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Wie du es schaffst, Leute einzuschüchtern!

Wir haben einen Schutzgeldeintreiber, einen Drogendealer, eine Türsteherin und Moskau Inkasso nach Tipps gefragt.

Kannst du dich noch an deine früheste Schulzeit erinnern? An den Jungen, der allen anderen Kindern auf dem Schulhof das Leben zur Hölle machte? Er war meistens einen bis zwei Köpfe größer als der Rest, wog locker 10 Kilo mehr und hatte in jeder Pause einen neuen Kopf im Schwitzkasten.

Mein Bully hieß Christoph. Ich erinnere mich, wie er einmal einen Jungen aus dem Fenster warf. Der Raum war im Erdgeschoss, keine Sorge. Er hob den kleinen Burschen hoch und kurz bevor er ihn ins Freie entließ, gab er ihm folgenden Text mit auf den Weg: „Das nächste Mal fliegst du vom Dach."

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Damals glaubte ich, nur so lange durchhalten zu müssen, bis Christoph von der Schule fliegt, was er in der dritten Klasse auch tat. Aber trotz neugewonnener Freiheit ahnte ich, dass die soziale Tyrannei vermutlich nie so wirklich enden würde. Und tatsächlich. Ob es ein sadistischer Polizist bei der Verkehrskontrolle, dein Chef oder ein betrunkener Zwei-Meter-Typ in der Bar ist, dem deine Visage nicht passt und der dir deshalb die Scheiße aus dem Leib prügeln will: Die Welt hält genug Arschlöcher für uns alle bereit.

Ich wollte nun wissen, wie man diesen Arschlöchern am besten begegnet. Deswegen habe ich mich mit einem Schutzgeldeintreiber, einem Drogendealer, Moskau-Inkasso und einer Türsteherin darüber unterhalten.

Dragan, Schutzgeldeintreiber

Das ist Dragan. Er ist 40, viel rumgekommen und hat eine Menge gesehen. Um die Jahrtausendwende fand er in Frankfurt seinen Heimathafen. Seit Jahrzehnten schult er sich in diversen Kampfsportarten und kommt der Bezeichnung „Maschine" so nah, wie ihr ein Mensch nur kommen kann. Ein Mann mit vielen Talenten, spezialisiert auf Schutzgeld.

VICE: Gibt es ein Verhalten oder eine Haltung, die selbst auf dich noch Eindruck macht?
Dragan: Klar, es ist die Selbstsicherheit bei einer Drohung. Und diese Ernsthaftigkeit, die derjenige dabei ausstrahlt.

Kann man das erlernen?
Meiner Meinung nach nicht. Das hast du in dir drin, in diesen kritischen Momenten. Es ist sehr schwierig zu lernen, „spontan richtig" auf eine Situation zu reagieren. Sich entweder passiv oder aktiv zu verhalten. Das hast du oder hast es nicht.

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Und Mut kannst du auch nicht lernen. Bei manchen grenzt das fast schon an Verrücktheit. Zum Beispiel ein Kollege von mir. Er ist im Grunde kleinwüchsig, hat den Körperbau eines Jungen, aber jeder fürchtet ihn. So was Furchtloses habe ich selten erlebt. Er ist auf eine geladene Pistole gelaufen und hat geschrien: „Schieß! Schieß!" Der Kerl am Abzug hat nicht geschossen. Mein Freund hat ihm die Waffe weggenommen und als er sah, dass es bloß eine Gaspistole war, schoss er ihm das ganze Magazin ins Gesicht.

Ein anderer Freund ist mit sechs Jungs vor einer Kneipe auf zwei Rocker losgegangen und die Sieben haben trotzdem eine böse Abreibung kassiert. Zusammen waren die zwei Rocker vier Meter groß und haben den Haufen regelrecht kaputtgeschlagen. Und was macht mein Kumpel, der 50-Kilo-Mann? Er hat sich mit gebrochener Nase und gebrochenem Arm ins Auto geschleppt und hat die Rocker überfahren. Und rückwärts auch noch mal. Ein verrückter Mensch.

