wollte? „Deutsche und Sarkasmus: Das beißt sich.“

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Endlich bin ich an einem Ort, an dem ich Englisch sprechen kann. Schnelles Englisch mit dämlichen Popkulturverweisen auf Taco Bell und Walmart und den Worten „totally“ und „like totally“ nach jeder zweiten Silbe.

Auf der Party, die von Democrats Abroad, der offiziellen demokratischen Partei der im Ausland lebenden US-Bürger, veranstaltet wurde, trugen knapp 97.000 Amerikaner voller Stolz Obama-Buttons und „I voted“-Aufkleber an ihren Mänteln und Krawatten. Halloween war wohl doch noch nicht vorbei.

Die Gäste waren in Stars and Stripes gekleidet—Hosen, Gürtel, Obama-T-Shirts. Ein Deutscher hatte eine Obama-Maske aus Papier auf und gab sich für ein Interview als Barack Obama aus. „Everyone thingggs I'm from Hawaii“, sagte er und zog über die bestehenden Klischees über den wiedergewählten Präsidenten her. Er war immerhin amüsanter als die Fernsehzombies im Innern des Kinos.

„Wir unterstützen Obama, damit uns die EU in den nächsten vier Jahren nicht hasst“, sagte Joseph Vito DeLuca, ein 24 Jahre alter PR-Typ eines Berliner Start-ups. Er und seine Freunde hätte sich früher im Ausland als Kanadier ausgegeben. „Jetzt ist es einfacher.“
Der Horror geht am Pressetisch weiter. Ein deutscher Journalist in den 40ern wurde nicht mehr rein gelassen, weil die Presseplätze alle schon vergeben waren. Er schlug mit seinen Händen auf den Schreibtisch und feuerte Drohungen auf das PR-Team ab. Hinter dem Tisch lächelte man. Währenddessen schlüpfte ein 22-jähriger Deutscher, der vorgab, ein französischer Journalist zu sein, durch die Sicherheitsschleuse und übergab seinen Freunden den Presseausweis, damit sie ihm folgen konnten.

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Fünf Fernsehsender waren bereits für Aufnahmen im Saal, sie schlenderten umher und beleuchteten alles mit grellem Licht. Ich hatte mich bereits um 20 Uhr akkreditiert und bekam einen „Gästepass“ ausgehändigt (keinen Presseausweis). Auf der Karte stand ein anderer Name, nicht meiner, also kratzte ich ihn einfach ab. Mein Name wurde per Hand drauf geschrieben. Das war echt der hässlichste und mit Abstand unprofessionellste Presseausweis, der mir in meiner siebenjährigen Kariere als Journalistin je untergekommen ist. Ich war beeindruckt. Überlass es einfach den Amerikanern, vom Niedrigsten nach ganz unten zu kommen.
 
Nach Mitternacht brach dann das Chaos aus. Der CNN-Berlin-Reporter tauchte auf der großen Kinoleinwand auf und das Publikum klatschte. Gerade als der Korrespondent auf die Frage „Was erwartet sich Berlin von dem neuen US Präsidenten?“ antwortete, beklagte er, dass auf dieser Wahlparty kein amerikanisches Bier serviert wird, sondern mexikanisches. Dabei hielt er seine Corona-Flasche in die Luft.

„Buuuh!“, schrie das Publikum. Plötzlich hörte die CNN-Berichterstattung auf. Dann wurde die deutsche Wahlberichterstattung auf der großen Leinwand übertragen. „Keine deutsche Berichterstattung!“, rief Akram Baker, ein unabhängiger Politikberater, der den Eindruck vermittelte, an der Organisation des Abends mitbeteiligt zu sein. Er rannte durch das Theater und versuchte, die Menge bei Laune zu halten. „Das ist eine Democrats-Abroad-Party! Kein deutsches Fernsehen!“ „Wir müssen das jetzt ändern!“, sagte Baker, der kürzlich für seine Arbeit mit Obama von der Berliner Zeitung ausgezeichnet wurde. „Wir arbeiten daran“, sagte ein Mädchen, das mit dem ums Ohr gewickelten Mirko wie Britney Spears aussah.

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Es war schwierig, Interviews zu bekommen. Die Leute waren freundlich, aber ihr Atem roch fürchterlich nach karibischen Gewürzen. Das Catering kam von Rosa Caleta, einem jamaikanischen Restaurant aus Kreuzberg, und der starke Geruch fiel nicht auf, bis jemand den Mund aufmachte. „Ich unterstütze ihn [Obama] aufgrund seines Intellekts. Die Bush-Jahre waren ein trauriges Tal der Tränen“, sagte Hans Strömsdörfer, ein 31-jähriger Referent, der gerade in der Schlange an der Bar anstand. „Für die EU ist es eine große Erleichterung, dass Obama amerikanischer Präsident ist, aber eigentlich betrifft das die EU nicht direkt—viele Europäer verstehen das nicht—sie sehen ihn als Oberhaupt der Welt.“

Gegen 2 Uhr nachts waren die Amerikaner in ihren Stühlen eingeschlafen (überraschenderweise hatten sie keine Schlafsäcke). Die Fernsehreporter waren verschwunden—und mit ihnen der Rest der Journalisten. Wir saßen alle draußen vor dem Kino, stillschweigend, zu unseren Füßen lag unser Kram. Das war‘s. Keiner von konnte die Geschichte richtig packen. Die Leute hatten ihre Meinung, aber die Story blieb trotzdem platt. Wie alle Anderen setzten wir uns wieder vor einen Fernseher.

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