Polnische Ritter wollen Mittelalterturniere zum größten Kampfsport Europas machen

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Polnische Ritter wollen Mittelalterturniere zum größten Kampfsport Europas machen

Dieser Kampfsport hat nichts mit Mittelaltermarkt oder LARP zu tun, hier gibt es richtige Schlachten mit richtigen Schwertern.

„Im ersten Moment fühlst du dich, als wenn du Schnupfen hättest, weil du durch den Helm nicht atmen kannst, der übrigens auch dafür sorgt, dass du nichts siehst. Der Schock dauert ein paar Sekunden und plötzlich rufen die Schiedsrichter ,Start’. Dein Körper haut das Adrenalin raus, alle deine Probleme mit der Atmung und dem Sehen verschwinden und du konzentrierst dich bloß noch auf Angriff und Verteidigung. Nichts anderes zählt mehr in diesem Augenblick, die Erschöpfung spürst du erst nach dem Kampf, wenn die Rüstung ausgezogen ist”, antwortet Marcin Janiszewski, Kapitän der polnischen Ritternationalmannschaft, als ich ihn fragte, wie die ersten Sekunden eines Kampfes aussehen.

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Ich bin regelrecht Sekunden vor der offiziellen Eröffnung des dritten Ritterturniers auf dem Schloss Książąt Mazowieckich in Ciechanów angekommen. Die ganze Veranstaltung sollte über das komplette Wochenende gehen. Vom Himmel, an dem nicht eine einzige Wolke zu sehen war, knallte die Hitze runter und ich fragte mich, wie die Jungs es bei diesen Temperaturen überhaupt in ihren Rüstungen aushalten können. Ein Ritter neben mir meinte, dass es gar nicht so schlimm sei, „letzten Monat bei der Inszenierung der Schlacht bei Tannenberg war es viel härter. Da hat ein Kumpel ein Thermometer in seine Rüstung gesteckt und 70° Celsius gemessen.“ Verrückte, habe ich mir gedacht—wunderbare Verrückte voller Leidenschaft.

In diesem Moment schrie wieder ein Schiedsrichter „Start!“, und dann brach erst richtig die Hölle los. Zwei Ritter fingen an, sich aus voller Kraft mit ihren Schwertern zu bearbeiten, während das tobende Publikum sie anfeuerte. Sie schlugen sich mit den Dingern hart über die Schädel, scharfe Teile der Rüstung und der Klingen brachen ab—die Jungs meinten es ernst!

Ja, das Turnier war offiziell eröffnet, und obwohl die Hauptattraktion die Ritterkämpfe bildeten, war das nicht alles: Rund um das Schloss wurden Zelte aufgebaut, dort aßen, tranken und feierten Menschen in mittelalterlichen Kostümen, einige schossen mit Bögen und Armbrüsten auf riesige Zielscheiben. Da habe ich auch Tomasz Duda getroffen, den Stadthalter der ritterlichen Vereinigung Ciechanów und den Repräsentanten des Verbands polnischer Ritterkämpfe. Er erklärte mir, wie es ist, ein Ritter im 21. Jahrhundert zu sein.

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VICE: Erzähl doch mal von den Anfängen dieser Kämpfe hier in Polen.
Tomasz Duda: Die ersten Turniere fanden noch in den 90ern statt, aber das alles ähnelte mehr einer Theateraufführung. Die Kämpfe waren arrangiert und hatten nichts mit einer sportlichen Auseinandersetzung gemein, obwohl es schon damals Leute gab, die richtig kämpfen wollten.

Wann kam der Wandel?
Er kam 1998 bei der ersten Inszenierung der Schlacht am Grunwald. Von Jahr zu Jahr erfreute sich die Veranstaltung eines höheren Interesses, und wir fingen an, uns Beispiele von unseren Jungs im Osten zu nehmen, wo in Russland und der Ukraine die ersten nichtgestellten Kämpfe stattfanden. Die ersten ,nichtfiktionalen’ Turniere polnischer Ritterkämpfe fand zunächst abseits der Hauptveranstaltungen statt.

