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Kann ich von digitalen Drogen high werden?

Von dem ganzen Geld hätten wir auch richtige Drogen kaufen können, aber wir dachten, wir probieren mal was Neues. Töne und Klänge, die dich high machen. Und es hat irgendwie geklappt.

Vor etwa zwei Monaten hat ein Wissenschaftler aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wegen sogenannter „Binaural Beats“, die er als „digitale Drogen“ bezeichnet und verboten sehen möchte, Alarm geschlagen.
Es handelt sich dabei um Tonspuren—sie Musik zu nennen, würde etwas zu weit gehen. Töne zu verbieten, von denen behauptet wird, sie könnten deinen Geisteszustand verändern, hörte sich für mich an wie eine übertriebene, hinterwäldlerische Reaktion auf etwas, das vermutlich gar nicht funktioniert. Aber was, wenn es doch funktioniert? Was, wenn dich die Tracks tatsächlich high werden lassen?

Ich wollte dem Zeug eine Chance zu geben und lud fünf verschiedene MP3-Dosis-Pakete von I-Doser runter, einem Anbieter dieser futuristischen, vermeintlich den Verstand aufmischenden Drogen, der sich selbst ziemlich wichtig nimmt. Auf der Website von I-Doser wird behauptet, sie würden mehrere Untergrundmusik- und Tontechnikexperten-Teams sowie Programmierer, Tester, Forscher und Administratoren beschäftigen, und, dass jede Tonspur hoch entwickelte Binaural Beats enthält, die deine Gehirnwellen synchronisieren würden. Wow. Es gab einen ganzen Haufen verschiedener Sorten—Sex, Design, Sport, pur und so weiter—, weshalb ich mich entscheiden musste. Ich wollte nichts, das mir ein beruhigendes Gefühl verschafft, dafür konnte ich mir auch eins dieser meditativen, mit dem Foto eines Wasserfalls kombinierten Flötenstücke auf YouTube reinziehen. Ich wollte ausflippen und mich dem Chef da oben etwas näher fühlen. Deshalb holte ich mir die neusten Versionen der „verschreibungspflichtigen“, „fiktionalen“, „heiligen“, „himmlischen“ Dosis-Pakete, sowie das Dosis-Paket der „Erholung“. Jedes Paket enthielt vier 15 Minuten lange Tonspuren und ich testete die, die sich am interessantesten anhörten.

Verschreibungspflichtige Simulationen: Ambie
Beim „verschreibungspflichtigen“ Paket hatte ich die Wahl zwischen Xanax, Ambie, Valim und Klono. Ich entschied mich für Ambie, das angeblich die gleiche Wirkung wie ein Schlafmittel hat. Als ich mich mit der Materie beschäftigte, war ich fest davon überzeugt, dass man diese Beats allesamt in die Tonne kloppen kann, aber ich war entschlossen, dieser ganzen Sache eine Chance zu geben.
Ich saß in meinem Schlafzimmer auf einem Stuhl und steckte mir meine Ohrstöpsel rein, startete die Tonspur und machte die Augen zu. Ich versuchte, mein Ich in eine Art Zen-Status zu bringen und die Beats meinen Verstand überrollen zu lassen. Das Stück begann mit einem stetigen, mechanischen Brummen, das gelegentlich von einer Art Störung unterbrochen wurde. Später wurde es zu einer sanften und beruhigend mystisch anmutenden Melodie, wie im Soundtrack eines Märchens.
Die ersten paar Minuten fühlte ich so ziemlich gar nichts und nach vier Minuten öffnete ich die Augen. Sie fühlten sich irgendwie schwerer an, aber ich redete mir ein, dass das ein psychologischer Effekt sei, ein Placebo. Dann erkannte ich: Hey, das Zeug funktioniert wirklich!
Mein Kopf wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer und am Ende der Session war mein kompletter Körper taub und kribbelte.
Ich kreiste mit den Armen, um mir selbst zu beweisen, dass das nur so war, weil ich für 15 Minuten mit geschlossenen Augen in derselben Körperhaltung verharrt hatte. Es half nicht. Mein Hirn war vollkommen leer und fünf Minuten später fühlte ich mich noch immer komplett betäubt.

