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Wie du die EM überstehst, ohne Ahnung von Fußball zu haben

Mit diesem einfachen Drei-Schritte-Programm wird euch niemand für einen verachtenswerten Event-Fan halten.
Foto: Cha già José | CC 2.0

Foto: Cha già José | Flickr | CC 2.0

Seien wir ehrlich zueinander (und uns selbst): Sportliche Großveranstaltungen, die sich dazu noch über mehrere Wochen hinstrecken, sind ziemlich anstrengend. Wer nichts verpassen, aber gleichzeitig auch nicht seinen Job/seine Familie verlieren möchte, muss ein absoluter Meister des Zeitmanagements sein. Wer sich so gar nicht dafür interessiert, leidet einfach vor sich hin und hofft, dass die jeweilige Nationalmannschaft so schnell wie möglich ausscheidet. Das macht die allgemeine Hysterie nämlich ein bisschen erträglicher—und es sieht ziemlich lustig aus, wenn weinenden, betrunkenen Menschen die landesfarbene Schminke übers Gesicht läuft.

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Wirklich glücklich sind eigentlich nur die, die eine Ausrede brauchen, um sich im Kreise ihrer Lieben ordentlich zu betrinken. Eine Art sozialen Kleber, der Anlass gibt, sich mal wieder zusammenzusetzen, ohne die ganze Zeit miteinander reden zu müssen. Fußball ist dazu perfekt: Die Grundregeln ("Das Runde muss ins Eckige") sind einfach zu verstehen. Wenn man mal einige Minuten mit irgendetwas Besserem beschäftigt ist (Instagram/Grillen/beidseitiger Oralverkehr), verpasst man in aller Regel nichts. Man kann dem Ganzen sowieso nicht entgehen und sich einfach direkt damit abfinden, Marcel Kollers Gesicht jetzt sogar in Werbungen zu sehen—und: Absolut jeder kann so tun, als würde er sich mit dem Scheiß auskennen.

Ihr wollt also die verbleibenden Wochen der EM nicht nur irgendwie überstehen, sondern euch den Respekt der "richtigen" Fußballfans sichern und aus dem Moloch der Event-Fans erheben, die wahllos mit Fähnchen wedeln und kreischen, sobald IRGENDETWAS passiert? Kein Problem. Wir haben da ein leicht verständliches Drei-Schritte-Programm vorbereitet.

Die wichtigsten Sätze

Das Schöne ist: Die meisten haben selbst nicht so richtig viel Ahnung von Fußball—oder zumindest nicht die Expertise, um den Spielaufbau tiefergehend zu analysieren. Noch schöner: Das muss man auch gar nicht haben. Fußball ist schließlich ein Spiel, dass man als reiner Zuschauer auch mit drei Promille in der Fankurve noch absolut problemlos auf die Reihe bekommt. Das, was Fußballspieler und -trainer sagen, klingt nicht deswegen so inhaltsleer und flach, weil sie alle dumm sind. Es klingt so, weil Fußballrhetorik im Allgemeinen zu 90 Prozent aus austauschbaren Plattitüden besteht, die man einmal verinnerlichen muss und dann beliebig einsetzen kann. Egal, wer gerade spielt.

Mehr lesen: Fußballfans, die jeder hasst

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"Chancen bringen nichts, wenn man sie nicht verwandelt!", könntet ihr zum Beispiel weise nickend in euer Bierglas murmeln, um dann anzumerken, dass es zwar wichtig ist, bei großem Rückstand in die Offensive zu gehen, die jeweilige Mannschaft gleichzeitig aber aufpassen muss, dass sie dadurch nicht die Defensive vernachlässigt. Wilde Mutmaßungen darüber, ob es sich um Abseits gehandelt hat oder nicht, gehen auch immer, setzen aber voraus, dass ihr zumindest eine grobe Vorstellung davon habt, was Abseits ist. Sicherer ist es, sich auf lethargisch aussehende Mittelfeldspieler (achtet im Zweifelsfall auf die Trikotnummer 10) zu konzentrieren und offen in den Raum zu stellen, ob es da nicht an "Spielmacher-Qualitäten" mangle.

