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The Photo Issue 2001

‘The LBM Dispatch’ Brings the Good News

Das Projekt, das irgendwann zum LBM Dispatch wurde, begann im Grunde als Scherz und als Experiment. Der Fotograf Alec Soth und der Journalist Brad Zellar gaben sich als Vertreter der Lokalpresse aus und gründeten eine Fake-Zeitung, die zu einem...

Boulder, Colo. — Der Geist von John Denver überschattete die Vorbereitungen für unseren Colorado-Trip, aber ich hoffte inbrünstig, seiner Musik und seinem Erbe aus dem Weg gehen zu können. Was sich jedoch als völlig unmöglich herausstellte. „Rocky Mountain High“ ist einer von zwei offiziellen Songs des Bundesstaats und als wir Poster sahen, die eine Performance von einem John-Denver-Double in einer der ersten Städte auf unserer Route anpriesen, wussten wir, dass wir nicht um einen Besuch der Denver-Pilgerstätte in Aspen herumkommen würden. Als wir Don (auf dem Bild) im Days Hotel trafen, spürten wir überall um uns herum die Präsenz von Denver, was irgendwie nicht so gut war.

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D ieses Projekt, das irgendwann zum LBM Dispatch wurde, begann im Grunde als Scherz und als Experiment. An Alecs Geburtstag im Dezember 2011 schrieb er mir eine SMS, er habe Lust auf ein Abenteuer. Ein paar Stunden später saßen wir in seinem Honda Odyssey, fuhren in den Vorstädten der Twin Cities herum und gaben uns als Vertreter der Lokalpresse aus. Die erste „Meldung“, der wir nachgingen, drehte sich um eine Katze, die ihren vermeintlichen Rettern seit Monaten entwischt war und auf der kleinen Verkehrsinsel einer der hektischsten Freeway-Kreuzungen lebte. Diese Katze hatte einen beinahe mythischen Status erlangt. Glück oder Schicksal hatten sie am Leben erhalten; wir fanden auf der Insel, auf der sie ausgesetzt worden war, nicht nur einen kleinen Süßwasserteich, sondern auch den Kadaver eines Rehs, dessen Überlebensskills wohl nicht ganz an die der Katze herangereicht hatten. Wie das Glück es so wollte, nahm die Geschichte am Weihnachtstag, kurz vor Alecs Geburtstag, eine Wendung. Ein Polizist hatte die Katze endlich zu fassen bekommen und brachte sie in ein nahe gelegenes Tierheim, wo sie Adam getauft wurde (nach ihrem Retter, aber auch für uns stellt sich der Name als sehr passend heraus). Wir besuchten die Insel, auf der Adam gestrandet war, untersuchten und fotografierten den Teich, den Rehkadaver und einen Durchlass unterhalb des Freeways, der—den frischen Pfotenabdrücken nach—Adams Zuflucht gewesen sein musste. Außerdem besuchten wir die