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ACTA muss sterben, damit wir surfen können

Wie ist in Europa der aktuelle Stand zum Darth Vader der Urheberrechtsgesetze?

Na, könnt Ihr euch noch an den Stop Online Piracy Act (SOPA) und den Protect IP ACT (PIPA) erinnern? Kurz zur Erinnerung, SOPA und PIPA sollten die Urheberrechte von Künstlern schützen, die Umsetzung hätte jedoch zu einer ähnlichen Zensur des Internet geführt wie in China. Die Gesetzte wurden aber in letzter Minute gestoppt, beziehungsweise auf Eis gelegt.

Ist der Kampf nun gegen die Internetzensur, die Einschränkung der freien Informationsbeschaffung und der digitalen Redefreiheit gewonnen? Natürlich „Ja“, wenn „Ja“ „Nein“ bedeutet. Die Regierungen und die Unterhaltungsindustrie dieser völlig aus dem Ruder gelaufenen Welt haben selbstverständlich noch ein Ass im Ärmel. Die Welt hat es nun mit einem multilateralen Handelsabkommen auf völkerrechtlicher Ebene, ACTA genannt, zu tun. Der Royal Flush der „We love to entertain you“-Industrie.

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Im Gegensatz zu SOPA und PIPA zielt das Anti Counterfeiting Trade Agreement, zu deutsch „Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie“, nicht ausschließlich auf das digitale Umfeld ab. In ihm sind auch Bestimmungen zum Handel mit gefälschten Gütern, dem Missbrauch von Marken und dem Schutz von Patenten enthalten. Klingt spitzenmäßig, oder etwa nicht? Wir leben leider nicht bei der netten Alice im Wunderland, so einfach ist das Ganze dann doch nicht.

Das Abkommen wurde unter Einbeziehung der entsprechenden Konzerne unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt und unterschrieben von: USA, EU, Japan, Canada, Schweiz, Singapur, Korea, Neuseeland, Marokko, Mexiko und Australien. Multilaterale Foren wie WIPO und die WTO wurden übergangen. Ist doch nicht so schlimm! Wenn man darüber hinwegsieht, dass demokratische Prinzipien mit Füßen getreten werden und Abkommen auf völkerrechtlicher Ebene von Konzernen mitbestimmt werden, nein. Die schwammigen Formulierungen, auch Sponge Bob persönlich hätte sie nicht schwammiger formulieren können, des ACTA-Vertrags lassen sehr viel Spielraum für Interpretationen offen. So muss ein Internetprovider sicherstellen, dass seine Kunden (ich und du) keine Urheberrechtsverletzungen begehen. Tut er das nicht, muss er für die Vergehen seiner Kunden haften. Will der Provider für uns haften? Natürlich nicht, vorausgesetzt er will sich um einen Anruf beim Insolvenzverwalter drücken. Um dieser Haftung zu entgehen, wird er versuchen sicherzustellen, dass seine treudoofen Kunden eben keine Urheberrechtsverletzungen begehen. Welche Möglichkeiten hat er? Eine Möglichkeit wäre, den gesamten Internetverkehr seiner Kunden zu überwachen. Das zieht eine Vorratsdatenspeicherung biblischen Ausmaßes nach sich.