Andere Evergreens: "Na ob sich da mal nicht die fehlende Erfahrung rächt!" (bei einer jungen Mannschaft), "Standardsituationen sind immer schwierig" (lasst bewusst offen, was genau schwierig ist) und "Den hätte er verwandeln müssen!" (geht zugegebenermaßen nur, wenn sich die betreffende Person in ungefährer Tornähe befunden hat). Es lohnt sich, mit zunehmendem Alkoholpegel etwas kreativer zu werden, schließlich hört euch dann sowieso niemand mehr so richtig zu. Wichtig bleibt aber, Dinge zu sagen, die so vage und allgemeingültig sind, dass man ihnen gar nicht widersprechen kann. Wer im Endeffekt nichts sagt, kann auch nichts sagen, was falsch ist.

Mimik und Gestik

Beim Fußball gibt es einen grundlegenden dramaturgischen Aufbau mit verschiedenen emotionalen Phasen, die sich nach der Performance "eurer" Mannschaft (sucht euch einfach eine aus. Im Zweifelsfall die, für die die Leute sind, mit denen ihr euch im weiteren Verlauf des Abends nicht schlagen wollt) richtet. In der Regel beginnt ein jedes Spiel mit grundlegender Euphorie. Die ersten Biere werden geöffnet, man plaudert, ist entspannt, noch ist alles offen—deswegen solltet ihr euch die ganz dramatischen Gesten für später aufheben, euch auf euer Kaltgetränk konzentrieren und ganz genau hinhören, was der Moderator in der Vorbesprechung sagt. Den kann man immer zitieren. Geht eure Mannschaft früh in Führung, freut euch, aber nicht zu sehr. Ein lautes "Ja!" ist absolut ausreichend—das ist ein bisschen vergleichbar mit dem Vortäuschen von Orgasmen: Wer es übertreibt, wird unglaubwürdig. Ist euer Team überlegen, behaltet diesen Mindstate (positiv, immer einen Witz auf den Lippen) bis zum Abpfiff bei.

Sollte sich der Gegner von dem frühen Gegenschlag erholen und/oder selbst in Führung gehen, fixiert den Bildschirm, während ihr euch angespannt nach vorne lehnt und euch auf euren Oberschenkeln abstützt. Jetzt ist nicht die Zeit für Plattitüden, sondern nur für ein dramaturgisch perfekt gesetztes, scharfes Lufteinziehen (wenn der Gegner sich vor eurem Tor befindet), oder ein wütendes "Geh komm!" mit Klatschen auf die Knie, wenn euer Stürmer die fünfte große Chance verhaut. Scheint alles ganz aussichtslos, konzentriert euch darauf, innerlich tot auszusehen. Sagt gar nichts mehr, trinkt nur. Die richtig großen Emotionen, die man immer in diesen TV-Zusammenschnitten sieht, die mit Bourani-Mucke unterlegt werden, wo Menschen weinen und sich in die Arme fallen, kommen nämlich nur dann zum Einsatz, wenn die Gruppenphase überwunden ist und es wirklich um etwas geht.

Outfit:

Fußball ist eine Achterbahnfahrt der Emotionen und dramatisch genug. Übermäßig viel Merchandise in ihren jeweiligen Landesfarben tragen nur verkappte Rechte, Event-Fans oder Menschen, die komplett die Kontrolle über ihr Leben verloren haben (beispielsweise eine Mischung aus den vorherigen beiden Kategorien). Das mag für einen Besuch im Stadion angemessen sein (wer mehrere hundert Euro für eine Karte bezahlt, ist wahrscheinlich auch zum Tragen von landesfarbenen Intimperücken bereit. Bei einer Public-Viewing-Veranstaltungen oder im Garten der Nachbarn lässt einen das allerdings schnell verkleidet aussehen. Und wisst ihr, wer sich zum Fußballschauen verkleidet? Event-Fußballfans! Setzt auf Understatement, beschränkt euch—wenn es denn sein muss—auf einen Fanartikel und konzentriert euch ansonsten auf das, was wir eben schon geübt haben: Das richtige Maß an Emotion zur Schau stellen und eine Phrase nach der anderen raushauen. Wenn Männer mit dem Wortschatz eines 10-Jährigen das können, könnt ihr es schon lange (#sorrynotsorry, Lothar M.).

Sollten alle Stricke reißen: Die nächste sportliche Großveranstaltung kommt bestimmt. Bis dahin könnt ihr lernen, Abseits mit Bierflaschen zu erklären—der ultimative Trick, um Hardcore-Fußballfans abzuschleppen. Keine Ursache.

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