Katze in ihrem Übergangszuhause. Ihr mürrisches und unkooperatives Verhalten legte nahe, dass sie eher gefangen als gerettet worden war, ins Exil verbannt statt befreit. Aber mehr brauchte es nicht, um unsere Inspiration anzufachen, und von dem Moment an waren wir Feuer und Flamme. Wir hatten keinen echten Plan für das Projekt; wir waren beide nur gerade an einem Punkt der Stagnation, glaube ich. Alec hatte seine ersten Gehversuche bei einem Lokalblatt gemacht und mein erster Job war auch bei einer kleinen Zeitung. Es machte Spaß, den Ort zu erkunden, an dem wir so einen großen Teil unseres Lebens verbracht hatten und es machte noch mehr Spaß, all diese kleinen, völlig fremden Nischen voller Merkwürdigkeit zu entdecken. Wir besuchten ein Kirchenmusical, das auf dem Buch Genesis basierte, sahen uns die Ruinen einer Geisterstadt in Minnesota an, die von einem Mitglied der Donner Party gegründet worden war, und verbrachten Zeit mit einem Typen, der gern den Zweiten Weltkrieg nachstellt und in einem Erdloch, das er neben seinem Vorstadtzuhause ausgehoben hat, übernachtet. In einem Interstate-Hotel lauschten wir bei einem frühmorgendlichen Treffen des Optimist Clubs einem Fachmann für Populationskontrolle, der seine optimistischen Zuhörer mit Geschichten eines Planeten am Abgrund, Fotos von hungernden Kindern, Müllbergen und in Öl verreckenden Tieren zu deprimieren versuchte. Schließlich entschlossen wir uns in einem Anflug von eigenem, vermessenem (und vielleicht ironischem) Optimismus, nagelneue Visitenkarten zu drucken, die mich zum Chef einer fiktiven Zeitung machten. Nach ein paar Monaten solcher Aktionen (wir hatten noch immer keine Ahnung, was wir mit all dem Material anfangen würden, das wir generierten) beschlossen wir, unsere Fake-Zeitung mit auf Reisen zu nehmen. Alec sollte in Ohio einen Vortrag halten, also packten wir unseren Van voll und streiften eine Woche durch den „Buckey State“, um zu sehen, was wir unterwegs aufgreifen und veröffentlichen konnten. Als wir zusammen durch Minnesota fuhren, verschmolzen immer mehr Ideen miteinander. Wir unterhielten uns viel über Gemeinschaft in Zeiten des Internets und die traditionellen Social Networks—Bürgerversammlungen, Studentenvereinigungen, Clubs und ganz normale Freundschaften—die im 21. Jahrhundert an Bedeutung verlieren. Unsere Persönlichkeiten und relativen Misserfolge auf zwischenmenschlicher Ebene ließen uns dabei ein paar Schlüsse ziehen, die sich, wenn man ehrlich ist, nicht direkt auf Ohio oder irgendeinen anderen Staat, den wir besuchten, zurückführen lassen.