Wenn so was Außenstehende sehen und an zehn Personen weitererzählen, dann wird bald jeder von ihm eingeschüchtert sein, weil er weiß: „Der Typ ist klein, 1,60m, aber er würde mich nie in Ruhe lassen, ich müsste ihn töten, sonst kommt der immer wieder, und immer wieder, egal wie groß ich bin." Und deswegen haben auch 130-Kilo-Männer vor solchen kleinen 50-Kilo-Zecken Angst. Die haben Angst, weil sie vom Charakter einfach nicht solche Menschen sind. Die wollen ihre Ruhe haben. Die verteilen Schellen, kriegen ab und zu selbst eine, und das ist OK, damit können sie leben.

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Ist es für jemanden wie mich möglich, sich Furchtlosigkeit anzueignen?
Schwere Frage. Ich kann dir nur so viel sagen: Ich habe schon in der sechsten Klasse Neuntklässler vor den Brustkorb getreten, als sie versuchten, mich in den Schrank zu sperren. Hat mir keiner beigebracht.

Adrijan (Dealer)

Ich lernte Adrijan vor Jahren über Freunde kennen. Nach ein paar gemeinsamen Abenden stellte sich heraus, dass der Kerl ein respektabler Dealer in Stuttgart ist. Kein Pate des Medellin-Kartells, aber seine Einnahmen reichen aus für ein schnittiges Loft plus ein paar andere Annehmlichkeiten. Wenn man so will, ist Adrijan mehr ein findiger Geschäftsmann als der klassische Schläger.

VICE: Wie wichtig ist Menschenkenntnis, wenn man sich gegen andere behaupten will?
Adrijan: Sehr. Schon als kleiner Junge konnte ich dir in wenigen Sekunden sagen, ob jemand ein Opfer oder ein Täter ist. Ich wusste dann, ob ich der Person eine zentrieren kann und die Sache erledigt ist oder ob ich meine Strategie anpassen muss und dann psychologische Gewalt ausüben muss. Wie z.B. lauter werden.

Was sollte ich demnach vermeiden, wenn ich Stärke demonstrieren will?
Einen unsicheren Blick. Mit den Augen in der Gegend umherirren. Und vermeiden, nach unten zu schauen. Ich glaube, die Gefährlichsten sind ohnehin die, die nicht mit Emotionen kommen. Und die gar nicht kommunizieren. Also wenn diese Ebene komplett abgeschaltet ist. Jemand, der sich total unbeeindruckt zeigt und bei dem du einfach keine Ahnung hast, was der empfindet oder was er fühlt.

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Überhaupt läuft sehr viel über die Schiene der Angstlosigkeit ab. Einer, der keine Angst hat, strahlt eine komplett andere Sicherheit aus. So kommt er erst gar nicht in die Situation, sich beweisen zu müssen—oder nur selten.

Kann man diese Furchtlosigkeit antrainieren?
Soll ich dir mal was verraten? Das klingt albern, aber ich versuche, zumindest einmal im Jahr Bungee springen zu gehen [lacht]. Ich stehe oben, schaue nach unten, kämpfe mit meiner gesamten Angst bis zu dem Augenblick, wo ich vollkommen angstfrei bin und dann springe ich. Ob du in einer Situation Angst bekommst oder nicht, das kannst du vielleicht nicht steuern, aber wie du mit der Angst umgehst, wenn sie da ist, das geht.

Angenommen du bist in einer Bar und hast Stress mit einem Typen. Was müsste er abziehen, um dich einzuschüchtern?
Irgendwas Extremes. Zum Beispiel so ein Switch: Kurz ein zweites Gesicht zeigen, raus aus der Stimmung, die man hat, in eine ernstere oder extremere Stimmung. Was Schizophrenes. So was ist ein richtiger Motherfucker-Move. Bei so einem Typen weißt du einfach nicht, was der macht. Der kann morgens an deinem Fenster stehen. Harvey Two-Face.

Hast du schon mal jemandem bewusst Angst eingejagt?
[lacht] Manchmal hat man Leute, die nicht zahlen. Weißt du, was ich früher gemacht habe? Ich rief die Leute auf dem Telefon an und ließ im Hintergrund albanische Musik laufen, ohne etwas zu sagen und legte dann auf. Besonders bei Kiffern funktionierte das gut.