Wie würde das also in der Praxis eines 0815-Internetlers aussehen?
Die nette Frau Zensursula hat sich eben einen urheberrechtlich geschützten Film angesehen. In der E-Mail die sie vor 2 Wochen gesendet hat, befand sich ein PDF und ein Text aus einem Onlinemagazin welches dem Urheberrecht unterliegt. Gestern hat sie ein Video von ihrer Geburtstagsparty hochgeladen, bei dem im Hintergrund der neue super angesagte Sommerhit läuft. Sie klickt auf einen Link der doch nicht die Bilder der letzten Geburtstagsparty enthält, sondern ein gecopyrightetes MP3. Schließlich teilt sie ein Bild auf Facebook, das, dreimal dürft ihr raten, dem Urheberrecht unterliegt. Jedes dieser Beispiele kann für eine Anklage ausreichend sein. Wie geht es nun weiter?
Da Frau Zensursula nun nachweislich gegen das Urheberrecht verstoßen hat, geschieht Folgendes: Ihr Internetprovider gibt die Daten direkt an den Rechteverwerter (z.B. Time Warner, SONY Music, usw.) weiter, dieser kann sie jetzt verklagen, bis sich die Balken biegen. Frau Zensursula setzt sich nach Mexiko ab, um der Strafe zu entgehen. Die Reise hätte sie sich sparen können, ihr wisst schon, internationales Abkommen und so. Wer von uns kann beurteilen ob ein Bild oder Text oder sonstiger Inhalt urheberrechtlich geschützt ist? Ich für meinen Teil nicht. Das Nichtvorhandensein eines Copyright-Zeichens ist auch kein Garant dafür, dass ein Werk frei zum Copy-Pasten ist. Eines ist klar, dem Normalo bringt dieses Abkommen keine Vorteile, ganz im Gegenteil. Es kann auch angezweifelt werden, dass die Daten ausschließlich für die Bekämpfung von Copyright-Verletzungen genutzt werden. Wer kontrolliert, dass ein interessanter Blog aufgrund von „Copyright Violation“ geschlossen wurde? Zieht ACTA nicht die Gefahr nach sich, einen Blog unter dem Deckmantel der Urheberrechtsverletzung vom Netz zu nehmen? Der Unterhaltungsindustrie und der Politik nach, niemals. Würden wir in einem Märchen leben, so wäre ACTA und die Contentindustrie der böse Wolf und der schwarze Mann zugleich. Wir verabreden uns im Internet, treffen uns aber im realen Leben. Wir zeigen Freunden Fotos und Videos über das Internet, die offline entstanden sind. Wir kommunizieren digital, die Information die wir erhalten, ist aber die gleiche wie im realen Leben. Wir lesen E-Books, welche wir auch als gebundenes Buch gelesen hätten. Wir erhalten reale Geld- oder Gefängnisstrafen für Vergehen online, na klingelt‘s? Stellen wir uns die Frage, ist unser online Alter Ego eine grundlegend andere Person? Ich glaube nicht. Wenn mein Leben von einem privaten Unternehmen überwacht wird, sind meine Alarmglocken beinahe am Zerbersten. Übertragen wir doch die digitale Welt in die analoge und lassen uns einen Tag lang durch ein privates Unternehmen filmen und abhören. Mal im Ernst, wen würde das anmachen? Meinungsfreiheit, Privatsphäre, Datenschutz und andere Grundrechte werden von den Interessen der Rechteinhaber untergraben. Man könnte auch sagen, die Interessen der Rechteinhaber sind wichtiger als Meinungsfreiheit, Privatsphäre und Datenschutz. Diejenigen, die profitieren, sind die Global Player der Unterhaltungsbranche. Auch der Michael Jackson 12-jähriger Mädchen, Justin Biber, wird nicht sonderlich profitieren. Man nehme einen Kipplader voller Lobbyisten, einen Topf voller Medienkonzerne und ein Esslöffel voll Volksvertreter, welche eigentlich Unternehmensvertreter heißen sollten, und schon hat man das Rezept, um einem veralteten Geschäftsmodell zu neuem Glanz zu verhelfen, welches aktuell auch schon ziemlich glänzt. Wie ist in Europa der aktuelle Stand zum Darth Vader der Urheberrechtsgesetze? Am 26. Januar 2012 haben Vertreter der Europäischen Kommission, welche nicht demokratisch gewählt wurden, ACTA in Tokio unterzeichnet. Um ACTA endgültig auf den Weg zu bringen, bedarf es als erstes noch der Ratifizierung durch das EU-Parlament und anschließend der einzelnen EU-Staaten. Die deutsche Medienlandschaft enttäuscht, wie auch nicht anders zu erwarten. ACTA wird konsequent totgeschwiegen. Vereinzelte deutschsprachige Berichte sind nur im Internet zu finden (Mercy, daas es dich gibt). Es gilt die Frage zu stellen, warum das so ist? Es handelt sich um ein monströses Abkommen, das jeden Bürger in Europa ohrfeigt. Es geht hier nicht um eurokratische Gesetze, welche den Krümmungsgrad von Gurken oder den Durchmesser von Äpfeln festlegen.

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sagte kürzlich zu ACTA: „Es enthält nicht die Möglichkeit, zum Beispiel Internetsperren oder Zugangssperren einzuführen.” Aufgrund des vage formulierten ACTA mag das stimmen, oder auch nicht. Aber es enthält durchaus die Möglichkeit der totalen Überwachung und der Kontrolle meines Datenverkehrs. Gegen ACTA baut sich Widerstand auf, online versteht sich. Twitter, Facebook, YouTube und Blogs wurden und werden zur Informationsverbreitung genutzt. Nachdem Polen den Vertrag unterzeichnet hat, bildete sich massiver Wiederstand, Zehntausende Polen gingen auf die Straße und protestierten in über 30 Städten. Wer sich dazu ein paar bewegte Bilder ansehen mag, bitte.

Auch in Schweden und Tschechien nahmen vergangenes Wochenende Tausende an Anti-ACTA-Demonstrationen teil. Die Hacktivisten Anonymous legten zahllose Internetseiten der Regierung und der Unterhaltungsindustrie lahm. Die Seite des polnischen Premiers Donald Tusk höchstpersönlich wurde sogar defaced.