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Cambridge, Minn. — Das ist eine der ersten News-Storys, der Alec und ich nachgingen, als wir anfingen, von Minneapolis aus Tagesreisen zu machen. Als wir Scott Smith trafen, hatte er bereits das Erdloch, das er in seinem Vorgarten gegraben hatte, wieder zugeschüttet. Smith hatte den Bau ausgehoben und darin eine Woche lang geschlafen, um die Helden der 101. Airborne Paratroopers aus der Belagerung von Bastogne zu würdigen. Als erstes Beispiel für die Gastfreundlichkeit und Freundlichkeit, die uns auf der gesamten Reise begegneten, lud er uns in seinen Garten ein, um Porträts von ihm in Uniform zu machen vor dem, was noch von seinem Erdloch übrig war.

In gewisser Weise wurden diese in vielerlei Hinsicht falschen Schlüsse auch durch unser Verhältnis und den Charakter unserer Zusammenarbeit widerlegt. Seit unserem Aufbruch aus Ohio im Mai 2012 haben wir fünf Staaten besucht, mehr als drei Monate zusammen in einem Van verbracht und fünf Ausgaben des LBM Dispatch herausgebracht. Wir veröffentlichen von unterwegs, haben tägliche Deadlines, aktualisieren unsere Tumblr-Seite und haben uns zum Ziel gesetzt, das Blatt spätestens eine Woche nach der Rückkehr von einer Tour herauszubringen. Bis jetzt liegt unsere Erfolgsquote bei fünf von fünf und es haben sich—neben 250 bereits gedruckten Seiten—Tausende Bilder und Geschichten angesammelt. Die Tage sind lang und bestehen mitunter aus Dutzenden Hit-and-Run-Begegnungen, geplanten Treffen und einer schwindelerregenden Masse von Stimmen, Gesichtern und Landschaften. Wenn wir abends in ein Hotel einchecken, lädt Alec seine Bilder hoch, wir mailen hin und her und ich bleibe lange auf, um passende Texte und Bildunterschriften zu schreiben. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nie damit gerechnet, dass dieses Konzept funktioniert. Ich kann versichern, dass weder ich noch Alec dafür geschaffen sind, die zwischenmenschlichen Reibungen wegzustecken, die zwangsläufig bei einem solchen Projekt entstehen. Keiner von uns wäre die Idealbesetzung für eine Rockband und schon gar nicht für eine, die immer auf Tour ist. Ich bin ein Einzelgänger mit einer Menge Zwangsneurosen und liebe nichts mehr, als meine Zeit allein zu Hause zu verbringen, mit meinem Hund, meinen Büchern, Musik und den täglich wiederkehrenden beruhigenden Routinen. Ein Tag, an dem nicht von mir erwartet wird, mich anzuziehen, ist per Definition ein guter Tag für mich. Das Konzept der künstlerischen Kollaboration hat zwar immer große Anziehung auf mich ausgeübt, aber erfahrungsgemäß gibt es in der Realität eine ganz schöne Abweichung von der Idealvorstellung, und das ist in der Regel meine Schuld. Ich habe vor langer Zeit gemerkt, dass ich in so was einfach nicht gut bin. Auch Deadlines waren noch nie mein Ding. Ich kriege nichts auf die Reihe, ohne dass mir jemand eine Knarre an die Schläfe hält. Aber gleichzeitig hasse ich es, eine Knarre an der Schläfe zu spüren. Alec hat einen Großteil seiner Karriere ebenfalls alleine durchgezogen und er hat eine wirklich starke Arbeitsmoral.

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Westminster, Colo. — Wir fuhren relativ planlos durch die Gegend, als wir auf einem kleinen Parkplatz eine Gruppe US Marines trafen, die sich gerade durch ein „Prä-Bootcamp-Fitnesstraining“ quälten. Offenbar bestehen die meisten angehenden Marines heutzutage den Fitnesstest, der für die Grundausbildung Voraussetzung ist nicht und müssen durch dieses Drill-Programm erst mal in Form gebracht werden. Wir sahen eine Menge Leute, die sich übergaben, und ein paar junge Rekruten, die wohl erkannt hatten, nicht aus Marine-Holz geschnitzt zu sein und einfach mittendrin aufhörten und weggingen.

Aufgrund dieser Bedenken war die ganze Dispatch-Idee zugleich aufregend und abschreckend. Und weil wir immer eine dritte Person dabeihaben, die die Fahrerei und logistische, grundlegende Dinge für uns übernimmt, schien die Chemie zwischen uns von Anfang an mit tückischer, hochexplosiver Energie geladen. Schon Schriftsteller Norman Mailer wusste den Wert der Bewegung für den Menschen zu schätzen und jetzt, ein Jahr nach unserem Abenteuer, ist es zur Herausforderung geworden, uns die Straße ab- und das Stillsitzen wieder anzugewöhnen. Jede Dispatch-Tour war ein Adrenalintrip und es ist verdammt leicht, sich in der ganzen Planerei und dem Rausch, jeden Tag an einem verheißungsvollen neuen Ort zu sein, zu verlieren. Das Notizbuch wird voller, die Fotos werden mehr und wir beginnen, die Magie, die uns tagtäglich begegnet, für selbstverständlich zu halten. Wie zum Beispiel als wir in Ohio unbedingt Pfadfinder treffen wollten, und plötzlich ein Boy Scout an der Straße stand, oder als wir uns in Colorado lauthals Mormonen wünschten, und, voilà, zwei Mormonen auf ihren Fahrrädern um die Ecke geradelt kamen.

