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Protestieren wie die Japaner

Letztes Wochenende haben die Japaner die größte öffentliche Demonstration in Tokyo seit den 70er Jahren veranstaltet - weil aber Japaner so höfliche und freundliche Menschen sind, war es eher ein netter Faschings-Umzug.

Letztes Wochenende haben die Japaner die größte öffentliche Demonstration in Tokyo seit den 70er Jahren veranstaltet - weil aber Japaner so höfliche und freundliche Menschen sind, war es eher  ein netter Faschings-Umzug, als eine apokalyptische Straßenschlacht mit brennenden Bullen und Sirenenkonzert. Die Anti-Nuke-Demo überschwemmten die Straßen der Stadt mit apologetischer Lieblichkeit, während die Demonstranten der Schritt-für-Schritt-Anleitung zum korrekten Protest folgten, wie es in der Meine-Erste-Demo Cartoon-Broschüre beschrieben wurde, die alle Anwesenden vor der Demo erhielten. Es war ein absolut hinreißender Anblick.

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Angesichts der Tatsache, dass junge Japaner von den lokalen Medien spöttisch als Haufen gleichgültiger, nutzloser Schwachköpfe abgetan werden, sind 15.000 Menschen, die durch die Straßen der Hauptstadt marschieren um ihren Unmut über das massive Versagen der Regierung und die mutierenden Fische drüben in Fukushima auszudrücken, ein ziemlich bemerkenswertes Ereignis.

Japans erste Protestwelle in den 60ern und frühen 70ern war noch ein Mega-Event. Die Kids verwickelten sich in gewalttätige Auseinandersetzungen zu jedem Thema - von Rehabilitation von Funktionären aus der Tennō-Ära über Handelsabkommen mit Amerika bis hin zum Bau neuer Flughäfen. Vielleicht war es die Angst einer neuen aufmüpfigen Generation, die die japanischen Massenmedien hat beschließen lassen, sogar die Tatsache zu ignorieren, dass diese aktuelle Demonstration überhaupt stattfand. Sie bevorzugen offensichtlich noch immer faule Schwachköpfe.

Der Typ, der den Protest organisiert hat, nennt sie "Die Revolte der Amateure", was nicht unbedingt Selbstsicherheit und eine homogene Intention ausdrückt, sondern eher eine unkoordinierte Kanalisierung diffuser Gefühle. Die Mehrheit der Anwesenden ist zum ersten Mal überhaupt auf die Straße gegangen und war aus Neugier gekommen. Nach so vielen Jahren Metal Gear Solid haben ein paar Typen die Gelegenheit genossen, rumzuschreien und zu schimpfen, dass jemand Helikopter organisieren sollte - aber eigentlich tat jeder was er wollte und machte auf seine Weise auf sich aufmerksam - Ein Anblick, der manchmal eher an eine Uniqlo-Kampagne on Tour denken ließ.

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Nur in Japan bedeutet der Akt des Protests auch den Kampf für das Recht, sich zu entschuldigen und die Schuld für ein gewaltiges Unglück auf sich zu nehmen.

Die letzten Meter der Demonstration wurden ein bisschen hektischer. Nur ein paar Fahrstreifen wurden für die Demo freigehalten - also verteilten sich die Menschen über den Platz und kletterten auf alle möglichen Sachen. Die Polizei versuchte, die Demonstranten wieder zurück auf die Straße zu holen aber es war unmöglich, zwischen Demonstranten und Fußgängern zu unterscheiden. Ein betrunkener Kerl wurde beinahe zusammengeschlagen - dann aber doch nicht.

Alle Leute, die an diesem dort Tag aufgetaucht waren, bekamen diese niedliche Broschüre - Hajimete no Demo, oder 'Meine erste Demo'.

Es ist eigentlich eine lustige Anleitung und erklärt was eine Demo ist und wie man sie richtig durchführt. Hier sind einige Bilder und Zitate, damit du ungefähr weißt, worum es geht.

Ghandi-san wird in dem Pamphlet als Erfinder des Protests vorgestellt. Ich will mich hier nicht als Lehrer aufspielen - aber ich bin mir nicht ganz so sicher ob das stimmt. Die Französische Revolution war eigentlich auch ein ziemlich großer, erfolgreicher Protest und die Jesus-am-Kreuz-Sache war ein ebenso gutes Stück Widerstandstheater.

Hier ist eine Anleitung, wie man ein nukleares Logo malt - demonstriert von einem Bärenkind und einem Affen, zwei Symbolfiguren der Autonomie und des Widerstands, was die japanische Regierung garantiert wahnsinnig machen wird und zu nuklearen Reformen bewegen dürfte.

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Hier wird erklärt, wie man Transparente bastelt auf denen steht, Japaner sollten noch mehr Fisch essen. Als würden die Japaner nicht schon genug Fisch essen.

Das sind eine Menge praktische Tips, wie man sich am besten auf den großen Tag vorbereitet. Vergiss auf keinen Fall, Ballons und Seifenblasen mitzubringen.

Zitat: "Es wäre vielleicht schön wenn sich jeder ein paar Snacks mitbringen würde - niemand kann mit leerem Magen fröhlich sein. Teile deine Snacks mit allen anderen."

Japaner sind sehr sensibel. Diese Fraktion hier kontert die brutale Realität einer Demonstration, indem sie ihr noch einen positiven Dreh verpasst. "Protestieren im Frühling kann für Leute mit Pollenallergie hart sein - aber du könntest immerhin bunte Sticker auf deine Maske kleben!"

Vielleicht liegt der Kernpunkt der paradoxen Situation in der Erklärung begeründet, dass "Proteste so ähnlich funktionieren wie eine Gesellschaft: es ist wichtig einen Platz zu finden, wo du dich wohl fühlst und dort zu bleiben". Hmmm, also finde deine Ecke und setz dich still dahin? Das klingt für mich nicht wirklich revolutionär sondern im Gegenteil ziemlich traditionell japanisch.

Mein Freund Yuriko, der an vorderster Front dabei war, sagte, dass die ganze Sache ein bisschen auf wackeligen Füßen stand, weil die Menschen teilweise nicht wirklich sicher waren, wogegen sie eigentlich protestierten, nur, dass sie unzufrieden und besorgt waren in Bezug auf Atomkraft im Allgemeinen. Aber trotz allem fühlte es sich nach einer großen und bedeutsamen Sache an. Nach dem ganzen Unglück der vergangenen Wochen diente die Demo vielleicht mehr als Ventil für die Ängste und die Frustration vieler Menschen, als irgendeine konkrete Veränderung zu fordern - was in Anbetracht dessen, was sie bereits durchgemacht haben, wohl schon mehr als beeindruckend ist.

FOTOS: YURIKO YAMAGUCHI