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Super! Niemand hat Schuld an Rosemarie F.s Tod!

Letzte Woche ist Rosemarie F. nach ihrer Zwangsräumung in Berlin gestorben und nun wird ein Schuldiger gesucht. Besonders die Polizei wird als „Mörder“ beschimpft. Ich habe nachgehakt bei den verschiedenen Stellen, und festgestellt, eine eindeutige...

Als ich letzte Woche davon hörte, dass Rosemarie F. nach einer Zwangsräumung im Berliner Stadtteil Reinickendorf gestorben war, wollte ich wissen, wer eine alte Frau im winterlichen Berliner April einfach so vor die Tür setzt. OK, es gab schon einige Gründe, die rechtfertigten, dass Rosemarie F. aus ihrer Wohnung ausziehen musste: Allen voran, dass sie ihre Miete nicht bezahlt hat und sechs Monate im Rückstand war. Außerdem hat sie ihre Nachbarn terrorisiert und zum Beispiel Fischbrühe über ihre Türmatten gekippt.

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Also bin ich zu dem Gedenkgottesdienst für Rosemarie F. am Freitag in Berlin gegangen, bei dem auch viele linke Aktivisten teilnahmen und sich als Ziel setzten, den Schuldigen für den Tod von Rosemarie F. ausfindig zu machen. Von meiner Kollegin, die den Vormittag beim Polizeipräsidenten verbracht hat (für ein Interview, nicht weil sie was angestellt hat), habe ich erfahren, dass da die Telefone in der Pressestelle den ganzen Tag nicht still standen, weil Journalisten wegen dem Rosemarie-F.-Fall anriefen, mit Fragen wie „Wie fühlt man sich als Mörder?“ Die Öffentlichkeit nimmt hauptsächlich die Polizei wahr, die die Räumung durchgeführt hat, und deswegen überall in den Medien als die „Bösen” dar gestellt wird, erklärte der Polizeisprecher meiner Kollegin. Klar, sie sind mitschuldig, quasi Mittäter, aber ob sie Schuld an Rosemaries Tod haben, ist irgendwie nicht eindeutig. „Wir machen ja nur unseren Job“, hieß es dazu bei der Polizei, und: „Der Gerichtsvollzieher hat das Urteil“ über das Schicksal von Rosemarie F. gefällt.

Worum es den Demonstranten—ähh nee, den Trauernden (war ja keine angemeldete Demo)—ging, war ziemlich schnell klar. Sie sangen: „Kapitalismus, scheiße wie noch noch nie; Rosemarie, wir vergessen dich nie.“ Das war mein Lieblingschant bei der Aktion. Offensichtlich wurde die Zwangsräumung Rosemaries und ihr damit verbundener Tod als Versagen des Systems gewertet. Als ich Demonstranten darauf ansprach, wer denn tatsächlich Fehler begangen hatte, war die Antwort in Anbetracht des riesigen Polizeiaufgebots um die Trauernden herum schon vorprogrammiert.

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VICE: Eine alte Frau wird per Zwangsräumung aus ihrer Wohnung geschmissen und stirbt zwei Tage später. Wer ist deiner Meinung nach daran schuld?
Aktivist: Da sind zwar mehrere Parteien schuld dran, aber wir können gleich mal hier anfangen; das ist die Polizei meiner Meinung nach.

Weil die Rosemarie F. aus dem Haus entfernt haben?
Ja, diese Typen haben da keine Skrupel. Die schützen nur die Interessen der Geldgeber und nicht die der Bevölkerung, wie es ja eigentlich auch im Gesetz steht.

Es geht also bei solchen Zwangsräumungen um Geld?
Klar, es geht dabei doch fast immer darum, die Mieten nach oben zu treiben. Und da machen die Polizisten einfach so mit. Die würden sogar die Räumung ihrer eigenen Wohnung durchführen und schützen.

Die Polizei war also daran schuld. Was die da wohl so sagen würde? Zum Glück waren ja ein paar von denen anwesend, die mir sicherlich helfen würden. Aber anscheinend dürfen nur bestimmte Polizisten in weißen T-Shirts mit einem reden, die irgendwo am Arsch standen. Aber einen mit weißem T-Shirt habe ich dann doch auftreiben können:

VICE: Wer ist denn Ihrer Meinung nach schuld am Tod von Rosemarie F.?
Polizistin: Also eine Schuldfrage werden wir hier jetzt eh nicht klären.

Können Sie was dazu sagen, dass sie durch die Polizei geräumt wurde?
Nee, nicht durch die Polizei, das war ja eine zivilrechtliche Justizgeschichte, die Polizei hat einzig und allein Amtshilfe geleistet für die Gerichtsvollzieherin.

