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Reisen

Eurovision-Chaos in Aserbaidschan

Vor gut einer Woche fand das meistgesehenen Nicht-Sport-Events der Welt statt—ein Gesangswettbewerb, der von über 125 Millionen Menschen rund um den Globus verfolgt wurde.

Vor gut einer Woche fand die 57. Ausgabe des meistgesehenen Nicht-Sport-Events der Welt statt—ein Gesangswettbewerb, der von über 125 Millionen Menschen rund um den Globus verfolgt wurde. Das Großartige und gleichzeitig Bizarrste daran ist, dass der diesjährige Contest in Aserbaidschan stattfand, einem der weltweit reichsten Ölstaaten mit einer der weltweit schlechtesten Menschenrechtssituationen. Als ich hörte, dass diese Trash-Veranstaltung dieses Jahr in dieser tyrannisch geführten Ölnation, die an Russland und den Iran grenzt, stattfinden soll, habe ich mir umgehend einen Flug gebucht, um die wohl paradoxeste Pop-Party genauer zu untersuchen.
 
Beim Anflug auf Baku überquert man Neft Daşları—die weltweit erste Bohrinsel. Es macht einem sofort wieder deutlich, dass das Öl und Erdgas, welche hier zum Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden, weiterhin das Schicksal des Landes bestimmen.
 
Es sind die Einnahmen, die durch diese natürlichen Ressourcen kommen, die zum Wirtschaftsboom der früher Zwanziger geführt haben und schlussendlich zur sowjetischen Besatzung. Seit der Unabhängigkeit 1991 ist es nun der Aliyev-Clan, der vor allem vom Reichtum des Landes profitiert. Dennoch ist mittlerweile klar geworden, dass die Wirtschaft des Landes nicht endlos auf Öl bauen kann, was Aliyev Junior, den amtierenden Präsidenten, dazu bewegte, die Landestore auch internationalen Besuchern zu öffnen.
 
Das Land versuchte, sowohl die olympischen Spiele als auch die Fußball-Weltmeisterschaft zu veranstalten, scheiterte jedoch. Nun war Aserbaidschan darauf erpicht, seine Hauptstadt durch andere touristischen Ziele interessant zu machen—die perfekte PR-Veranstaltung, die der Welt zeigen sollte, wie fortschrittlich und westlich Baku geworden ist.

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Nachdem sie bereits zweimal verloren hatten, wollten sie nun unbedingt den Eurovision Song Contest in ihr Land holen. Und letztes Jahr hat es endlich geklappt! Ein Hoch auf Aserbaidschan! Millionen wurden in eine urbane Gentrifizierung, ein schickes neues Stadion, Hotels, Häuserblöcke, die aussehen wie Flammen, und die größte Flagge der Welt gesteckt! (Und in die Vertreibung von Dutzenden dort lebenden Familien).

Die gegensätzlichen Welten, die einem ins Gesicht schlagen, wenn man in Baku ankommt, lassen sich am besten durch die folgenden zwei Clips zusammenfassen:

Ein staatlich finanziertes Promovideo des modernen Aserbaidschan.

Eine Parodie auf das offizielle Video, gemacht von einem einheimischen Dissidenten. Das Erste, was einem an Baku auffällt, ist das Ufer am Meer. An der längsten Promenade der Welt (wenn sie erst einmal fertig ist), gekrönt von dem Eurovision-Veranstaltungsort, der Crystal Hall, wird immer noch gebaut, genauso wie am Großteil des Stadtzentrums.

Als akkreditierte Mitglieder der internationalen Presse wurden wir schnell zum Pressezentrum, einem separaten Komplex im Schatten der Crystal Hall und dieses kolossalen Flaggenmasts, kutschiert.

Es folgten mehrere Sicherheitskontrollen mit Metalldetektoren und Spürhunden.

Kurz danach, stiegen wir in einen Shuttlebus, und wurden von einem Haufen Militärtypen ins Herz des Song Contest gebracht—eine Halle voller Journalisten, die einer Dauerschleife von ESC-Einspielern zuhörten. Das Ganze war unterlegt mit wunderschönen Bildern davon, wie wunderschön Aserbaidschan ist.

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Nachdem wir unsere Goodie Bags, die raffiniertes Öl von Socar (dem Ölkonzern von Aliyev), ein 3D-DVD-Set über aserbaidschanische Teppichen sowie die neueste EP der österreichischen Teilnehmer Trackshittaz enthielten, durchwühlt hatten, liefen wir rüber zur Crystal Hall, um uns die Kostümproben für das Halbfinale anzusehen.

Die Halle selbst ist von Innen eher unspektakulär und sogar noch weniger beeindruckend, wenn sie mit Ausnahme einer Schar Journalisten, die krampfhaft auf ihren Tastaturen herumhacken, um die Ersten zu sein, die über die Frisuren der estnischen Background-Tänzerinnen zu twittern, komplett leer ist.

Eines der Highlights des Soundchecks und der Langweile Auftritt der russischen Babuschkas.

Sogar das deutsche Sound-Team, das von der Europäischen Rundfunkunion dazu geholt worden war, um die Technik des Events am Laufen zu halten, schien keinerlei Interesse an der ganzen Sache zu haben.

Nach einer dreistündigen Darbietung der Abendshow fuhren wir in die Stadt, um Rasoul zu treffen, den Chef einer Organisation, die sich Sing For Democracy nennt. Er engagiert sich für politischen Wandel in seinem Heimatland, das zwar behauptet, demokratisch zu sein, aber die Oppositionsparteien aus dem Parlament entfernt und sie mit Politikermarionetten ersetzt, die sich der Regierungspartei angleichen.

Wir saßen stundenlang in einem Restaurant etwas außerhalb der Stadt und unterhielten uns bei einem leckeren Essen. Rasoul hat das Interview ständig unterbrochen, um sicherzugehen, dass wir nicht von der Geheimpolizei abgehört werden. Danach sind wir mit einem verwirrten Eindruck von unserem ersten Tag in Baku zurück in die Stadt gefahren. Trotz der vorrangig negativen Presse, die das aserbaidschanische Regime umgibt, waren unsere Erfahrungen am ersten Tag einerseits von freundlichen und hilfreichen Einheimischen geprägt. Andererseits war es schwer, den glänzenden Schein zu ignorieren, der überall in der Stadt in Erwartung der internationalen Presse präsentiert wurde. Doch die Risse zwischen den Fassaden und der Realität waren gut zu erkennen.

Deswegen umschlich uns eine gewissen Beklommenheit, als wir zu unseren Hotel fuhren, um uns auf die Nacht der Entscheidung, das offizielle Eurovision-Chaos und ein Treffen mit dem größten Pop-Star Aserbaidschans, Immobilien-Tycoon und Schwiegersohn des amtierenden Präsidenten vorzubereiten. Das sollte einem die Augen öffnen.

Mehr könnt ihr morgen im zweiten Teil lesen und euch dann in der kommenden Woche das komplette Eurovision-Abenteuer auf VICE.COM anschauen.