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Psychologen haben meine Teenie-Depression nicht ernst genommen

Als Teenager ist es hart genug, mit seinen Problemen klar zu kommen—auch ohne Psychologen, die zum Auftakt „Hast du gerne Sex?" fragen.

Symbolbild. Foto: Bob Zanger | flickr | cc by 2.0

Viele Teenager durchleben mal eine „schlechte Phase". Ich auch. Nach einer ziemlich turbulenten Trennung von meiner ersten großen Liebe inklusive gegenseitigem Psychoterror, Gewalt und völliger Selbstaufgabe folgte eine Phase tiefer Verzweiflung—begleitet von Selbstverletzung.

Es war vielleicht nicht so dramatisch, wie es klingt, aber dennoch ein ernstzunehmendes psychisches Problem. Immerhin habe ich alle paar Minuten an Selbstmord gedacht. Die zahlreichen Psychologen, die ich in dieser Zeit kennenlernen durfte, diagnostizierten bei mir mal chronische Unzufriedenheit, malEssstörungen—und nahmen mein Teenie-Tief nicht ernst.

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Der erste Psychologe aus der Notfall-Praxis, in die mich meine Mutter brachte, sah aus, als würde er seit zwei Wochen hier sitzen. Er roch auch so. Erst einmal hörte er mir einfach nur zu. Natürlich spielte ich alles herunter, um nicht direkt stationär eingeliefert zu werden.

„Hast du gerne Sex?" fragte er mich aus dem Nichts. Keine Ahnung, ob das eine gute Frage in einem Erstgespräch am Sonntagnachmittag ist. Dann folgte eine interessante Unterhaltung über einen Roman, den wir beide gerne gelesen hatten. War nett mit Ihnen, aber bitte nicht auf Wiedersehen.

Der Psychiater, an den ich—Wochen später—überwiesen wurde, hieß absurderweise so, wie sicherlich kein sich Patient fühlt, wenn er ihn aufsucht.

Es war Hochsommer und ich trug ein kurzes, buntes Kleid. Neben mir im Wartezimmer stand eine graue Frau, die manisch zum Fenster rausstarrte. Das erste, was der Psychiater sagte, als ich das Sprechzimmer betrat, war: „Na, du siehst doch gar nicht aus, als ob du meine Hilfe bräuchtest." Dabei musterte er mein Kleid. Zack, einen Satz gesagt und ich fühlte mich schon verarscht. Nur weil ich ein buntes Kleid anhabe und meine Haare frisch gewaschen sind, darf ich nicht depressiv und suizidgefährdet sein?

Zum Glück entdeckte er dann doch irgendwann meine geritzten Unterarme und blutig abgebissenen Fingernägel. Ich war nämlich selbst absolut nicht in der Lage, mein Problem zu schildern und sprach mit ihm wie ein schüchternes kleines Mädchen mit einem entfernten Verwandten. Nach 15 Minuten war wohl alles gesagt — n e x t.

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Nachdem er abschließend einige fachwissenschaftliche Dinge auf sein Diktiergerät gesprochen hatte, und protokollierte, dass ich kein Borderline-Syndrom und keine Depression hätte, bot er an, mir irgendwelche stimmungsaufhellenden Pillen zu verschreiben, wenn es nicht besser würde. Warum?! Seine abschließende Diagnose lautete: chronisch unzufrieden. Und sein Experten-Ratschlag: „Mach doch mal Kampfsport."

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Auch der nächste Versuch, eine empathische Psychologin zu finden, ging völlig schief. Die Praxis lag direkt über der damaligen Arbeitsstelle meiner Mutter—dementsprechend kannten sich die beiden flüchtig. Als ich die esoterisch eingerichtete Wohnung betrat, spürte ich sofort Schwingungen gegenseitiger Antipathie. Kaum hatte ich mich auf den weißen Ikea-Sessel fallen lassen, sollte ich erläutern, was mein Problem war. Hm, genau das wollte ich ja eigentlich hier herausfinden. Bald unterbrach mich die Frau, musterte mich und fragte spitz: „Hast du eine Essstörung?"

