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Sex

Weil ich kiffe, hat mir keiner geglaubt, dass ich vergewaltigt wurde

Sara wurde ausgeraubt und vergewaltigt. Aber weil sie ab und zu mal einen raucht, und Heroinabhängigkeit in der Gegend keine Seltenheit ist, glaubte ihr die Polizei nicht.

Photo von Sara Reedy, 2012

Wenn du denkst, dass Vergewaltigungsopfer nur in Indien von der Polizei wie Scheiße behandelt werden, dann denk noch mal nach. Sara Reedy arbeitete als 19-Jährige in einer Tankstelle an der Kasse, das war in dem kleinen Kaff Cranberry in Pennsylvania.

Eines Nachts öffnete der Serienvergewaltiger Wilbur Brown die Ladentür, er hatte sich Klarsichtfolie um die Finger gewickelt. Er zwang sie nach draußen vor die Tankstelle, wo sie ihn oral befriedigen musste, während sie seine Waffe an der Schläfe spürte. Überwachungskameras gab es keine. Dann ging er mit Sara wieder rein, räumte die Kasse von ungefähr 600 Dollar leer und sperrte sie danach im Hinterraum ein. Er zwang sie, alle sichtbaren Telefonleitungen herauszureißen. Zufälligerweise war unter den Leitungen auch eine, die das notdürftige Sicherheitssystem mit Strom versorgte. Ein Detail, das ihre Aussichten auf Gerechtigkeit später beeinträchtigen sollte.

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Durch den Notausgang konnte Sara entkommen. In der Werkstatt eines Mechanikers nebenan fand sie Zuflucht. Ein LKW-Fahrer im Laden verständigte die Polizei, während ein anderer mit einem Gewehr rausging, um den Angreifer zu suchen.

Was danach kam, war noch schlimmer als das, was bisher geschah—ein absoluter Albtraum. Sara wurde beschuldigt, die Polizei zu belügen. Frank Evanson war der zuständige Polizist, der Sara im Krankenhaus befragte, wo sie sich nach der Vergewaltigung untersuchen lassen musste. Er beschuldigte sie, das Geld selber aus der Kasse genommen und dann den Angriff erfunden zu haben, um alles zu vertuschen. Fünf Tage verbrachte sie im Knast. Danach wartete sie acht qualvolle Monate auf ihren Gerichtsprozess. Gleichzeitig erwartete sie ihr erstes Kind.

Foto von Dougtone

Wilbur Brown wurde einen Monat vor Saras Verhandlungstermin aufgrund eines ähnlichen Verbrechens festgenommen. Er gestand sowohl Reedys Vergewaltigung und den Überfall als auch weitere Vergewaltigungen. Nachdem Sara freigelassen wurde, verklagte sie das Polizeikommissariat in Cranberry. Aber nachdem der Kriminalbeamte Evanson Beweismaterial präsentierte, das zeigte, dass Sara das Netzkabel des Sicherheitssystems der Tankstelle eine Stunde bevor sie angab, vergewaltigt worden zu sein, rausgezogen haben soll, wurde das Verfahren 2009 eingestellt.

Er bezeugte, sie hätte das Netzkabel abgezogen, um 600 Dollar zu stehlen, und die Vergewaltigung nur erfunden, um davon abzulenken.

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Doch es stellte sich heraus, dass der gute Kriminalbeamte die Zeitmarkierung, die anzeigte, wann das Netzkabel entfernt wurde, falsch gedeutet hatte. Er hat auch keinen Experten der Sicherheitsfirma hinzugezogen, der Ahnung davon gehabt hätte. All das kam im August 2010 raus, als Anwälte von Women's Law Project, einer gemeinnützige Organisation mit Sitz in Pennsylvania, anboten, das Gerichtsverfahrens wieder aufzunehmen. Die Folge war, dass Sara letzten Frühling eine Entschädigung von 1,5 Millionen Dollar bekam. Die Entschädigung zog ein Redeverbot mit sich, nach welchem Sara nicht über ihren Fall sprechen durfte. Aber mittlerweile darf sie wieder darüber sprechen—VICE hat sich mit Sara getroffen, als sie für die Weihnachtsferien bei ihren Eltern in Florida war.