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Dann also das Gericht. Das hatte ja die Räumung der Wohnung von Rosemarie F. veranlasst. Am 9. April tauschte die Gerichtsvollzieherin das Schloss der Wohnung aus und vollstreckte so die Zwangsräumung, wegen der ja überhaupt erst die Polizei anrücken musste. Verantwortlich dafür ist in Reinickendorf das Zivilgericht Wedding, also mal schauen, was die mir dazu sagen und ob ich den „Schuldigen“ hier finde.

VICE: Die Polizei hat uns erklärt, dass sie bei der Räumung der Wohnung von Rosemarie F. nur Amtshilfe für das Gericht geleistet hat. Ist also das Gericht schuld an ihrem Tod?
Sprecher Zivilgericht: Man muss bei dem Verfahren zwei Phasen unterschieden. Einerseits den Mietprozess, bei dem Frau F. auf Räumung verklagt wurde, mit der Begründung, es gäbe Mietrückstände. Und in dem Verfahren ist sie dann zur Räumung verurteilt worden.

Und deshalb wurde ihre Wohnung dann geräumt?
Na ja, es hat mehrere Anläufe gegeben, aus diesem Urteil die Räumung zu vollstrecken. Das ist dann im Auftrag der Vermieterin geschehen. Dafür ist dann der Gerichtsvollzieher  zuständig.

Und dann wurde sie also geräumt?
Zuerst hat Frau F. in dem Zusammenhang dann verschiedene Vollstreckungsschutzanträge gestellt und hat darauf hingewiesen, dass ihr das gesundheitlich nicht zumutbar sei.

Aber wenn sie Nachweise von Ärzten hatte, dass sie gesundheitlich nicht fit ist, wie kann denn dann trotzdem eine Zwangsräumung durchgeführt werden?
Das kommt immer mal wieder vor in Vollstreckungsverfahren, dass Mieter sich auf den Standpunkt stellen, eine Vollstreckung sei mit gesundheitlichen Konsequenzen verbunden,  die nicht hinzunehmen seien. Da gibt es verschiedene Rechtsprechungen, auf die sich die Gerichte bezogen haben. Es waren keine Bescheinigungen, die ausreichen. Das genügt nicht, wenn das vom Hausarzt ist; das muss von einem Facharzt sein.

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Das heißt, Sie sehen, dass das Gericht im Rahmen seiner Möglichkeiten richtig gehandelt hat?
Na ja, ich bin Pressesprecher des Gerichts und würdige das nicht. Ich sage nicht, das ist richtig, das ist falsch. Ich berichte einfach darüber.

Und wenn ich Sie so als Mensch und nicht nur als Pressesprecher frage, wo ist da ein Fehler begangen worden?
Sie sprechen mich als Gerichtssprecher an und entsprechend antworte ich auch, mir steht das nicht an, das persönlich zu würdigen.

So, das Gericht hat also auch richtig gehandelt. Aber anscheinend war im ersten Schritt ja die Vermieterin verantwortlich, die Frau F. verklagt hatte, weshalb das Gericht die Gerichtsvollzieherin schickte, die wiederum die Polizei anrief. Was würde sie also zu der ganzen Geschichte sagen?

VICE: Hallo spreche ich mit Frau H.?
Frau: Nee, die ist momentan leider nicht zu sprechen.

Es geht um die Geschichte mit der Frau Rosemarie F. Hat Frau H. da vielleicht ein Statement zu?
Hmm, da kann—leider nein, da kann ich Ihnen auch gar nicht bei helfen.

Wissen Sie, wann sie wieder im Haus ist? 
Ähm … Also heute bestimmt nicht mehr.

Dann vielleicht morgen?
Hust … Ähäm. Wäre möglich.

Sie wissen das auch nicht so genau? Ist sie im Urlaub oder will sie wegen der Geschichte mit der Rosemarie F. keine Medienanfragen beantworten?
Ich bin nur die Aushilfe, ich kann da nicht helfen!

Ist dann vielleicht jemand da, mit dem ich dadrüber sprechen könnte?
Nee, tut mir leid, es ist gerade leider keiner frei.

Am nächsten Tag hab ich erneut bei der Vermieterin angerufen, jedoch war sie auch dieses Mal nicht zu sprechen. Stattdessen wurde ich aufgefordert, eine E-Mail zu schreiben, was ich dann auch gemacht habe. Daraufhin kam nur das hier zurück: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu diesem tragischen Fall in den Medien nicht weiter äußern möchten bzw. werden."