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Moskau-Inkasso, Schuldeneintreiber

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Schuldeneintreiber sind Experten im Umgang mit Furcht. Täglich blicken sie in blasse Gesichter, wenn sie in voller Montur morgens um 08:00 Uhr klingelnd auf Fußmatten stehen und die Leute von ihrem Knuspermüslifrühstück reißen. Anderseits wissen sie oft nicht, was für ein Creep ihnen die Tür aufmacht. Wir sprachen mit den Jungs von Moskau-Inkasso. Unter den legalen Inkasso-Unternehmen werden sie zu den härtesten „Verhandlungspartnern" gezählt.

VICE: Könnt ihr uns ein paar Tipps geben, wie man souveräner oder etwas furchteinflößender wirken kann, wenn man angemacht wird?
Moskau-Inkasso: Grundsätzlich ist es wichtig, dass man sich nicht beeindruckt zeigt, sondern selbst Stärke durch Blickkontakt und Körpersprache ausstrahlt—das wirkt immer. Es sei denn, Alkohol ist mit im Spiel. Ein Betrunkener ist immer etwas Unkontrollierbares. Am besten aus dem Weg gehen. Normale Taktiken nutzen dort nichts, Alkohol blendet. Auf der anderen Seite ist ein Betrunkener auch kein guter Kämpfer. In allen Fällen ist ein sicheres Auftreten wichtig, auch wenn man noch so klein ist, das schafft eine gewisse Autorität.

Wovor habt ihr Angst?
Wenn man nicht abschätzen kann, ob Waffen im Spiel sind.

Schon mal eine heikle Situation elegant „entschärft"?
Ja, in einer Diskothek. Es gab Probleme, weil einer von uns einer Gruppe von Eishockeyspielern den freien Blick auf die Tanzfläche „verstellt" haben soll. Als er merkte, es könnte hangreiflich werden, drehte er sich um und sagte sehr bestimmend: „Wenn Sie mich weiter in meiner Ermittlung beeinträchtigen, lasse ich Sie abführen." Und damit war Ruhe! Die konnten die Situation nicht mehr einschätzen.

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Na also. Es muss nicht immer die grobe Kelle sein. Eine überzeugende Story und etwas Mut ziehen auch.
Vollkommen. Wir hatten da mal einen Fall: In der Villa hauste eine Gruppe von „Wohngemeinschafts-Aktivisten", die unser Kunde einfach nicht heraus bekommen konnte. Er hat alles versucht. Wir sind dann mit drei Motorrädern vorgefahren (die Fahrer in entsprechender Kluft). Zwei blieben auf ihren Motorrädern sitzen—laufender Motor. Einer ging an die Tür und sagte den zwei Bewohnern, die die Tür öffneten: „Wir sind die Nachmieter, wann seid ihr hier raus?" Stotternd wurde geantwortet: „Am Wochenende." Und so war es dann auch. Es gab keine Drohung, was reichte, war bloße Fantasie.

Flora, Türsteherin

Flora gehört zu den erlesenen Geschöpfen, die über dein nächtliches Schicksal entscheiden können, wenn du in der Bundeshauptstadt feiern willst. Sie macht die Tür in einem bekannten Berliner Electroclub, was bisweilen Fingerspitzengefühl verlangt, vor allem wenn sie Leute abweist.

Wie ist es so, eine ganze Nacht lang über das Los von vielen tanzfreudigen Menschen zu verfügen? Hast du manchmal Angst, dass verschmähte Gäste plötzlich abdrehen?
Flora: Ja, das ist gar nicht so ein toller Job, wie sich das manche Leute vorstellen. Du musst schon ein Arsch sein, wenn es dir Spaß macht, Leute wegzuschicken, die vorher zwei Stunden in der Schlange standen. Und weil das so frustrierend ist, stellen vermutlich auch deshalb immer mehr Clubs Frauen an die Tür, weil es für die Jungs nicht so schlimm ist, wenn ein Mädel ihnen freundlich sagt „Sorry, aber heute geht es leider nicht", als wenn es ein grimmiger Typ tut.