VICE: Erzähl mir bitte, was im Krankenhaus passiert ist.
Reedy: Als ich ins Krankenhaus gebracht wurde, war der Polizist, er heißt Evanson, schon da. Die Polizei hat mich in einem Bürozimmer verhört, das normalerweise Krankenschwestern benutzen. Der Raum war sehr klein, wie eine Zelle. Evanson hatte dort auf mich gewartet. Nachdem ich ihm alle Einzelheiten zur Vergewaltigung und dem Mann, und wie ich überfallen worden war, geschildert hatte, war seine erste Frage, wie oft am Tag ich was rauche.

Ich dachte, er redet von Heroin, da es in der Gegend ein Problem damit gegeben hatte. Ich sagte ihm also direkt, dass ich kein Heroin nehme, dafür aber gelegentlich Marihuana rauche, was aber mehr als eine Woche her war. Irgendwann brachten sie mich in ein richtiges Krankenhauszimmer. Doch bevor ich untersucht wurde, kamen Evanson und ein Kollege, Massolino, rein und befragten mich erneut. So musste ich die ganzen Einzelheiten der Vergewaltigung erneut schildern. Im Grunde führte Evanson die Konversation—ich weiß, es kommt etwas plump, aber es kam mir fast so wie dieses „Good Cop, Bad Cop"-Spiel vor, weil Massolino einfach nur da saß. Er hat wirklich keinen Murks von sich gegeben. Evanson hat mich die ganze Zeit ausgequetscht, und schließlich waren wir bei „Wo ist das Geld? Wenn du uns erzählst, was genau passiert ist, könntest du dir damit selber einen Gefallen tun" angelangt. Er sagte sogar, dass mir Tränen jetzt nicht weiterhelfen würden, als ich schließlich zu weinen anfing. Es war wie ein schrecklicher Albtraum.

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Was hast du als Erstes gefühlt, als du gemerkt hast, dass er dich beschuldigt?
Ich habe versucht, mich damit zu beruhigen, dass das alles in Wirklichkeit gar nicht passiert. Ich stand total unter Schock—ich erdachte mir jede mögliche Ausrede, weshalb sich alles klären würde, aber Evanson hat mich wirklich fertig gemacht. Ich hab die ganze Zeit gedacht: „Das kann unmöglich passieren. So etwas wird nicht passieren." Ich habe einfach immer geglaubt, dass Polizisten da sind, um uns zu helfen.

Was glaubst du, wäre geschehen, wenn sie Wilbur Brown nicht gefasst hätten?
Schwer zu sagen. Die Frage wegen des Alarmanlagenkabels war noch zu klären. Der Grund, weshalb mein erster Prozess eingestellt wurde, war, weil das Stromkabel des Sicherheitssystems ausgesteckt worden war. Ein Ausdruck, den Evanson von der Sicherheitsfirma erhalten hatte, zeigte an, wann genau das Kabel ausgesteckt wurde. Aber niemand konnte die Anzeige wirklich lesen und verstehen. Alle haben angenommen, dass Evanson seinen Job gemacht hatte und sich die Unterlagen von der Sicherheitsfirma hatte erklären lassen. Man konnte leicht annehmen, dass das Kabel schon vor dem Überfall gezogen wurde. Tatsächlich habe ich es ausgesteckt, nachdem ich überfallen worden war. Mein Anwalt ging dann zu der Firma, um mit den Mitarbeitern zu sprechen. Zufällig arbeitete der Typ, der die Anlage damals installiert hatte, noch dort. Er erklärte, was die Ausdrucke bedeuteten, und bestätigte meine Version der Geschichte.

