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Wie du Flüchtlingen helfen kannst, ohne dich zum Trottel zu machen

Der VICE-Guide zu funktionierender Flüchtlingshilfe.
Foto: Imago/Zuma Press​

In den vergangenen Tagen sind immer mehr Flüchtlinge vor allem von Ungarn und Österreich aus nach Deutschland gekommen. An deutschen Bahnhöfen reihen sich Tausende freiwillige Helfer auf, um die Ankommenden freundlich zu begrüßen. Viele spenden Kleidung und Essen oder versuchen, auf andere Art und Weise zu helfen. Dabei kann man allerdings einiges falsch machen. Wir geben dir ein paar Anregungen, wie du Flüchtlingen auch über diese paar Tage hinaus helfen kannst, ohne dich zum Trottel zu machen.

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Freundlicher Empfang

Tausende Flüchtlinge sind in den letzten Tagen mit Zügen aus Österreich an deutschen Bahnhöfen angekommen und wurden dort von klatschenden und singenden Menschen begrüßt. Das ist nicht schwer und kostet nicht viel Überwindung. Für die ankommenden Flüchtlinge ist das zwar nur eine Geste, aber ein sehr schöner Kontrast zu dem, was viele von ihnen bei ihrer Reise durch Ungarn erlebt haben. Gerade weil viele Flüchtlinge auf ihrer Reise traumatisierende Erfahrungen machen, solltest du ein paar Dinge beachten, wenn du Flüchtlinge am Bahnhof begrüßt: Kämpferische Parolen gegen das rassistische Schweinesystem mögen auf Demonstrationen sinnvoll sein (wenn die nicht gerade vor einer Flüchtlingsunterkunft stattfinden), sind aber nicht unbedingt das beste Willkommenssymbol. Von der Parole „Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall" werden die meisten frisch in Deutschland ankommenden Flüchtlinge nicht viel verstehen. Ein fröhlich gesungenes „Refugees are welcome here" hat sich an den meisten Bahnhöfen durchgesetzt und funktioniert auch ohne ausführlichen Gesangsunterricht.

Gut gemeint vs. Gut gemacht

Als in der vergangenen Samstagnacht mehr als 1.000 Flüchtlinge am Dortmunder Hauptbahnhof erwartet wurden, sind viele Menschen nicht nur zur Begrüßung gekommen, sondern haben ganze Berge an Sachspenden mitgebracht. Am Ende wurde so viel gespendet, dass die Sammelstelle vollkommen überfüllt war und die Helfer mehrere Tage zum Sortieren brauchten. Dabei ist auch einiges zusammen gekommen, das nicht besonders hilfreich ist. „Hier kommen Leute an, die eine halbe Weltreise hinter sich und in Ungarn teilweise 15 Tage im Knast gesessen haben. Da geht es erstmal darum, die mit dem Nötigsten auszustatten", sagt Anna, die die letzten Tage mit dem Sortieren von Spenden verbracht hat. „Schmuck, Haushaltswaren und Dekoartikel brauchen die erstmal nicht. Hier wurden sogar Gardinen abgegeben. Cool ist es aber, dass einige muslimische Familien auch daran gedacht haben, Kopftücher zu spenden." Vor allem sollten Kleiderspenden gewaschen und tragbar sein. „Es hilft absolut nicht, wenn wir noch dreckige, fleckige und kaputte Kleidung aussortieren und entsorgen müssen. Da darf man sich vor der Spende gerne mal selbstreflektiert fragen: Warum gebe ich es ab und würde ich es theoretisch selbst noch anziehen?", meint auch Astrid Cramer, die schon seit Monaten ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in Dortmund organisiert.

Du solltest also zum einen selbst mitdenken und außerdem am besten nachfragen, was gerade gebraucht wird. Dass Spielzeugpistolen und Schlittschuhe nicht die Dinge sind, die frisch angekommene Flüchtlinge dringend benötigen, sollte doch einleuchten, oder?

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Auch bei Essensspenden kannst du einiges falsch machen: „Wenn da Gelatine drin ist, werden muslimische Flüchtlinge das beispielsweise nicht essen", erklärt Fred Weingardt vom Deutschen Roten Kreuz. „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht", sagt er. „Die Lebensmittel müssen vor allem auch eine Weile haltbar sein. Ein Blechkuchen ist natürlich eine tolle Idee, wenn der aber erstmal eine Weile steht, bis die nächsten Flüchtlinge ankommen, wird der schlecht. Selbst gemachtes oder geöffnetes Essen dürfen wir außerdem sowieso nicht weiterverteilen. Das ist zwar lieb gemeint, aber selbst in dieser Krisensituation sind wir an das Lebensmittelrecht gebunden." Fred Weingardt empfiehlt darum vor allem abgepackte und transportierbare Sachen wie Wasserflaschen zu spenden.

