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Wirre Welt

​Warum darf die Ex-Sprecherin von Pegida Deutschland immer noch ins Fernsehen?

Kathrin Oertels Auftritt bei Maybrit Illner war eine absolute Fremdschäm-Orgie—und diesmal nicht wegen der Augenbrauen.

Talkshows sind ein bisschen wie die Ehe: Alle sind sich einig, dass das Modell absolut suboptimal ist, aber es ist bis jetzt noch nie jemandem etwas Besseres eingefallen, bei dem man nicht am Ende mit Dieter Bohlen schlafen muss. Also wird halt weiter in Talkshows getalkt, auch wenn es meistens ein bisschen langweilig ist und selten etwas Greifbares herauskommt.

Das führt allerdings dazu, dass man sich als Zuschauer oft wünscht, dass jetzt mal irgendwas total Unerwartetes passiert: Dass irgendjemand aus Versehen so hart die Wahrheit sagt, dass er danach aus seiner Partei ausgeschlossen werden muss, dass die Moderatorin und der Experte plötzlich gleichzeitig starkes Nasenbluten bekommen, oder dass die SPD-Frau dem CDU-Typen auf einmal kichernd Geld in den Kragen stopft. Irgendwas halt, das die Monotonie des abwechselnden Positionverlesens etwas aufbricht.

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Umso interessanter war zu sehen, dass es eine Talkshow tatsächlich noch schlechter macht, wenn mal wirklich etwas schiefgeht. Das konnte man bei Maybrit Illner am Donnerstagabend gut beobachten: Die hatte sich nämlich mit der Ex-Pegida-Frau Katrin Oertel jemanden eingeladen, der hart an der Unzurechnungsfähigkeit entlang schrammt.

Screenshot: ZDF

Dabei fing alles ganz normal an. Die ersten 20 Minuten wurden mit einem mittlerweile fast schon klassischem Talkshow-Spiel verbracht: mit Bernd Lucke darüber diskutieren, wie rechts die AfD ist. Die Diskussion ist natürlich vollkommen sinnlos, aber es ist trotzdem manchmal lustig, weil Lucke sich jedes Mal aufs Neue darauf einlässt und sich jedes Mal aufs Neue herrlich aufregt. Oertel saß still auf ihrem Platz und schaute starr durch ihre Gesichtsmaske, bis Illner das Wort an sie richtete. Und dann brach es aus ihr heraus:

„Das grundlegende Problem, was ich eigentlich hier nennen würde, ist, dass es eigentlich zu viel Propaganda gibt hier in Deutschland", fing sie an, völlig ohne Bezug zu Illners Frage oder irgendwas, über das vorher gesprochen worden war. Man hatte aber auch eher den Eindruck, dass sie gar nicht zuhören konnte—die 20 Minuten hatte sie gebraucht, um sich den Satz zurechtzulegen.

Danach zerfielen ihre Ausführungen dann auch ziemlich schnell, sowohl vom Satzbau als auch von der Aussage. Den Blick konstant auf irgendeinen Punkt auf dem Fußboden gerichtet erklärte sie den Anwesenden, dass der „Herr Goebbels" ja nun tot sei, die Propaganda aber nicht, und dass eben die „Nato-Propaganda" sehr gefährlich sei, weil sie „einfach die Menschen in den Krieg stürzt".

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Die „Machenschaften der Nato" seien auch schuld daran, dass Pegida sich ursprünglich gegen Moslems gerichtet hätte, das sei falsch, das hätte sie jetzt erkannt, weil „die Ursachen natürlich nicht bei den Migranten liegen, sondern die Ursachen liegen bei denen, die die Dinge ins Rollen gebracht haben." Wer „die" sind, konnte sie konkreter aber nicht benennen. Irgendwann zwischendrin gab sie selber zu: „Das ist teilweise so verwirrend, dass die Leute überhaupt nicht mehr wissen, was sie zwischen gut und böse zu unterscheiden haben. Ich hab das ja am eigenen Leib erlebt …"

Da war sogar Augstein sprachlos. Screenshot: ZDF

Die Reaktionen der anderen Talker waren dann auch eher beklommen und mitleidig als hämisch. Selbst die sonst so strenge Yasmin Fahimi von der SPD konnte nur noch „Ich kann nicht wirklich greifen, worum es gerade geht …" dazu sagen, dann einigten sich alle darauf, lieber einfach normal weiterzutalken, als wäre nichts passiert. Aber was war eigentlich passiert?

Weiß auch nicht mehr weiter: Yasmin Fahimi. Screenshot: ZDF

Ganz einfach: Maybrit Illner hatte sich eine waschechte Verschwörungstheoretikerin eingeladen, nur eben eine von der Sorte, die ihre wirren Ideen noch nicht einmal in ganzen Sätzen formulieren kann. Dass Katrin Oertel nach Pegida in die Weltverschwörungskreise von „Pegada" (die „Patriotischen Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes") abgerutscht war, wusste im Grunde jeder, der länger als 2 Minuten auf ihrer Facebook-Seite verbracht hat. Die Redaktion von Maybrit Illner hatte dazu offensichtlich keine Zeit, und so konnte man am Donnerstagabend dabei zuschauen, was passiert, wenn jemand seine aus Facebook-Rants und dem Kopp-Verlag zusammengesetzten Wahnvorstellungen plötzlich auf einer Bühne zu formulieren versucht. Schön ist das nicht.

Man könnte natürlich auch sagen, es sei gut, dass jetzt jeder potenzielle Pegida-Sympathisant sehen konnte, was für eine tief verwirrte Person die sächsische Hobby-Demagogin ist. Eigentlich ist es aber eher traurig um die verschenkte Chance: In der Show sollte es eigentlich um die Entfremdung der Bürger von der Politik gehen, und Oertel war sozusagen als die Vertreterin der entfremdeten Bürger eingeladen worden. Da diese spezielle Vertreterin sich aber eher vom gesunden Menschenverstand entfremdet hatte, hatten die anderen Talk-Profis gar keine Wahl, als sie weitgehend zu ignorieren.

So kam es, dass die Politiker und Jakob Augstein sich gegenseitig sehr ernsthaft versicherten, man müsse die Bürger eben wieder „wahr- und ernstnehmen" (Fahimi), während sie sich alle Mühe gaben, die in ihrer Mitte sitzende Oertel sozusagen schadensbegrenzend zu ignorieren. Die Chance, das spröde Talkformat durch weniger geschliffene Gäste aufzubrechen, hat Maybrit Illner durch diesen Gast jedenfalls spektakulär vertan.