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Redwood City, Calif. — Bei einem Meet-and-Greet für ukrainische Start-ups in einem menschenleeren Park im Silicone Valley traf ich einen Typen, der weder Ukrainer war, noch Geld investieren wollte. Er lächelte, zuckte mit den Schultern und sagte: „Aber ich bin Single und bin hier wegen der heißen ukrainischen Frauen und dem kostenlosen Wein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“

Normalerweise fangen die Dinge an, Form anzunehmen, wenn ungefähr die Hälfte eines Trips hinter uns liegt. Nach einem schlechten Tag kommt meist eine unvorhergesehene Begegnung, die alles wieder herausreißt und uns in einen produktiven Rausch versetzt. Ein großer Teil des Drucks, aber auch des Erfolgs kommt von den uns selbst gesetzten Deadlines und dem Wissen, dass wir zwei Wochen nach unserer Rückkehr etwas in unseren Händen halten werden. Keiner der Trips läuft jemals nach Plan, aber einen Plan gibt es immer. Wir fahren nicht einfach herum und suchen nach Motiven und Leuten. Bevor wir eine Stadt verlassen, haben wir eine Route gewählt, die Geschichte der Orte sowie wichtige Termine recherchiert und Ausschau gehalten nach interessanten Stopps auf dem Weg. Wir haben Tausende Seiten Literatur aus jedem der Staaten gelesen und seine Geschichte, Folklore und das politische Klima recherchiert, um planen zu können, was wir unterwegs mitnehmen können. Manchmal auch einfach nur so zum Spaß, oder vielleicht auch, um uns in Stimmung zu bringen. Ich versuche, ein Mixtape zusammenzustellen mit Musik aus den Staaten. Und dann fahren wir. Jeden Tag ein festgestecktes Ziel zu haben ist natürlich gut für die Disziplin, aber glückliche Zufälle zwingen uns oft zu Umwegen und verlängerten Aufenthalten hier oder dort. Alec und ich sind den ganzen Tag zusammen. Während er fotografiert, unterhalte ich mich mit Leuten. Manchmal ist es andersherum, aber auf den fünf Reisen bisher sind nur drei Bilder entstanden, bei denen ich mal nicht anwesend war. Eine gute Geschichte schlägt manchmal ein gutes Bild und vice versa, aber mittlerweile haben wir beide ein ziemlich gutes Gespür dafür entwickelt, was wir jeweils aus einer Situation herausholen können. Unser Gesprächsbedarf ist minimal und wir müssen selten Kompromisse eingehen. Trotzdem müssen wir manchmal schmerzhafte Opfer bringen; wenn wir erst mal ein Thema, ein Gefühl oder eine Richtung eingekreist haben, müssen wir, um uns nicht ablenken zu lassen, wieder auf anderes verzichten. Aus ganz persönlicher Sicht ist es unglaublich, wie viel Spaß und Stress mit dem Projekt verbunden waren und dass es so funktioniert hat, wie es das tut. Die Dispatch-Trips waren die beste Erfahrung meiner beruflichen Laufbahn und ich glaube, das liegt vor allem daran, dass weder Alec noch ich das Projekt von Anfang an als rein professionelle Erfahrung angegangen sind. Wir haben es eher als eine Reihe Roadtrips, Abenteuer und lange Gespräche zwischen zwei Freunden in einem Van gesehen—die Dinge, die wir gesehen haben, die Leute, die wir getroffen haben, und die Geschichten, die wir gehört haben, sind das, worum es geht.

Um die letzten beiden Ausgaben des LBM Dispatch zu bewundern, kauf dir am besten deine eigene Ausgabe dieses „unregelmäßig erscheinenden Sammelsuriums amerikanischen Storytellings“ oder besuch einfach littlebrownmushroom.com.

Clifton, Colo. — Gabe ist ein Mescalero Apache. Ihm und seiner Frau Sis gehört die Red Rock Archery, eine Kombination aus Geschäft und Bogenschützenverein. Am Abend unseres Besuchs richtetet er mit Stammgästen einen improvisierten Wettkampf aus. Unsere Entourage wurde willkommen geheißen, als ob wir schon seit Wochen dabei wären, und alle unterbrachen, was auch immer sie gerade taten, um uns herumzuführen und für Bilder zu posieren.