Nicht nur bei Spenden hilft es nachzufragen, was gebraucht wird: „Wenn wir in der ersten Nacht 50 Dolmetscher haben, ein paar Tage später aber keinen mehr, bringt das nichts. Wir wollen ja auch eine mittel- und langfristige Hilfe organisieren", sagt Fred Weingardt. Er empfiehlt, sich bei städtischen Freiwilligenagenturen oder Organisationen wie dem Roten Kreuz zu melden. „Wir rufen die Leute dann auch gezielt an, wenn wir sie brauchen." Wenn du also Sprachen wie Arabisch, Farsi, oder Albanisch sprichst, wäre das Dolmetschen übrigens ein super Job für dich!

Flüchtlinge brauchen deine Hilfe nicht nur für ein Wochenende

Du solltest vor allem bedenken: Auch wenn in ein paar Wochen vielleicht keine prall gefüllten Flüchtlingszüge aus Österreich mehr in deiner Stadt ankommen, sind die Flüchtlinge immer noch da. In den meisten Fällen ohne großen Medienrummel und oft in überfüllten Unterkünften mit wenig sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten. Gerade dann wird Hilfe am nötigsten gebraucht. Was Flüchtlingen dort am ehesten hilft? „Geht zu den Leuten hin, seid nett, lernt sie kennen", meint Sam, der selber aus Syrien kommt und eine ganze Weile in einer Sporthalle in Dortmund wohnen musste. „Ein paar Leute haben mich mit in ein Kulturzentrum genommen, sich mit mir unterhalten und mir ein bisschen Deutsch beigebracht. Nach der ganzen Zeit in verschiedenen Camps kam ich endlich aus dieser sozialen Isolation raus und habe Menschen kennengelernt. Für mich war das das Wichtigste."

Du kannst aber auch deine Deutschkenntnisse zur Verfügung stellen und bei Sprachkursen helfen. Bis Flüchtlinge an offiziellen und professionellen Kursen teilnehmen können, dauert es meistens einige Monate. Wenn du also genug Deutsch verstehst, um diesen Artikel zu lesen, bist du für diese Aufgabe geradezu prädestiniert!

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Viele Flüchtlinge brauchen außerdem Hilfe bei Behördengängen oder bei der Wohnungssuche. Um das vernünftig zu koordinieren, empfiehlt Astrid Cramer, „sich genau zu überlegen, wo man helfen will, wie viel Zeit man hat und welche Expertise man vielleicht zur Verfügung stellen kann. Wenn man sich dann bei Flüchtlingshilfsinitiativen, Freiwilligenagenturen oder Wohlfahrtsverbänden meldet, sollte man etwas Geduld mitbringen. Die haben oft erstmal ,existenziellere' Dinge zu tun und müssen viele Anfragen koordinieren."

Zimmer frei?

Hast Du schonmal eine Woche mit zehn Leuten in einem hässlichen Jugendherbergszimmer verbracht? Dann stell dir mal vor, wie es ist, für Wochen oder Monate mit mehr als 100 Leuten in einer Sporthalle zu wohnen. Keinen Bock drauf? Flüchtlinge auch nicht. Mittlerweile gibt es darum die Website „Flüchtlinge Willkommen", die bei der Vermittlung von WG-Zimmern an Flüchtlinge hilft. Auch wenn du kein WG-Zimmer frei hast, machen dich deine Deutschkenntnisse natürlich zu einem perfekten Kandidaten, Flüchtlingen bei der Suche nach einer eigenen Wohnung zu helfen.

Zigaretten statt Spielzeug?

Du bist leidenschaftlicher Raucher (oder einfach nur süchtig)? Du hast schonmal zehn Stunden in einem Zug gesessen, ohne rauchen zu können? Genauso geht es auch vielen Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen. Viele haben erstmal weder Zeit noch Geld, um sich Zigaretten kaufen zu können. Der Jugendpfarrer Lothar König hat deshalb vor Kurzem die Kampagne „Zigaretten statt Spielzeug" gestartet. Er betonte gegenüber den Jenaer Nachrichten, dass die Kampagne nicht kinderfeindlich sei. Die ganzen Erwachsenen könnten aber natürlich wenig mit Spielzeug anfangen. Lothar König hat darum dazu aufgerufen, Zigaretten für Flüchtlinge zu spenden.

Die Möglichkeiten, Flüchtlingen zu helfen, sind also ziemlich vielfältig und in den kommenden Monaten wird es genug Gelegenheiten dazu geben. Die Krisenherde dieser Welt werden sich nämlich voraussichtlich nicht plötzlich beruhigen und vor dem Winter ist nochmal mit mehr Flüchtlingen als bislang zu rechnen. Auch wenn Neonazis und populistische Politiker gerne etwas anderes behaupten: Deutschland wird diese Flüchtlingszahlen mit Sicherheit verkraften und auch dieses ominöse Abendland wird deshalb nicht untergehen. Wie gut das alles funktioniert, hat aber ganz viel damit zu tun, wie sehr sich unsere Gesellschaft dabei engagiert.


Foto oben: Imago/Zuma Press