Und wie ging es weiter?
Schließlich wurde beschlossen, dass ein Verband gegründet werden muss, damit das Spiel mit den Schwertern zu einer wirklichen Sportdisziplin wird. 2011 entstand so der Verband polnischer Ritterkämpfe. Und genau wie sich die asiatische Kampfkunst auf der ganzen Welt verbreitete, wollen auch wir, dass unsere Ritterkämpfe stellvertretend für die europäische Kampfkunst stehen.

Und wie ist gerade der Stand der Dinge?
Abgesehen von unserem Verband und einer Reihe von Vereinen besteht seit zwei Jahren eine polnische Liga. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Berufung von Rittern für eine polnische Nationalmannschaft.  Darüber hinaus ist Polen eines der Gründungsländer der IMCF (International Medieval Combat Federation). Wir sind also richtungsweisend für die Entwicklung dieses Sports auf der ganzen Welt.

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Was muss man machen, um Mitglied in eurem Verband zu werden?
Jede Person, die das möchte, muss zunächst für ein paar Monate ein Noviziat antreten, im Zuge dessen sie z.B. spezifische Kampftechniken und den allgemeinen Trainingsablauf lernt, aber auch wie man seine Rüstung anfertigt. Danach entscheidet die Person, ob sie wirklich Ritter werden will.

Welche Herausforderungen kommen da auf einen zu?
Die erste Hürde, die bezwungen werden muss, ist die Überwindung des Schmerzes, der von den Schlägen kommt. Trotz Helm und Rüstung bleiben Spuren—daran muss man sich gewöhnen.

Woher kommt eigentlich das Bedürfnis sich mit Schwertern zu bearbeiten?
Das ist so ähnlich wie mit anderen Extremsportarten: Es ist ein Verlangen nach Abenteuer, nach Adrenalin und dem Erproben im Kampf. Einige von uns behaupten, dass es Rudimente eines männlichen Antriebs wären, die in der gegenwärtigen Zeit allmählich verloren gehen. Aber das Wichtigste an dem Ganzen ist, dass den Kämpfen das Prinzip des Fair Play voransteht. Auf dem Feld kämpfen wir hart miteinander, aber im Lager wird gemeinsam gefeiert.

Kommt es mal zu ernsten Verletzungen?
Nur sporadisch, schließlich sind die Rüstungen angefertigt, um den Körper vor den Schlägen zu schützen.

Habt ihr da keine Angst?
Wenn die Ritter im Mittelalter keine Angst hatten, mit einer solchen Rüstung in den Krieg zu ziehen, dann haben wir vor einem Kampf mit abgestumpften Waffen auch keine Angst.

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Was ist Der Kampf der Nationen?
Das sind die besagten Weltmeisterschaften. Das erste Mal fanden sie 2010 in der Ukraine vor den Mauern der Festung Khotyn statt; aber bereits zwei Jahre später waren die Polen der Gastgeber und die Meisterschaften wurden auf dem Warschauer Fort Bema ausgetragen.

Wen hab ihr alles schon besiegen können?
Das waren Länder aus der ganzen Welt: Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Spanien, Portugal, Kroatien … . In den Kämpfen Eins gegen Eins gewannen wir zwei Goldmedaillen und im Mannschaftsranking der IMCF sind wir Vizemeister.

Wer ist in diesem Falle Weltmeister?
Die USA.

Die USA? Das Land, das nie Ritter gehabt hat?
Ja (lacht)! Jedes Mal wenn wir auf das Thema ,amerikanische Ritter’ kommen, sagen wir, dass die USA doch ein Land der Immigranten ist, die selbst aus Europa kamen. Die Amerikaner haben also tiefe ritterliche Wurzeln und damit auch ein gewisses Recht, diesen Sport in ihrem Land zu promoten, was uns selbst erfreut.