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Musik

No Future in Westdeutschland

Im Jahr 1977 war die Bundesrepublik Deutschland eine Wüste. Nicht die damals allseits prophezeite atomare Wüste, aber eine Wüste der Langweile und der verkrusteten Spießigkeit.

Im Jahr 1977 war die Bundesrepublik Deutschland eine Wüste. Nicht die damals allseits prophezeite atomare Wüste, aber eine Wüste der Langweile und der verkrusteten Spießigkeit. Die 68er waren ein knappes Jahrzehnt zuvor auf die Fresse gefallen, die sexuelle Revolution ebenfalls irgendwo steckengeblie­ben und Hippies waren die langhaarigen Gammler, die sie schon immer waren. In dieses allumfassende Nichts der Öde schwappte plötzlich eine neue Sache namens Punk aus England herüber. Propagiert und fokussiert wurde diese neue Strömung von Franz Bielmeier, der nicht nur das erste Punk-Fanzine auf westdeutschem Boden herausbrachte, sondern auch die erste Punkband gründete und sich damit selbst zum ersten Punk Deutschlands machte. Wir besuchten ihn dort, wo damals alles seinen Anfang nahm, im potthässlichen Düsseldorf, und er erzählte uns, warum er noch immer der einzige Punk ist.

Deutschland war Schaumgummi, Prilblumen, Colani und immer wieder tauchten alte Nazis auf und steckten auch noch überall drin. Das war so eine bigotte Sache wie auch in meinem Elternhaus. Wir waren einerseits reich, andererseits ein bisschen zerrüttet—meine Mutter war Alkoholikerin und mein Vater war ein ganz anderer Typ. Der war nie da, wenn, dann immer nur für die Kohle. Ich habe das so verachtet. Und über das Angebot damals und die bunten Sachen habe ich gedacht, das ist eigentlich nur für Leute mit guter Laune, und ich hab ganz früh gemerkt—ich hab einfach keine gute Laune. Ich war Fan von Glam und habe ganz früh geschnallt: Die heben die Rollen auf. Dieses Männer-Frauen-Rollen-Ding fand ich sehr interessant, ganz gefühlstechnisch fand ich das supergut, mir die ersten Achselhaare zu rasieren und farblosen Nagellack aufzulegen, Plateauschuhe zu tragen und meinen Alten einen Schock zu versetzen. Die bekamen völlige Angst, ich wäre schwul oder so was … Sätze wie: „Diese Schwuchteln, haben sich wohl zu oft gebückt … degenerierte Monster“, waren an der Tagesordnung. Ich war musikalisch immer an neuen Sachen interessiert und ein Freund, Ramon Luis, hat mich dann auf Lou Reed und Velvet Underground gebracht und darauf gestoßen, dass es da mehr gibt als nur Glam-Bombast—diese unverständlichen düsteren Texte und dass das eben keine Virtuosenmusik ist. Da hab ich gemerkt, das entspricht eigentlich mehr meinem unverständlichen Horror, den ich von zu Hause kannte. Wir haben über Sachen wie Lebensversicherung oder Lehre machen gelacht … es war uns klar, eher explodiert eine Atombombe, aber sich zu fügen war für mich kein Deal. Wir waren kluge Kinder, da erkennst du sofort, was interessant ist. Wir wussten zum Beispiel ein wenig über Andy Warhol … mit 14, 13 haben wir uns mit seinen Filmen beschäftigt, alles als Gegenmodell zum Proll, zum Fußballer und Disco. Dass der Filme gemacht hat, wo nix passiert, das hat uns schwer beeindruckt. Wir haben ja auch ein Leben gehabt, wo nix passierte und dass man daraus coole Sachen machen kann, das fanden wir gut. Weihnachten 1976 sah ich bereits die ersten Platten und wusste ungefähr, was da kommt. Da war es dann ganz leicht, die Szene quasi zu erraten, und zu dieser Zeit kam dann auch unser Fanzine The Ostrich zum ersten Mal raus. Wir kannten ungefähr zwei Leute im Raum Hamburg, wir kannten in Berlin ein, zwei Leute und noch ’n paar aus der Provinz, die damals das Heft für sauteure fünf Mark abonniert hatten. Es flackerte also an verschiedenen Stellen auf—es gab Gleichgesinnte—und für uns war das natürlich ein Flash. Und wo wir schon dabei waren, gründeten wir die erste deutsche Punkband überhaupt—Charley’s Girls. Den Namen gab es schon, bevor es überhaupt eine Band gab. Das hat der Ostrich lange zuvor lanciert. Niemand hatte damals eine bessere Idee, als eine Band zu machen, über die schon geschrieben worden ist. Wir waren zuvor also schon virtuell die erste Punkband. Wenn du nachforschst, dann gibt es Bands, die haben schon viel länger Musik gemacht, aber die haben sich auf musikalischer Ebene ganz anders genähert. Über den Ostrich waren wir aber medientechnisch, mit großer Schnauze und großen Buchstaben, die Ersten. Und wir konnten auch nichts. Deswegen waren wir nämlich auch die, wie man so sagt, fundamental richtigste Punkband. Und weil ich in meinem Leben nicht mal etwas davon gehabt habe, bin ich der einzige Punk überhaupt, haha.

VON FELIX NICKLAS
FOTOS VON CHRISTOPH VOY
ARCHIVMATERIAL MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON FRANZ BIELMEIER