Ich schätze, das Zeug funktioniert. Fiktionale Simulationen: Bloodthistle
Diese fiktionalen Dosen sollen angeblich deine Gehirnwellen so synchronisieren können, dass sie deine Lieblingsbücher, -filme, -spiele simulieren. Was auch immer das bedeuten soll. Ich nahm die Bloodthistle-Dosis wegen ihres coolen Namens—als ich das Wort googelte, fand ich heraus, dass Bloodthistle eine Pflanze aus World of Warcraft ist, die deine Zauberkraft verstärkt. Fand ich ziemlich cool. Wie bei der Ambie-Tonspur gab es auch diesmal Brummen und Vibrationen—aber es war alles andere als beruhigend. Ich hörte wie von Weitem Donner, Glockenläuten und fließendes Wasser. Ich fühlte mich, als würde ich Jennifer Lawrence in The Hunger Games nachrennen—kraftvoll, kontrolliert, ein kleiner Teufel. Es war aber trotzdem nicht so intensiv wie Ambie. Himmlische Simulation: Sleeping Angel
Sleeping Angel war ein guter Weg, um wieder runterzukommen. Diesmal streckte ich mich auf meinem Bett aus, da ich das Gefühl hatte, meine natürliche Schlafumgebung wäre hier angebracht.
Sleeping Angel bestand hauptsächlich aus gleichmäßigem Rauschen, ein Störgeräusch, das seine Tonhöhe Schritt für Schritt veränderte, bis es sich wie Slow Motion anhörte.
Ab und an unterbrach ein sanftes Klingeln oder Pfeifen das statische Rauschen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich durchlebte ein paar kurze Klarträume, an deren Details ich mich hinterher nicht mehr erinnern konnte, und schlief noch vor Ende des Stücks ein.
Das war ziemlich ungewöhnlich, da ich die Nacht davor über 8 Stunden geschlafen hatte. Ich mache normalerweise keine Nickerchen, schon gar nicht um drei Uhr nachmittags.
Sich ernsthaft auf diese Tonspuren zu konzentrieren und zu versuchen, sie zu „fühlen“, ist schwieriger, als man denkt. Nach dem Genuss von drei dieser Dosen fühlte sich mein Gehirn an wie Brei. Deshalb machte ich eine kleine Pause, bevor ich weitermachte und endlich zu der Dosis kam, von der ich mir den meisten Spaß erhoffte, nämlich der Dosis der Erholung. Erholungssimulation: Amanita und Overdose
Niemand will alleine auf Pilzen sein, darum lud ich einen Freund ein, damit wir uns Amanita zusammen anhören. Aber so sehr ich mich auch auf den Trip freute, er stellte sich nicht ein. Es hörte sich an wie das Rufen eines Karibus, hinterlegt mit einem undefinierbaren Vibrieren. Es endete damit, dass ich eine Angstattacke erlitt und das Gefühl hatte, ein zehn Kilo schweres Gewicht würde auf meiner Brust liegen. Es war ein Horrortrip!
Da ich mit der Wirkung von Amanita alles andere als zufrieden war, entschied ich mich dazu, auch noch Overdose auszuprobieren. Ich wollte testen, ob die Umgebung für die Wirksamkeit der digitalen Drogen eine Rolle spielt. Deshalb ging ich diesmal ins VICE-Büro, eine bei Weitem hektischere Umgebung als mein kleines Schlafzimmer. Mittlerweile hatte ich kapiert, dass Brummen und vibrierende Geräusche zum Standardrepertoire der Binaural Beats gehören. Aber bei Overdose ging zur Abwechslung so richtig die Post ab: Paradiesvogelschreie, fließendes Wasser, Donnergrollen, Pieptöne, das Geräusch von Metall, das auf Metall reibt. AHHHHHHHH. Ich hatte noch nie eine Überdosis, oder war auch nur in der Nähe davon, aber sich Overdose anzuhören, fühlte sich genau so an, wie ich mir eine Überdosis vorstelle. Ich schiss mir vor Angst fast in die Hosen. Obwohl ich ruhig auf einem Stuhl saß, wurde ich das Gefühl nicht los, mein Körper würde vor- und zurückgeschleudert werden.
Selbst zehn Minuten später war ich noch ängstlich und nervös. Warum zur Hölle sollte sich jemand so etwas aus Spaß anhören? Heilige Simulation: Hands of God und Gates of Hades
Laut der Beschreibung von I-Doser sollen dir die heiligen Dosen helfen, den Urknall, himmlische Glückseligkeit und das Fegefeuer zu spüren.
Bei den bisherigen Tracks hatte ich immer das Gefühl, unter Hypnose zu stehen. Aber Hand of God war … anders.
Es begann sehr sanft und geschmackvoll, mit einem Chor, der eine Art Kirchenlied sang, was bald jedoch von kitschigem Sprechgesang und diabolischen Stimmen, wie man sie aus billigen Geisterbahnen kennt, abgelöst wurde. Wäh.
Gates of Hades sagte mir hingegen sehr zu. Ich kann diesen Track, um ehrlich zu sein, nicht wirklich so beschreiben, dass es einen Sinn ergeben würde. Ein paar Möwen im Hintergrund, sanftes Klingeln, ein gelegentlich erklingender Gong. Manchmal war wieder nur statisches Rauschen zu hören, das sich fast genauso anhörte wie bei Sleeping Angel. Es war wie eine wirklich gute Simulation des Gefühls, das du eventuell hast, wenn deine Seele nach deinem Tod versucht, deinen Körper zu verlassen. Ich hatte das Gefühl, zwischen Himmel und Hölle zu schweben. Letztendlich fuhr ich zur Hölle, und wisst ihr was? Und das war in Ordnung. Ich reflektierte die Entscheidungen, die ich zeit meines Lebens getroffen hatte, und dachte über den Tod nach, was ich normalerweise niemals tue.
Ich erkannte, dass ich nicht sterben wollte, auch wenn Gates of Hades warm und einladend klang. Ziemlich harter Shit für ein paar Geräusche. Ich kann inzwischen verstehen, warum ein verklemmter „Polizei-Wissenschaftler“ Binaural Beats verbieten lassen will, aber ich weiß auch, warum gelangweilte Kids in den Vereinigten Arabischen Emiraten so auf das Zeug abfahren. Binaural Beats sind nicht wirklich mit der Kraft und dem Spaßfaktor richtiger Drogen zu vergleichen. Sie sind aber auch nicht die schlechteste Möglichkeit, an einem faulen Wochenende die Zeit totzuschlagen.