Parade der Mutanten

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Parade der Mutanten

Der Zustand der Hundezähne ist bei Hundemessen wohl das geringste Problem.

Zum 10. Mal fand am vergangenen Wochenende die internationale Messe „Hund und Pferd" statt. Veranstaltet von dem Verband für das Deutsche Hundewesen, zog sie dieses Jahr 82.000 Tierfreunde in die geräumigen Dortmunder Westfalenhallen. Während die meisten Hundebesitzer sich Vorführungen anschauten und gemütlich von Stand zu Stand tingelten, um ein paar Rehhufe und Schweinenasen für ihre Liebsten nach Hause mitzunehmen, schoben die mit Campingstühlen, Thermosflaschen und Werkzeugkoffern bewaffneten Züchter ihre riesigen zugedeckten Wagen mit bellenden Biestern durch die Gegend.

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Von morgens bis abends wurde in den drei hinteren abgelegenen Hallen gestylt, gekämmt, gewertet und gerichtet. Zwar ist es vielleicht nicht allen bewusst, doch sind Wettbewerbe dieser Art für die Rassenentwicklung von entscheidender Bedeutung. In England von den sich langweilenden Adligen im 18. Jahrhundert erfunden, wurde die Hundezucht schnell zum Hobbysport und nahm mit der Zeit noch größere Dimensionen an. Dem Rassenstandard (die Züchterbibel) treu bleibend, nehmen die Zuchtrichter jeden vierbeinigen Anwärter genauestens unter die Lupe. Sein Gebiss, Körperbau und weitere rassentypische Merkmale überprüfend und mit ihren Entscheidungen die „unnatürliche Selektion" vorantreibend. Laut der im Jahre 2008 ausgestrahlten BBC Doku Rassenreine Krüppel—zu Tode gezüchtet (Pedigree Dogs Exposed) soll es sich heutzutage allerdings nicht mehr um reine Hundeschauen, sondern mehr um „Paraden der Mutanten" handeln: Durch die jahrzehntelange Inzucht verunstaltet und nach Aussehen, statt nach Gesundheit selektiert, machten die Briten und später viele andere Züchtervölker dieser Welt, die einst kerngesunden naturbelassenen Wolfsgenossen zu Krebskranken, verkrüppelten Zwergen, zu Patienten mit unaussprechlichen Erbkrankheiten. Als Belege hierfür wurden neben den ärztlichen Untersuchungen auch die einhundert Jahre alten Fotografien der ursprünglichen Rassen vorgelegt, jene, die noch vor der „großen Mutation" aufgenommen wurden.

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Es sollen sogar gesunde Hunde eliminiert worden sein, wenn sie keine rassentypischen Merkmale aufwiesen (siehe Ridgebacks). Diese schweren Vorwürfe galten im Film in erster Linie dem traditionsreichsten britischen kynologischen Verband „The Kennel Club", bei dem sogar die Queen aktives Mitglied ist. Dieser verlor kurz nach der Ausstrahlung des investigativen Films namhafte Sponsoren und musste seine Politik, oder zumindest seine PR-Politik, gründlich überdenken. Wie die Lage in Deutschland ist und ob Dortmund über übers Wochenende zur weltgrößten Mutantenmetropole werden wird, das waren die Fragen, die mich nach der Sichtung der Dokumentation nicht mehr losließen. Es war zugegeben nicht meine erste Hundemesse, aber diesmal wollte ich mit meiner Makrooptik an die Substanz.

Auf den Spuren eines standardtreuen Zuchtrichters bat ich die Wettbewerbsteilnehmer im Rahmen einer fotografischen Studie die Mäule ihrer Prachtexemplare aufzureißen, um sie einer gründlichen Zahn- und Gebisskontrolle zu unterziehen. Anhand der Ergebnisse kann ich mit aller Gewissheit sagen: Der Zustand der Hundezähne ist wohl das geringste Problem.

PS: Es stimmt natürlich, dass die Presse oft vorurteilsbehaftet über Hundeschauen und Züchter negativ berichtet. Auch ich hatte meine nicht gänzlich abstellen können oder wollen. Leider fällt es mir persönlich auch schwer, ein Stück gutes Fell an Veranstaltungen dieser Art zu lassen. Der Fehler liegt im System, bzw. das System ist der größte Fehler und über 100 Jahre alt. Zur Verteidigung der Gebashten und als Tierquäler hingestellten bleibt es mir nur, die Worte der Besitzerin eines kleinen Maltesers aus dem Gedächtnis zu rufen. Sie hatte bereits schlechte Erfahrungen mit den Pressevertretern gemacht und ist sogar öffentlich als Tierquälerin hingestellt worden. Malteser sind klein und haben unverhältnismäßig lange Haare (Haare und kein Fell in diesem Fall), welche auf eine sonderbare Art und Weise gefaltet und mit Gummis festgebunden werden müssen, damit der kleine Kläffer etwas zu sehen bekommt und draußen nicht schmutzig wird. Bei der Show werden sie dann aufwändig langgekämmt: „Wir würden sie ja gerne frisieren, aber der Standard lässt es leider nicht zu." Bodenlang müssen sie nämlich sein. Für die Mischlinge gab es wohlgemerkt auch einen eigenen Wettbewerb. Dieser fand allerdings nur wenig Beachtung.

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Fotos und Text von Nikita Kakowski. Mehr von seinen Fotos findet ihr hier.