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Fotos

Die merkwürdigen und wunderbaren Bilder von Magnum-Fotograf Alec Soth

Der amerikanische Fotograf Alec Soth hat ein spezielles Geheimrezept, um gute Fotos zu machen: Er rollt auf dem Rücken herum, anstatt seinen Modellen die Zähne zu zeigen.
© Alec Soth 2015 courtesy MACK

Der amerikanische Fotograf Alec Soth mag es nicht, Celebritys, Motorradfahrer und CEOs zu fotografieren, tut es aber trotzdem ab und zu. Er bezeichnet sich selbst als merkwürdig und verdankt dieser Eigenschaft, dass sich seine Modelle in seiner Gegenwart wohl fühlen.

Soth ist seit 2008 Vollmitglied des internationalen Foto-Kollektivs Magnum Photos, eine der ältesten existierenden Genossenschaften überhaupt. Die Mitglieder haben alle gleichermassen Mitbestimmungsrecht, auch in Bezug auf die Aufnahme neuer Anwärter. Ich wollte von Alec Soth wissen, warum merkwürdige Menschen beliebter sind und wie sich sein Leben seit der Zusammenarbeit mit Magnum verändert hat.

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VICE: Was war deine erste Fotografie?
Alec Soth: Als ich zehn war, machte ich im Sommerlager ein Foto eines Freundes. Das Foto war verschwommen, aber ich war trotzdem stolz. Ich erinnere mich daran, ein ähnliches Gefühl von Stolz zu haben, als ich damit anfing, Schwarzweiss-Filme zu entwickeln und zu drucken. Ich tat das im Sommer 1990, als ich zwanzig war. Damals habe ich am liebsten in der Nacht fotografiert.

Was sind deine Lieblingsmotive?
Meine grösste Faszination ist die Distanz zwischen dem Individuum und der Welt. Bei Kommunikation geht es darum, diese Kluft zu überbrücken. Und Kunst ist eine Art der Kommunikation. Was mich aber am meisten interessiert, sind Kunstwerke, die einerseits verbinden wollen und gleichzeitig daran scheitern. In anderen Worten: Ich bin sehr interessiert an Einsamkeit und Sehnsucht.

© Alec Soth 2015 courtesy MACK

Was sagen deine Lieblingsmotive über dich als Menschen aus?
Leider kann ich die Kluft nicht überbrücken und erfassen, wie mich andere Leute dadurch sehen.

Wie entscheidest du, wer vor deine Linse kommt?
Ich setzte die Wahl meiner Motive mit dem Ausmass körperlicher Anziehung gleich. Wenn du jemanden in einer vollen Bar siehst und ihn attraktiv findest, was ist dann seine Qualität? Es ist eine schwer zu definierende Sache. Manche Gründe für die Anziehung sind kulturell, viele aber sind sehr persönlich. Wenn ich entscheide, jemanden zu fotografieren, baue ich eine anfängliche Anziehung ab, die sehr stark, aber auch sehr schwer, zu artikulieren ist.

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Sagst du deinen Modellen, was sie vor der Kamera tun sollen oder entstehen die Bilder spontan?
Ich würde sagen, dass die meisten meiner Anweisungen vergleichbar mit Anweisungen sind, die man der eigenen Familie geben würde. „Beweg dich ein wenig nach links", „Hör auf zu blinzeln", solche Sachen. Meine häufigste Anweisung ist es, denn Modellen zu sagen, sie sollen stillhalten, wenn ich etwas sehe, das mir gefällt.

Du hast mal gesagt, dass du komisch bist und sich die Leute deshalb in deiner Gegenwart wohlfühlen. Warum ist das so?
Meine Merkwürdigkeit ist, denke ich, eine Form von Verletzlichkeit. Und Verletzlichkeit kann Menschen entwaffnen. Wir sind alle Tiere. Wenn ich dir meine Zähne auf aggressive Weise zeige, schreckst du zurück. Aber wenn ich auf meinem Rücken herumrolle, wirst du mich beschnuppern.

© Alec Soth 2015 courtesy MACK

Warum mag man komische Menschen mehr als „normale"?
Ich würde nicht sagen, dass es eine verbreitete Präferenz ist. Aber wenn man Schicht für Schicht ablegt, sind doch die meisten Menschen komisch. Die meisten sind verletzlich. Diese Verletzlichkeit ist etwas, mit dem ich mich in meiner Arbeit verbinden möchte.

