Wenn du nicht wählst, kannst du auch gleich die AfD wählen

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Wenn du nicht wählst, kannst du auch gleich die AfD wählen

Spring über deinen Schatten, geh wählen und sorg dafür, dass der Triumph der Rechten ein bisschen kleiner ausfällt.

Illustration: Sarah Schmitt

Erstmal Folgendes: Ich habe schon lange nicht mehr gewählt. Weil die Parteienlandschaft mich nicht anspricht, weil ich eigentlich nicht unbedingt ein System unterstützen will, das mir nicht 100% gefällt, und weil das Ganze auch einem Teufelskreis gleichkommt, da es ohne Wahlpflicht immer einen großen Prozentsatz von Nichtwählern geben wird, der von Leuten regiert wird, die gewählt haben.

Und ja, ich kenne die ganzen Argumente, die gegen das Nichtwählen sprechen: Wählen als Bürgerpflicht, Aushöhlung der Demokratie, „dann darfst du dich auch nicht beschweren", etc. pp. Diese ganzen Argumente überzeugen mich nur bedingt. (Ich kann mich immer beschweren. Über alles!)

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Ein Argument, das mich aber überzeugt, ist die AfD. Nicht nur die Personalien, vor denen es einen gruseln kann, oder die plakativen Inhalte (Homophobie, Antifeminismus, Rassismus), oder die offensichtliche Nähe zu NPD, Pegida und anderen unappetitlichen Gruppen, sondern auch das, was dann noch alles unter der Oberfläche wartet. Sei es das Leugnen der Erderwärmung, die Forderung nach noch geringeren Hartz-IV-Sätzen, der Plan, Einfluss auf die Presse, den Kulturbetrieb und die Wissenschaft zu nehmen, und so weiter.

Überraschenderweise ist der Effekt, den Nichtwähler auf die Stimmverteilung und die Demokratie als solche haben, nicht ganz klar. Das klassische Argument, dass eine nichtabgegebene Stimme eine Stimme für rechtsextreme Parteien ist, ist nicht so einfach zu belegen, wie man vielleicht denken könnte. Dafür ist die Datenmenge einfach zu groß und variabel. Kleinere Parteien profitieren nicht automatisch von einer geringeren Wahlbeteiligung. Ein Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2013 argumentiert beispielsweise, dass sich nur wenig am eigentlichen Ergebnis ändern würde, wenn alle Parteien wirklich all ihre Wähler mobilisieren könnten—lediglich die Anzahl der abgegeben Stimmen wäre größer. Forsa-Chef Manfred Gülner erklärt dagegen auf Spiegel Online: je mehr Menschen nicht wählen, desto mehr Gewicht habe jede Stimme für rechts.

Der AfD scheint es aber zu gelingen, bisherige Nichtwähler zu aktivieren, im Gegensatz zu den etablierten Parteien, die immer mehr Wähler verlieren. Bei der Bundestagswahl 2013 zum Beispiel schaffte es die AfD in ostdeutschen Ortschaften mit vorher geringer Wahlbeteiligung, ehemalige Nichtwähler für sich zu gewinnen. Das heißt, ehemalige SPD-Wähler resignieren und wählen nicht mehr, also gehen bürgerliche Stimmen verloren. Einige Nichtwähler fühlen sich aber von der AfD angesprochen und stimmen für sie ab.

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Wenn Parteien wie die AfD in diesem Land an Macht gewinnen, ist das für niemanden schön, weder für Frauen, LGBT*-Menschen, Migranten, Flüchtlinge, Nichtdeutsche, Menschen, die sich für die Umwelt interessieren, für eine freie Presse und generell alle anderen, die auch nur einen Funken Mitgefühl und Anstand haben. Vor allem in Sachsen-Anhalt wird die AfD vermutlich gut abschneiden und das wird diese Leute noch ermutigen. Jede Stimme für eine andere Partei ist eine Stimme, die die AfD nicht hat. Auch wenn man sich was Schöneres vorstellen kann, als den Sonntag mit Wählen zu verbringen (was ja nicht mal der Fall ist, es dauert weniger als eine Stunde), kann man damit zumindest einen kleinen Beitrag leisten.

Wie wäre es also mit diesen Vorschlägen:

Wenn du ein Nichtwähler bist, der sich von der AfD angesprochen fühlt, dann bleib doch einfach Nichtwähler. Triff dich am Sonntag mit Freunden und mach dir einen schönen Tag.

Wenn du nicht wählst, weil du zu faul bist oder deinen Tag lieber in der sachsen-anhaltinischen, baden-württembergischen oder rheinland-pfälzischen Version des Berghains verbringen willst, aber grundsätzlich dazu tendieren würdest, eine Partei zu wählen, die lieber nicht auf Flüchtlinge schießt, dann reiß dich ausnahmsweise zusammen und geh einfach trotzdem wählen.

Wenn du findest, dass das politische System in Deutschland Probleme hat, dass die Parteienlandschaft keine Antwort bietet auf Rassismus, Homophobie, Armut und Bildungsnotstand (und glaub mir, ich kann dich verstehen), dann spring über deinen Schatten. Weder wird deine nichtabgegebene Stimme das Ende des Kapitalismus einläuten, noch wird dir ein Zacken aus der Krone brechen, wenn du einen winzigen Teil dazu beiträgst, dass die Wahlparty von Frauke Petry ein bisschen weniger triumphal ausfällt.