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Wow. Gibt es etwas, das du rückblickend bei dem ersten Gespräch mit Evanson hättest anders machen können?
Ich glaube nicht, dass ich nach dem Überfall irgendwas hätte anders machen können. Ich stand völlig unter Schock. Vielleicht hatten die eine bestimmte Vorstellung darüber, wie eine Person nach einem sexuellen Übergriff zu sein hat. Ich war sehr aufgebracht und gleichzeitig wollte ich, dass die diesen Mann fassen. Ich wollte den Polizisten jedes einzelne Detail so schnell wie möglich erzählen, bevor meine Emotionen überhand nahmen. Vielleicht wenn ich super clean und perfekt gewesen wäre und nie gekifft hätte oder so, ob sie mir dann eher geglaubt hätten?

Zweifelten deine Freunde und Eltern deine Version der Geschichte auch an?
Ja, ein paar schon, einfach weil in meinem Freundeskreis auch mal gekifft wurde. Einige haben bestimmt gedacht, dass sie nichts mit mir zu tun haben wollen, wegen der Polizei. Heroin war auch ein Problem in unserer Gegend. Meine Freunde dachten wohl: „Oh, sie nimmt ganz offensichtlich Heroin. Warum sollten ihr Polizisten sonst nicht glauben?" Ich schätze, auch meine Eltern hatten damit zu kämpfen. Meine Eltern hatten nie Probleme mit der Polizei—es kam ihnen nicht in den Sinn, dass die Polizei einen grundlos beschuldigt. Die ganze Zeit über versuchte ich, eine gute Beziehung zu meinen Eltern zu erhalten. Es war aber schwierig. Evanson rief ständig bei uns an und erzählte meinen Eltern, was immer er wollte. Warum hätte er so was getan, wenn ich unschuldig wäre? Sie waren wohl etwas zerrissen.

Was würdest du denen alles heute gerne sagen?
Lange Zeit verfolgte ich mein Verfahren nur aus Ärger, und weil ich der Polizei „Fickt euch!" sagen wollte. Und das war der Grund, warum ich mich dazu entschieden habe, sie anzuklagen. Wenn die Polizei etwas daraus lernen könnte, dann, dass die Anwälte der Opfer eng mit der Polizei zusammenarbeiten. Sie bemühen sich, dass Beamten die Opfer interviewen, die vorher darin trainiert wurden. So dass Vorurteile und Vorstellungen, wie sich ein Vergewaltigungsopfer zu verhalten hat, nicht die Untersuchungen der Polizei beeinträchtigen. Aber im Grunde ist das Wichtigste, dass ich meine Geschichte öffentlich mache.

Wie fühlt es sich jetzt an, ein Gesicht der Frauenrechtsbewegung zu sein?
Es ist schwer zu begreifen. Ich sehe mich selber nicht wirklich als Feministin, aber ich habe eine Tochter, eine Mutter und eine Schwester. Ich will, dass keine von ihnen da durch muss.

Du hast acht Monate voll von Angst und Terror erlebt. Wie fühlt es sich nach all dem an, 1,5 Millionen Dollar zu bekommen? Macht es überhaupt einen Unterscheid?
Ganz ehrlich, das ist wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die acht Monate haben sich wie acht Jahre angefühlt. Und dann hörte es nicht einfach auf. Das Polizeikommissariat von Cranberry hat so ziemlich alles getan, um mich fertig zu machen. Sie hatten eine Ausrede für alles, was sie mir angetan haben. Sie haben alles Mögliche aus meiner Vergangenheit aufgespürt, das sie dazu verwendet haben, ihre Meinung über mich zu verfestigen. Sogar Evanson bleibt bis heute dabei, dass ich 200 Dollar genommen habe, weil Wilbur Brown nur zugegeben hat, 400 Dollar gestohlen zu haben. Und Evanson hat sich dabei gedacht: „Warum sollte er nur 400 Dollar nehmen und nicht 600? Er gibt ja alle anderen abscheulichen Taten zu." Ich kann mir nicht erklären, warum Evansons so gehandelt hat.

Was denkst du darüber, dass Detective Evason noch immer einen Job hat?
Viele Leute bei McDonald's wurden gefeuert, weil sie weitaus weniger verbrochen haben. So denk ich darüber.