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Aber auch als Frau musst du dir ein dickes Fell aneignen. Bereits in meiner ersten Schicht kamen mir Texte wie „Fick dich, fick dich, du Hure!" angeflogen. Eine Kollegin wurde sogar angespuckt. Die Bandbreite an Reaktionen ist da riesig. Erst neulich hatte ich einen sehr besonnenen Niederländer, der im ruhigen Ton zu mir sagte: „I hope when you come to The Netherlands, the people treat you like shit. Just like you treated us." Dann ging er einfach.

Classy move. Siehst du bereits in der Schlange, dass womöglich jemand stressen könnte?
Ja. Das sind häufig so schmierige Typen mit zurückgelegten Haaren, weit aufgeknüpftem Hemd und am besten noch Barbour-Jacke und Mokassins.

Der Münchner P1-Prototyp also. Und wenn du weißt, dass es zu Stress kommen könnte, wenn die Jungs gleich abgewiesen werden, was für eine Taktik fährst du da?
Ich versuche, einen gewissen Ernst und Autorität auszustrahlen. Gerade machen, durchatmen. Natürlich hilft auch, dass ich kein kleines Mäuschen bin und mit den ganzen Tattoos und Piercings ein gewisses Erscheinungsbild habe. Aber zu Beginn hatte ich an der Tür trotzdem Probleme, den Leuten ins Gesicht zu schauen und „Nein" zu sagen. Da habe ich eher auf den Boden geblickt und ihnen den Weg rausgewiesen, aber das fand ich unfreundlich. Jetzt schaue ich ihnen direkt in die Augen und sage höflich, dass es für sie leider nichts wird.

Aber das muss man echt lernen. Es ist der kritischste Moment, den Leuten direkt ins Gesicht zu sagen, dass sie nicht reinkommen. Meistens kommt die Frage „Warum?" hinterher. Aber da kommen die Leute am besten mit klar, wenn man ehrlich zu ihnen ist und sagt, woran es liegt.

Das klappt natürlich nicht immer, aber selbst wenn die Leute abgehen, versuche ich immer noch, ruhig zu sein, weil zusätzliche Aggressivität die Stimmung noch weiter aufstachelt. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann bin ich in der zugegeben komfortablen Lage, unsere Jungs rufen zu können und dann ist das Ganze schnell erledigt.

Die sind natürlich nicht immer zur Hand. Hast du Schiss, dass dich irgendwann jemand auf der Straße erkennt, den du mal abgewiesen hast?
Darüber habe ich echt nachgedacht. Mir ist mal passiert, dass die Bedienung in einer Bar super freundlich zu mir war und ich zuerst nicht wusste warum. Und dann fiel es mir ein: „Ah ja, die haste doch gestern Abend reingelassen."

Aber doch. Man macht sich schon Gedanken, vor allem weil unter den Abgewiesenen auch die Leute sind, die wegen ihres Aggressionspotentials nicht reinkommen. Jetzt mal unabhängig vom Club gesprochen: Ich bin vor Jahren hier in Berlin nachts vom Kino gekommen und da haben mich plötzlich vier Typen gepackt und mir mit einem Messer meine Bluse aufgerissen.

Fuck.
Aber in solchen Fällen hilft kein Kalkül mehr, im Sinne von „Wie jage ich wem Furcht ein?" Da übernehmen die Instinkte und die Angst. Dem einen Typen habe ich in die Eier getreten und ziemlich gut getroffen, dann habe ich aufgeschrien, was die Anderen kurz erschreckt hat, und dann versuchte ich, zur nächsten U-Bahn-Station zu laufen. Mein Zeug habe ich einfach liegen lassen und zum Glück waren da zwei Jungs, die mir geholfen haben, mich zur Station zu bringen.

Also, wenn du mich fragst, was man in kritischen Situationen machen soll, würde ich sagen: Bis zu einem gewissen Punkt trotz aller Provokation ruhig und freundlich bleiben, aber irgendwann muss man selbst aggressiv werden und sich wehren.

Das klingt doch nach einem guten Schlusswort. Danke für das Gespräch Flora.
Gern.