Wen oder was willst du unbedingt noch fotografieren?
Vor Jahren habe ich einen Ausflug in eine kleine Stadt in Alaska gemacht. Dieser Ausflug hat mich verfolgt. Die Bevölkerung der Stadt Nome besteht halb aus Weissen und halb aus Indianern. Als ich dort war, ging die Sonne nie komplett unter. In ein paar Wochen gehe ich noch einmal, in der Hoffnung zu entdecken, was dieser Ort für mich bedeutete.

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Was oder wen willst du auf keinen Fall fotografieren?
Ich wünschte, ich hätte eine triftige Antwort auf diese Frage, aber ich denke nicht, dass es ein spezifisches Motiv gibt, das ich nicht fotografieren will. Es gibt Dinge, die ich lieber nicht fotografiere: Celebrities, CEOs, Motorradfahrer, aber ich scheine sie trotzdem zu fotografieren.

© Alec Soth 2015 courtesy MACK

Was ist dein Lieblingsfoto? Es kann auch von dir sein.
Alle drei sind Fotografien von Fenstern. Robert Frank's „View From A Hotel Window", „Butte Montana", Ed Van Der Elsken's „Apres Ski in der Schweiz", „Gregrory Watching the Snow Fall" oder „Kyoto" von David Hockney.

Was würdest du machen, wenn du nicht Fotograf wärst?
Ich würde gerne ein kleines Online-Geschäft führen, dass merkwürdige, unbrauchbare Erfindungen verkauft.

Was ist der beschissenste Job der Welt?
Kellner.

Wie hat sich dein Leben als Fotograf verändert, seit du Mitglied bei Magnum bist?
Magnum hat mein Bewusstsein für das Medium der amerikanisch-zentrierten, Yale/MoMA-Tradition erweitert. Aber ich habe ein grösseres Verständnis dafür, wie es mich sozial, als wie es mich in meiner Arbeit beeinflusst hat.

Was macht Magnum als Institution besonders?
Magnum ist eine der ältesten Genossenschaften, die existiert. Was sie ausserdem besonders macht ist auch, was sie herausfordernd macht … Zu jeder Zeit gibt es 60 Chefs.

© Alec Soth 2015 courtesy MACK

Du wurdest einmal in London verhaftet. Warum?
Vor Jahren hatte ich den Auftrag, in Brighton zu fotografieren. Nachdem ich in Heathrow gelandet war, wurde ich am Zoll verhaftet, weil ich keine Arbeitsbewilligung hatte. Ich durfte im Land also nichts fotografieren. Aber meine Familie war bei mir. Deshalb hatte ich die Idee, dass meine Tochter die Fotos für mich schiessen könnte.

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Warst du zufrieden mit der Arbeit deiner Tochter?
Absolut. Ihre Fotos waren fantastisch. Diese Erfahrung bestätigte mir, dass Fotografie einfach ist. Ich denke, dass editieren schwieriger ist. Hätte ich von meiner Tochter verlangt, gute Überarbeitungen ihrer Fotos zu machen, hätte sie das bestimmt nicht gekonnt.

Du hast unzählige Preise gewonnen und bist inzwischen auf der ganzen Welt bekannt. Hast du immer noch den gleichen Ehrgeiz wie zu Beginn deiner Laufbahn?
Mein Ansporn war immer, etwas Tolles, Bleibendes zu machen. Aber dazu gehört auch, einen Haufen schrecklicher, unbeständiger Dinge zu schaffen. Je älter ich werde, desto mehr versuche ich, die Notwendigkeit des Scheiterns nicht zu vergessen.

Was sind deine Ziele für die Zukunft?
Zusammen mit dem gleichen, alten Verlangen, etwas Tolles zu machen, habe ich inzwischen das steigende Bedürfnis, auf irgendeinem Weg etwas zurückzugeben. Meine High-School-Lehrerin veränderte mein Leben, indem sie mir dabei half, die Welt um mich anders wahrzunehmen. Ich würde das auch gern für jemanden tun.

Wie warst du denn, bevor diese Lehrerin deine Perspektive veränderte?
Ich war früher eine sehr schüchterne und introvertierte Person. Als Kind konnte ich diese Introspektion kreativ mit einer reichen Fantasie leiten, mir selbst Freunde vortäuschen et cetera. Aber als Teenager wurde ich verbissen. Meine Lehrerin konnte mir einen neuen Weg zeigen, um mich auszudrücken. Während ich im sozialen Umgang immer noch komisch war, gab mir das Kreativsein eine neue Art von Selbstvertrauen.

Alec Soth war am 28. April im Fotomuseum Winterthur, um sein neues Buch „Songbook" zu signieren.

Mehr von seiner Arbeit findest du hier.

Nora auf Twitter: @nora_nova_

ViceSwitzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland