There’s No Biz Like Pozbiz

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There’s No Biz Like Pozbiz

Ein HIV-positiver Escort über die Berliner Barebackszene.

Aus unserem Geschichtsreihe 10 Jahre VICE Deutschland

Trotz der andauernden Bemühungen der HIV-Aufklärung und all der lustigen, schockierenden oder manchmal einfach nur merkwürdigen Werbeclips und Anzeigen (zum Beispiel denen, die Parallelen zwischen Essen und Geschlechtsorganen ziehen), ist das Virus in Deutschland auf dem Vormarsch. Die Anzahl neuer HIV-Infektionen hat sich laut Prof. Dr. N. H. Brockmeyer, dem Vorsitzenden der deutschen STD-Gesellschaft, in den letzten zehn Jahren verdoppelt. MSM (Männer, die mit Männern Sex haben) repräsentieren die größte Gruppe unter den Neuinfizierten (67 Prozent). Eine aktuelle Studie des Robert Koch Instituts belegt zudem die logische Annahme, dass sich die höchste Dichte an MSM mit ca. 80.000 in der liberalen Hauptstadt finden lässt. Zehn bis zwölf Prozent der Berliner MSM sind positiv, und auch, wenn die Studie nicht explizit diese Schlussfolgerung gezogen hat, haben wir die leise Vermutung, dass das etwas mit Berlins florierender Barebackszene zu tun haben könnte. Junge schwule Männer ziehen von überall her in die Großstadt—einige nennen sie auch gleich „Barelin"—auf der Suche nach anonymen Sex und der ultimativen Freiheit, jeden spermadurchtränkten Traum auszuleben, der Zuhause in der Kleinstadt vielleicht unmöglich schien. Vor dem Internet mussten sie sich noch mühsam selbst der pulsierenden Szene um den Nollendorfplatz herum an den Hals werfen, durch die Bars in der Motzstraße cruisen oder ihr Glück in einem der zahlreichen Darkrooms versuchen. Jetzt haben populäre Foren wie Barebackcity und Gayromeo die letzten Kommunikationsbarrieren eingerissen und eine generelle „Wer A sagt, muss auch B sagen"-Einstellung hat unter den MSM einen Kein-Gummi-Trend ausgelöst. Obwohl die Behandlungsmethoden immer besser werden und HIV nicht mehr einem Todesurteil gleichkommt, liegt weiterhin ein hohes Risiko in der Ansteckung mit dem Virus, was den Barebackern aber keine allzu großen Sorgen zu bereiten scheint. Diejenigen, die bereits das Virus in sich tragen, riskieren Komplikationen durch eine sogenannte Superinfektion, was bedeutet, dass sie sich gleich mit mehreren Virussträngen infizieren, erklärt Dr. Ulrich Marcus vom Robert Koch Institut. Das größte Risiko jedoch stellen die zahlreichen weiteren STDs dar, die für einen HIV-Infizierten nicht nur besonders gefährlich sind, sondern auch als Co-Faktor die Infektiosität in die Höhe schnellen lassen können. Die Anzahl der Syphilis-Infektionen hat sich in Deutschland ebenfalls innerhalb der letzten zehn Jahre auf eine Anzahl von schätzungsweise mittlerweile 3.500 Fällen pro Jahr verdoppelt, sagt Prof. Dr. Brockmeyer. Laut Dr. Marcus ist Hepatitis C, die ursprünglich nicht als Geschlechtskrankheit im klassischen Sinne gesehen wurde, innerhalb der HIV-positiven Community zu einer Geschlechtskrankheit „geworden", die eine ernst zu nehmende Bedrohung beim Analsex und Fisten darstellt. Trotz aller Risiken und Unannehmlichkeiten, ganz zu schweigen von den Kosten, die es verursacht, eine lebenslange Infektion zu behandeln (im Schnitt 3.000 Euro pro Monat, pro Patient), stecken sich viele Barebacker wissentlich mit dem Virus an oder sehen es als unausweichliche Tatsache auf sich zukommen, dass sie sich über kurz oder lang anstecken werden und als Teil der HIV-Community noch wilderen ungeschützten Sex mit anderen infizierten Männern praktizieren können. Seit Bugchasing 2003 von den Medien aufgeschnappt wurde, wird es umrankt von unzähligen Mythen und zudem von Kritikern in Frage gestellt, die anzweifeln, dass es da draußen wirklich Männer gibt, die es damit ernst meinen. FFUCK4YOU ist ein Old-School-Barebacker (ursprünglich steht diese Bezeichnung nämlich nur für HIV-positive Männer, die ungeschützten Sex mit anderen HIV-positiven Männern haben). Er verdient nebenher ein bisschen Geld, indem er als Escort HIV-positiven Männern ungeschützten Sex anbietet. Wir haben mit ihm einen Nachmittag in der Eldorado Bar verbracht und Tee und Sekt-Aperol getrunken, während er uns einen Einblick in die lokale Pozszene gab und von seinen Begegnungen mit Bugchasern, todessehnsüchtigen/ignoranten Teenagern und frustrierten Seedern, die jede Behandlung ablehnen, um so ansteckend wie möglich zu bleiben, erzählte. Vice: Wie bist du dazu gekommen, als Escort zu arbeiten?
FFUCK4YOU: Wegen finanzieller Schwierigkeiten, weil meine Rente nicht besonders groß ist, und irgendwann habe ich gesagt, OK, kleiner Nebenverdienst. Wie lange ist das her?
Ein Jahr ungefähr. Und seit wann bist du HIV-positiv?
Seit 1999. Ich weiß auch, wer mich angesteckt hat. Er wusste es selber nicht. Das war eine Wochenendsession mit meinem Freund damals. Ich hab mich infiziert, meinen Freund hat es nicht erwischt. HIV-positiv zu sein, hat dich also nicht davon abgehalten, dich zu prostituieren?
Eigentlich nicht. Es gibt viele Leute, die so was machen. Ein guter Bekannter von mir ist schon fast 60 und der macht das trotzdem und hat seine spezielle Klientel. Ich hab damit keine Probleme, ich lebe ja in einer Beziehung seit über zwei Jahren. Wir haben eine offene Beziehung und da ist es auch kein Thema. Du bietest explizit Barebacksex an, wie läuft das genau ab? Sagen dir die Leute, dass sie positiv sind?
Ich schaue mir schon die Profile von denen im Internet an und wenn nichts daraus hervorgeht, dann frage ich nach. Der erste Kontakt findet also immer online statt?
Ja. Und wie viel verlangst du so?
60 Euro pro Stunde. Also ein ziemlich humaner Preis. Was bietest du für Sachen an?
Das Übliche, anal, Fisten, auch manche S/M-Praktiken, CBT [cock and ball torture], Eier bearbeiten, Anpissen, solche Sachen. Manche Sachen kosten ein bisschen mehr, aber das wird vorher geklärt. Manchmal auch die ganze Nacht oder das ganze Wochenende. Wo triffst du deine Kunden?
Unterschiedlich. Meistens im Hotelzimmer. Aber auch mal privat. Und wie oft verdienst du dir auf die Weise was dazu?
Ziemlich sporadisch. Mal ein oder zwei Wochenenden im Monat oder auch mal während der Woche. Also HIV ist eine Sache, aber es gibt ja noch eine ganze Menge anderer STDs, hattest du schon mal Probleme mit anderen Krankheiten?
Vor ein paar Jahren hatte ich das Pech, mal eine Hepatitis C zu haben. Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Drei mal hintereinander ein jeweils schlimmerer Typ und bei jeder musste ich jeweils ein Jahr lang eine Interferon-Therapie machen. Ich passe jetzt viel mehr auf und mache mich nicht mehr an jeden ran oder mache mit jedem rum, den ich treffe. Hattest du schon immer Barebacksex?
Eigentlich schon, ja. Ich wusste genau, worauf ich mich einlasse. Verstärkt natürlich auch, als ich mein positives Testergebnis hatte. Da habe ich dann mit meinem damaligen Freund nicht mehr viel anfangen können. Ich wollte nicht, dass er sich infiziert und das habe ich ihm auch gesagt. Er sagte, dass es ihm egal sei und dass ich machen könnte, was ich will. Aber ich wollte das nicht. Von da ging es dann auseinander. Er wollte sich also von dir anstecken lassen?
Ja. Aber ich hab gesagt: „Nein, das mach ich nicht." Ein paar Jahre später ist es mir leider mal passiert. Da war jemand negativ und hat sich bei mir angesteckt.

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Wusstest du, dass er negativ ist?
Ich wusste es nicht, ich hab es dann im Nachhinein erfahren. Er hat aber total souverän reagiert und gesagt: „Es ist meine eigene Schuld, ich wollte es so haben und dich trifft auch keine Schuld." Hat er dich angelogen und dir erzählt, er sei positiv?
Wir haben uns im Chat kennengelernt und auf dieser Seite habe ich bei Safer Sex immer „nach Absprache" angegeben. Und in meinem Profil stand, dass ich HIV-positiv bin. Wenn mich dann jemand anschreibt, gehe ich davon aus, dass er weiß, worauf er sich einlässt. Der Typ wusste also, dass du positiv bist?
Ja, von Anfang an. Hast du herausgefunden, warum er das gemacht hat?
Er wollte auf die Weise näher an mich rankommen und mich vielleicht näher an sich binden. Ihr hattet also eine Beziehung?
Es war von seiner Seite mehr als von meiner Seite. Ich mochte ihn sehr gern, aber das reicht noch nicht für eine Beziehung. Denkst du, er wollte es unbedingt haben?
Ich denke schon. Er wollte immer lieber ohne Gummi als mit. Es war wahrscheinlich eine willkommene Gelegenheit, um das wirklich regelmäßig machen zu können und ohne Probleme. Ist das eine häufige Motivation, um sich anzustecken?
Sehr häufig, ja. Ich merke das häufig auf diesen Internetseiten. Häufig schreiben mich junge Kerle an, negativ: „Komm, pozz mich!" Anfangs mache ich dann das Spielchen mit und ich schreibe ein bisschen und frage, warum sie das so toll finden und warum es sie geil macht. Irgendwann rücke ich dann aber auch mit der Wahrheit raus und sage ihnen, wie es wirklich ist. Was sagst du denen?
Ich bin seit zwölf Jahren positiv, und es ist kein Spaß regelmäßig zum Arzt zu gehen und nie zu wissen, ob nicht irgendwas Neues dazu gekommen ist. HIV ist ja nicht wie eine Grippe, die nach zwei Wochen wieder vorbei ist, den Virus hast du dein ganzes Leben in dir. Wenn man sich Leute ansieht, die länger positiv sind, dann sieht man das auch. Dann kommen Drogen dazu. Viele von denen geben sich auch total auf und hangeln sich von einem Darkroom zum nächsten. Das ist dann ja auch kein normales Leben mehr. Da geht es nur noch ums Vegetieren. Was sagen sie, wenn du fragst, warum sie das wollen?
„Ich will auch endlich dazu gehören. Der Kick. „Ich will so viel Sperma wie möglich haben. Ich mag diese Gummis nicht." Ich glaube die Aids-Aufklärung ist ziemlich an den Leuten vorbeigegangen. Wie alt sind diese Jungs?
Mich haben schon 17-, 18-Jährige angeschrieben. Manchmal auch ältere, die eigentlich besser wissen sollten, was los ist. Was würdest du tun, wenn jemand, der negativ ist, dich angelogen hat und du findest das erst im Nachhinein raus?
Schwierig. Weil man kann es ja nie genau sagen, weil man die meisten nicht wiedersieht. Ich will auf keinen Fall den Todesengel spielen. Können wir noch mal kurz auf die Jungs zurückkommen, die dir schreiben? Wirken sie informiert auf dich, also stellen sie dir spezifische Fragen zur Viruslast und so was?
Die sind relativ dumm. Die sind uninformiert, und wenn ich das merke, dann kläre ich sie erst mal auf, welche Probleme das bereiten kann, dass sie nie wieder ohne Medikamente leben können. Es gibt aber auch die andere Variante—einfach nur Leute, die sich einen Kick holen und sich dann im Chat so anbieten, um die Reaktionen von anderen Leuten zu testen und sich dann während des Chats vielleicht einen runterzuholen. „Virtuelles Bugchasing", sozusagen?
Genau. Es gibt ja auch viele Profile mit falschen Bildern, wo die Leute einfach mal so ein bisschen so tun als ob und sich dabei einen runterholen. Also wird der Virus fetischisiert?
Ja, der Virus ist der Fetisch. Kannst du diese Leute genauer beschreiben?
Ich versuche meistens hinter die Fassade zu blicken. Ich frage die dann: „Warum willst du positiv sein? Hast du Probleme zu Hause? Willst du dich befreien? Ist das ein Kick für dich?" Meistens rücken sie dann auch mit der Sprache raus. Sehr feinfühlig muss das sein. Und die Gründe, die sie vorbringen, sind von der Art, wie du sie gerade aufgezählt hast?
Ja. Da ist alles Mögliche dabei. Einfach der Kick. „Alle meine Bekannten poppen bare herum und die sind alle positiv und ich will dazugehören", oder „Ich hab keine Lust mehr zu leben, ich komme in der Schule nicht weiter, ich finde keinen Job", oder solche Sachen. Es scheint, als würden einige die Bareback-Community als exklusiven Club wahrnehmen, das klingt fast schon ein wenig elitär …
Na ja, das ist deren Gedanke. Aber das ist nicht elitär, du stehst außen, auch wenn es Tag für Tag mehr werden. Und was hält dein Freund von all dem?
Er hat wiederum seine speziellen Leute, weil er in gewissen Dingen ein bisschen härter drauf ist als ich und dann passt das. Was meinst du genau mit „ein bisschen härter"?
Na ja gut, also da kommen dann doch ein paar andere Vorlieben hinzu, Slammen zum Beispiel. Intravenös Drogen nehmen zum Beispiel. Koks. Das gehört für ihn zur Sexualität?
Ja, um sich fallen zu lassen. Das geht dann Richtung härterer SM. Als Sklave am Boden liegen und auf dem Boden herumkriechen und für den anderen alles zu machen, was der wünscht. Er ist devot. Meine Freude liegt auch mehr im Fisten. Ich habe das vor Jahren durch einen Bekannten kennengelernt und das hat sich dann immer weiter entwickelt. Deshalb auch das Doppel-F in meinem Nickname. Ein Freund hat immer gesagt, Fisten heißt in der Tiefe die Seele berühren. Und das fand ich so fantastisch. Und das ist auch wirklich so. Ich hab einen Bekannten, mit dem ich das hin und wieder ausübe, der ist auch Escort. Das ist eine wunderbare, fantastische Sache. Da gehört so viel Vertrauen dazu. Man muss genau aufeinander eingehen. Das ist ja höchstsensibel, wenn man da die Hand wo reinsteckt, dabei kann ja auch sehr viel kaputtgehen. Und deshalb ist es so wichtig, dass man eins mit dem Partner ist. Dass man genau spürt, wenn die Widerstände da sind und dann sofort zurückgeht. Das ist für mich das Größte, da brauch ich gar nicht ficken oder sonst irgendetwas. Das kann ich stundenlang machen, das macht mir absolute Freude. Ist dein Freund positiv?
Wir sind jetzt seit zweieinhalb Jahren zusammen und er ist seit gut einem Jahr positiv. Weißt du, wo er sich angesteckt hat?
Also nicht von mir. Wir hatten von Anfang an eine offene Beziehung und er hat immer wieder mit anderen Leuten was gemacht. Ich war nicht der Schuldige in dem Fall.

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Wie geht ihr mit euren Sexgeschichten um? Redet ihr darüber?

Meistens bringe ich ihn zu seinen Dates und hole ihn dann danach auch wieder ab. Das ist meistens besser, wenn er ein paar Sachen zu sich nimmt, dann möchte ich ihn ja so nicht auf die Straße lassen. Das sind bestimmte Stammfreunde, mit denen er seinen Spaß hat. Ich frag nicht genau nach, was er da macht, aber ich kann es mir ungefähr vorstellen. Ich kenne ja seine Vorlieben und ich sehe hinterher immer die Resultate.

Hattest du mit ihm ungeschützten Sex, bevor er sich angesteckt hat?

Ja, hatten wir auch. Aber meine Viruslast ist unter der Nachweisgrenze, also ist es äußerst schwierig, jemanden anzustecken.

Dein Freund hat sich also bei jemand anderem angesteckt. Ist dir mal durch den Kopf gegangen, dass er das absichtlich getan haben könnte?

… Er hat es bewusst in Kauf genommen. Also absichtlich glaube ich eigentlich nicht.

Was hältst du von Leuten, die das absichtlich machen?

Das ist auch etwas, das ich verurteile, bzw. das mich betroffen macht, wenn ich die Leute sehe, die in den Darkrooms abhängen. Immer dieselben. Jede Nacht. Jede Woche. Oder ich sehe im Chat immer wieder dieselben nach dem Motto „Lass mich voll pumpen, lass mich voll pumpen", und wenn man die Leute über Jahre hinweg beobachtet und sieht, wie sie verfallen, das ist schon unangenehm zu beobachten und macht mich auch wirklich sehr traurig. Es sind auch sehr viele Bekannte dran gestorben. Irgendwann versagt der Körper.

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Aber es gibt so viele junge, positive Leute in den Foren, die können das doch nicht alle mit Absicht gemacht haben.

Na ja, es gibt ja auch viele, denen das durch Drogen passiert ist, es gibt auch sehr viele, die vergewaltigt worden sind, aber eben auch welche, die einfach mal dumm waren, Alkohol getrunken haben, in einer Kneipe waren und halt nicht drauf geachtet haben, dass jemand ein Gummi drüberzieht. Die Ansteckungswege sind ja relativ vielfältig, es gibt viele Möglichkeiten.

Noch mal zurück zur Idee, den Virus als Fetisch zu sehen. Bist du schon mal Leuten begegnet, die Stolz auf ihre Infektion und die Viruslast sind? Die sie lieber feiern, statt zu behandeln?

Ja, da gibt's auch zahlreiche Profile, zum Beispiel bei Bareback City. Virenschleuder oder Kampfschleuder, die sich auch explizit so nennen, Poz-Siffer oder solche Geschichten. Die einfach Viren sammeln.

Hast du mal so einen Typen getroffen?

Ich mache da einen großen Bogen drum. Ich will mit den Leuten nichts zu tun haben. Angeschrieben haben mich einige, da sind mir auch einige Profile aufgefallen, so was kuck ich mir dann schon an. Aber wenn ich sehe, Viruslast über 10.000 oder über 1.000.000, mit denen will ich nichts zu tun haben.

Denkst du, dass bei den „Seedern" die gleichen Motive dahinterstecken, wie bei den „Chasern"?

Es gibt viele, die einfach keinen Halt mehr haben, die mit der Familie nicht klarkommen, die alleine sind, möglicherweise keinen Job mehr haben, Renter sind usw., die einfach am unteren Ende stehen, also der Gesellschaft. Die einfach sagen, ich geb mich jetzt komplett auf, wenn ich tot bin, bin ich tot und wenn ich dann noch jemand anderen mitreiße, ist mir das egal. Die Leute haben mich irgendwann mal infiziert und jetzt mach ich's genau so.

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Das klingt wie das klassische literarische Konzept der Selbstzerstörung. Wie stellen sie das dann real an?

Es gibt spezielle Clubs, nach dem Motto „Poz me Up" und solche Geschichten, dass Leute in spezielle Clubs reingehen und dann gibt es Poz-Partys und dann Viren verteilen und tralala—gib mir Tripper, gib mir Syphilis, Hepatitis C und alles, was da kreucht und fleucht. Chlamydien etc., pp. Und lass uns mal schön die Viren austauschen.

Existiert das wirklich oder ist das ein Mythos?

Das gibt's wirklich.

Also auch außerhalb der Foren, im echten Leben?

Sicherlich. In den Foren gibt es die entsprechenden Clubs und dann treffen sich die Leute privat oder mieten ein Lokal und feiern da ihre Partys. Gibt's alles. Es gibt nichts Perverses, das man sich vorstellen kann, was nicht auch passiert.

Klingt selbstmörderisch.

Das ist selbstmörderisch …

Was denkst du, welche Rolle das Internet in der Verbreitung von STDs spielt?

Das ist echt explodiert, man sieht's ja. Es gibt immer mehr Infizierte. Hier in Berlin kennt keiner keinen. Viele Leute ziehen aus der gesamten Bundesrepublik hierher, um eben hier ungehemmt zu sein, weil die Stadt eben sehr offen ist und so tolerant. Also, das Internet ist auf jeden Fall ein Katalysator.

Denkst du, dass Bugchasing durch das Internet aufgekommen ist?

Ich denke, das gab es schon immer, seit HIV mit Rock Hudson, Liberace und so weiter bekannt geworden ist, aber die neue Technik macht es natürlich noch einfacher.

Ist dir eigentlich jemals der Gedanke gekommen, der Barebackszene den Rücken zu kehren? Ich meine, es gibt ja eine Korrelation zwischen HIV und der Barebackszene. Eins hängt quasi vom anderen ab …

Das hat mich nie davon abgehalten, Barebacksex zu betreiben. Ich tue es einfach gerne und versuche mich einigermaßen vernünftig aufzuführen und die Sache nicht zu übertreiben. Ich gehe nicht auf jede Party oder auf die großen Veranstaltungen wie CSD oder Ledertreff und so weiter, wo Tausende Leute auf einer Party sind und wild durcheinander vögeln.