Auch, wenn ich die Frage schon ein paar Mal gehört hatte, wurde ich in diesem Moment unfassbar wütend. Ich sitze hier wie ein Häufchen Elend mit angeritzten Unterarmen, thematisiere die Probleme mit meiner Mutter, meinem Exfreund, meinen Verlustängsten, und die Alte wirft mir Essstörungen vor? Ernsthaft? Als sie daraufhin noch in einem Monolog zum Ausdruck brachte, dass ich ein undankbares Kind und meine Mutter doch ein wahnsinnig herzlicher Mensch sei, reichte es mir. Ich stand auf und ging.

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Es folgte eine wöchentliche Therapie-Stunde bei einer Psychotherapeutin, die ununterbrochen wie ein Honigkuchenpferd strahlte und (verdächtigerweise) die einzige war, die einen Termin frei hatte. Sie war vollkommen durchgeknallt. Ich hatte längst resigniert.

Wie sollte mir die fröhlichste und unreflektierteste Grinsekatze der Welt bei meinen Depressionen helfen?

Wir redeten über die Schule, über Tiere, sie zeigte mir verpixelte Handyfotos von ihren Zimmerpflanzen und brachte lustige Geschichten aus ihrer polnischen Kindheit zum Besten. Neben: Wann ist der Zirkus hier endlich vorbei?, stellte ich mir nur eine Frage: Wie bitte soll mir die fröhlichste und unreflektierteste Grinsekatze der Welt bei Depressionen helfen? Warum meine Mutter im Streit seit Kurzem immer künstlich lachte—was jedes Mal zu Gewaltausbrüchen meinerseits führte—, wurde auch irgendwann klar: Die Therapeutin hatte ihr diesen Tipp gegeben. Bravo.

Als ich nach etwa der Hälfte der Sitzungen einen Fragenbogen ausfüllen sollte, und bei „Haben sie manchmal Selbstmordgedanken?" wahrheitsgetreu „Ja" ankreuzte, rief die Psychotante fassungslos meine Mutter an—und ich verlor langsam den Glauben an die Menschheit. Ich brach die Therapie ab.

Das Projekt Psychotherapie beendete ich mit folgender Erkenntnis: Fast alle Psychiater und Therapeuten, die ich getroffen hatte, waren freundliche Menschen, aber leider fehlte es ihnen vollkommen an Empathie. Sie waren alle nicht in der Lage, eine 17-Jährige ernst zu nehmen. Tatsächlich bestanden die hilfreichsten Ratschläge aus 08/15-Sprüchen wie „Den Schmerz akzeptieren" und „Loslassen".

Was mir persönlich aus meinem Tief herausgeholfen hat, waren Gespräche mit der Familie, Spaziergänge mit meinem Hund und einfach mal weniger traurige Musik zu hören. Und nein, das soll nicht heißen, dass man einfach nur die Sommer-Playlist anschmeißen muss und schon wird alles gut.

Ich sage nur, dass man sich manchmal eben eine Blase aus destruktiven Gedanken und miesen Stimmungen schafft, in der es nicht unbedingt einfacher wird, sein eigentliches Problem zu überwinden. Außerdem erfand ich das „Tennisspielen"—eine Methode, bei der ich vor meinem inneren Auge heranfliegende destruktive Gedanken mit einem großen Schläger über eine Mauer zurückschlage.

Ich habe mir also im Endeffekt selbst Strategien beigebracht, um mit depressiven Phasen klarzukommen. Mir ist schon klar, dass es eine Menge kompetenter Psychiater und Psychotherapeuten auf dieser Welt gibt und deshalb möchte ich keinesfalls raten, auf professionelle Hilfe zu verzichten. In meinem Fall habe ich aber auf diejenige gehört, die mich am besten kennt: mich selbst.